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Deutsche Oper am RheinEin Bündel von Ohrwürmern

Lesezeit 3 Minuten
Johanna von Orleans hat den Blick zum Himmel gerichtet, unter ihr liegt ein Mann mit blutigem Hemd. Um sie herum zahlreiche Menschen, die nach ihr greifen.

Maria Kataeva (Johanna), Sami Luttinen (Thibaut dâÄÖArc), Chor der Deutschen Oper am Rhein

Tschaikowski selbst schrieb das Libretto zu „Die Jungfrau von Orléans“. Die Inszenierung in Düsseldorf überzeugt vor allem musikalisch.

Von den neun Opern Peter Tschaikowskys haben sich nur „Eugen Onegin“ und „Pique Dame“ auf deutschen Spielplänen halten können; den übrigen sieben begegnet man hierzulande allenfalls sporadisch. Um so verdienstvoller, dass sich die Deutsche Oper am Rhein nun der 1881 in St. Petersburg uraufgeführten „Jungfrau von Orléans“ angenommen hat.

Das Libretto stammt vom Komponisten selbst, der neben den zentralen Handlungsstationen die wichtigsten Mit- und Gegenspieler aus Schillers Tragödie übernahm: Den bigotten Vater Thibaut, der die Tochter der Hexerei bezichtigt; den macht- und kriegsmüden König Karl VII., der sich der Verantwortung in den Armen seiner Mätresse Agnes Sorel entzieht. Die Verletzung des Keuschheitsgelübdes durch Johannas Begegnung mit dem feindlichen Krieger Lionel stammt gleichfalls aus der Vorlage; nur den Schluss hat Tschaikowsky der historischen Wahrheit angeglichen: Johanna fällt nicht, wie bei Schiller, in der Schlacht; sie endet auf dem Scheiterhaufen.

Die Oper lässt Einflüsse aus russischer Kirchenmusik erkennen

Rein musikalisch lohnt sich die Ausgrabung der Rarität auf jeden Fall. Man geht schon mit einem ganzen Bündel von Ohrwürmern im Kopf in die Pause. Neben Johannas Abschied von den heimatlichen Wäldern gibt es eine Fülle dankbarer Einzelnummern, die Tschaikowsky generös auf alle Mitwirkenden verteilt. Immer wieder entfalten sich hymnische Chorsätze, die nur ein bisschen zu deutlich von russischem Kirchengesang beeinflusst sind, um überzeugend in der französischen Provinz verortet werden zu können.

All das kommt in Düsseldorf zu eindrucksvoller Wirkung. Maestro Péter Halász lässt es am Pult eher rustikal und handfest zugehen, was sich auch im Spiel der Düsseldorfer Symphoniker niederschlägt. Chordirektor Gerhard Michalski treibt seine Sängerinnen und Sänger zu gut gebündelter Schlagkraft an; das Solistenensemble aus Hauskräften und Gästen ist durchweg hochklassig und rollengerecht besetzt.

Mezzosopranistin Maria Kataeva zeigt sich als ideale Besetzung für Johanna

Im Zentrum des Abends (wie auch der Gunst des Premierenpublikums) steht die russische Mezzosopranistin Maria Kataeva, die sich in der Titelrolle buchstäblich die Seele aus dem Leib singt und spielt. Stimmlich wie darstellerisch ist sie eine Idealbesetzung: keine Amazone, sondern eine zierliche, knabenhaft wirkende Person, die von der Größe ihres Auftrags erfüllt über sich hinauswächst. Die stabile, gut gefasste Mittellage wird von flutenden Spitzentönen überkrönt; das beeindruckt nicht nur in der großen Arie, sondern auch im Liebesduett mit dem vorzüglichen Bariton Richard Šveda (Lionel).

Bei aller melodischen Attraktivität ist in Tschaikowskys Partitur aber wohl doch zu viel glutvolle russische Opernromantik im Spiel, als dass sich die Tragödie des Mädchens Jeanne d’Arc wirklich glaubhaft entfalten könnte. Das belastet auch die Inszenierung von Elisabeth Stöppler, die an der Rheinoper zuletzt mit einer szenischen Annäherung an Bachs „Weihnachtsoratorium“ hervorgetreten ist. Sie lässt das ganze Stück in einem schlichten, grau getünchten Sakralraum spielen, der als Dorfkirche von Domrémy überzeugt, aber gerade durch seinen milieufreudigen Realismus nicht als Spielort für die übrigen Szenen taugt.

Der Abend, der in schlicht erzählender Konvention beginnt, wendet sich zunehmend ins Bizarre. Das funktioniert noch ganz gut beim König und seiner Mätresse, die Sergej Khomov und Luiza Fatyol mit viel Buffolaune als gereiften Lebemann und eiskalte Luxuszicke darstellen. Vor dem finalen Martyrium der Johanna indes kapituliert die Inszenierung vollständig. Stattdessen stellt Elisabeth Stöppler eine Schwangere in den Vordergrund, die sich so ekstatisch windet, dass man eine Sturzgeburt auf offener Bühne befürchtet. Man fühlt die Probleme der Regisseurin, gegen den Mangel an dramatischer Wahrhaftigkeit zu kämpfen, der im Stück selbst liegt. Aber das kann natürlich nicht überzeugend gelingen. So bleibt die Frage, ob dieser musikalisch so reichen Partitur mit einer konzertanten Produktion nicht doch besser gedient wäre.