Im ausverkauften Carlswerk Victoria begeisterte Hollywood-Schauspielerin Reneé Rapp als Popstar. Unsere Kritik.
Deutschland-Debüt in KölnWarum Reneé Rapp das neue Idol der Gen Z ist
So eine schöne Ballade, wirklich. Für „Snow Angel“, ihre Zugabe im ausverkauften Carlswerk Victoria, ist Reneé Rapp in eine Art weißen Pyjama geschlüpft. Sie werde den Winter überstehen, beteuert die junge Sängerin mit anschwellendem Gesang, und wenn es sie umbringe. Schneeengel werde sie machen, bis sie sich wieder würdig fühle. Ihre Fans, überwiegend weiblich und ein paar Jahre jünger als die 24-Jährige aus dem amerikanischen Süden, halten ausgedruckte Zettel hoch: „You're worthy.“
Das Kölner Konzert ist Rapps erster Deutschland-Auftritt, und es ist zum Dahinschmelzen. Aber kalte Nasen holt man sich nicht nur im Winter, „Snow Angel“ ist ein Lied über verkokste, außer Kontrolle geratene Nächte, voller schlechter Ratschläge: Man kann Krisen schneller überstehen, wenn man sich beeilt? Dem „Rolling Stone“ hat Rapp erzählt, wie sie „Snow Angel“ geschrieben hat, nachdem sie in schlechter Gesellschaft gefeiert, unter Drogen gesetzt und desorientiert, ohne Erinnerung und blutig in einem Hotelzimmer aufgewacht ist. Das dürfte so ziemlich das Letzte sein, was Eltern von ihrem Kind hören wollen. Oder was man in den Medien ausplaudert.
Dass Reneé Rapp gerade ihren großen Moment erlebt, von der Generation Z als schwesterliches Vorbild oder Fantasie-Freundin umarmt wird, liegt allerdings gerade daran, dass sie redet, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Und selbstverständlich auch an ihren mannigfaltigen Talenten: Ihren ersten Durchbruch erlebte Rapp als Broadway-Star in der Musical-Fassung von Tina Feys High-School-Filmklassiker „Mean Girls“. Sie spielte die Oberzicke, die 20 Jahre zuvor Rachel McAdams verkörpert hatte, und spielte den Rest des Ensembles gnadenlos an die Wand. Das brachte ihr eine Hauptrolle in der HBO-Serie „The Sex Lives of College Girls“ ein.
In der Kinoversion der Musicalversion der bösen Mädchen durfte sie dann noch einmal ihre Broadway-Rolle spielen – mehr als das Hollywood-Debüt trug die anschließende Pressearbeit zu Rapps Ruf als It-Girl bei, Tiktok und Youtube quellen über vor Rapps unerwarteten Antworten, dem Coming-out als lesbisch und ihren halb schockierenden, halb charmierenden Exkursen: Das „mean girl“ entpuppte sich als „real girl“, dem man sich augenblicklich nahe fühlte.
Der Empfang, den Köln Reneé Rapp bereitete, hätte nicht warmherziger ausfallen könne
Eigentlich will Reneé Rapp aber Popstar sein, zwischen ihren Theater-, Film- und Fernsehprojekten hatte sie eine erste EP und bald darauf auch ein erstes Album herausgebracht. Die Schlange vorm Carlswerk schien endlos und der Empfang, den das Publikum seinem frisch gebackenen Idol bereitete, hätte nicht warmherziger ausfallen können, Schilder mit eindeutigen Botschaften wurden hochgehalten, Geschenke angereicht und Rapp reagierte halb schnippisch, halb gerührt: „Bitch, is that a blazer? Give it to me!“
Die Songs, die sie unterstützt von einer vierköpfigen Band präsentierte, wären vielleicht nur gehobener Gebrauchspop, doch Rapps übersprudelnde Persönlichkeit und ihre gewaltige Stimme verwandeln sie in das 2020er-Äquivalent von Meat-Loaf-Schmachtepen der 1970er, mit herrlich unkorrekten Zeilen wie „ich will nur etwas Anerkennung dafür, dass ich große Titten und ein gutes Herz habe“ oder „ja, ich bin Feministin, aber du Schlampe machst es mir schwer, grundsätzlich immer Frauen zu unterstützen“.
Für „In the Kitchen“ setzt sie sich zusammen mit dem Gitarristen auf den Bühnenrand. Es ist ein Break-up-Song, wie es in zu Tausenden gibt, eine Klage über eine Beziehungsgeschichte, die „von Fremden zu Liebenden zu Feinden“ führt, aber in seinen Details kann er nur von Reneé Rapp stammen: „Und du sagst: „Bitte sei vorsichtig, das Messer ist so groß/ Und wir können nicht noch einmal in die Notaufnahme/ Wir sind zu jung, zu dumm/ Zu verliebt, um uns das leisten zu können.“
Sang's, setzt sich einen weißen Cowboyhut auf – noch ein Geschenk ihrer Verehrerinnen – und verschwindet, mit dem Versprechen noch einige Gitarren und Brüste zu signieren, hinter der Bühne.