Die Fiktion der Monarchie
„So viele Veränderungen“, stellt die Queen fest. „Das Alter schmeichelt niemandem.“ Sie betrachtet zwei Schautafeln. Eine mit ihrem alten, die andere mit einem Briefmarken-Porträt. Auf ersterer ist die Schauspielerin Claire Foy zu sehen, letztere zeigt Olivia Colman, die deren Rolle übernommen hat. Die kurze Szene bleibt der einzige Wink in Richtung Zuschauer, den sich „The Crown“, die Netflix-Serie über die Herrschaft Elizabeth II., erlaubt.
Nach zwei phänomenal erfolgreichen Staffeln hat deren Schöpfer Peter Morgan das Ensemble neu besetzt, dem Alter der dargestellten Personen entsprechend. Das irritiert nur einen Moment. Zu Colman stoßen Tobias Menzies als Prinz Philip und Helena Bonham Carter als Prinzessin Margaret, sie sind ihren jüngeren Vorgängern absolut ebenbürtig. Geblieben sind die edle Ausstattung, der Detailreichtum, die einsamen Seufzer in menschenleeren Schlössern.
Wer „The Crown“ schlicht als opulente Seifenoper abtut, verwechselt allerdings zwei völlig unterschiedlich gelagerte Fiktionen. Die Soap findet in Echtzeit statt. Sie setzt sich aus den Tausenden von Artikeln und TV-Beiträgen zusammen, die uns atemlos über den Stand von Streit und Versöhnung bei den Windsors informieren, als hätten ihre Verfasser Wanzen in den Palästen installiert und Schwangerschaftstests aus dem Abfall geklaubt. Auch das ist eine der großen Erzählungen unserer Zeit: Die königliche Familie als Glamourausgabe der eigenen Alltagsnickeligkeiten.
Aber das ist nicht „The Crown“, auch wenn sich beide Erzählungen, je weiter die Serie in die Gegenwart vordringt, zu überlagern drohen. Ein Beispiel: Im Vorfeld der dritten Staffel, die ab diesen Sonntag bei Netflix zu sehen ist, gab es Berichte darüber, dass dort eine Affäre der Queen mit ihrem langjährigen Vertrauten und Rennpferd-Manager Lord Porchester angedeutet werde.
Ein ehemaliger Pressesprecher der Queen dementierte entrüstet die vorgebliche Geschmacklosigkeit. Die englische Königin habe niemals auch nur einen anderen Mann als Prinz Philip angeschaut.
Nichts davon ist in der Serie zu sehen. Stattdessen begleiten wir Elizabeth II. und „Porchie“ auf einer ausgedehnten Recherchereise zu erfolgreichen Pferdezüchtern in Frankreich und Amerika, während in der Heimat reaktionäre Kräfte einen Staatsstreich gegen das Kabinett des Labour-Premierministers Harold Wilson planen, angeführt von Prinz Philips Onkel, dem Grafen Mountbatten.
Just in dem Moment, in dem die Queen Porchie erklärt, wie sehr sie sich ein Leben als Pferdezüchterin anstelle ihres Amtes als Staatsoberhaupt gewünscht hätte, erreicht sie die Nachricht von der Verschwörung. Der Traum ist geplatzt, die Queen kehrt zu ihren Pflichten zurück, weist ihren übereifrigen Verwandten zurecht, der wiederum einsehen muss, das seine Zeit als Einflussnehmer unwiederbringlich vorbei ist.
Das ist „The Crown“ in der Nussschale: Die Serie interessiert sich weder für Klatsch, noch ist ihr an einer faktentreuen Historie der Windsors oder der britischen Nachkriegszeit gelegen. Wofür sich „The Crown“ dagegen obsessiv interessiert, ist die Institution der Krone als staatstragende Fiktion. Für die Opfer, die man als Protagonist dieser Mär eines zum Herrschen oder zum Repräsentieren geborenen Geschlechts bringen muss. Für die Blase, in der diese Protagonisten leben. Für die Wechselwirkungen zwischen zeremonieller Funktion und realer Politik.
Zu all dem hat Drehbuchautor Peter Morgan auch in der dritten Staffel einiges zu sagen: Dass die Welt der Windsors, ja die Welt im Allgemeinen auf Erzählungen aufgebaut ist. Und dass deren handelnde Personen oft schwer um ihre eigene Glaubwürdigkeit ringen.