Ingeborg Bachmann und Ilse Achinger gehören zu den wenigen Frauen der Gruppe 47, die auch heute noch bekannt sind. Nicole Seifert analysiert den Sexismus im Literaturbetrieb
Die vergessenen Autorinnen der Gruppe 47Wie Frauen systematisch herabgewürdigt wurden
25 Jahre alt war die Schriftstellerin Barbara König, als sie 1950 in Inzigkofen im Allgäu zum ersten Mal bei einem Treffen der Gruppe 47 war. Ein „Alptraum“ sei das gewesen, hielt sie in ihrem Tagebuch fest. Sie sah sich nicht in der Lage, ihren Text selbst zu lesen, Suhrkamp-Lektor Friedrich Podszus sprang ein. Auch die anschließende Kritik ertrug sie nur schwer: „Für den Rest des Nachmittags war ich damit beschäftigt, wie ein Morphinist das Zittern meiner Hände zu verbergen.“
Es war wahrlich kein Vergnügen für Autorinnen, sich bei den Treffen der Gruppe 47 der Kritik zu stellen. Und das ist nicht verwunderlich, denn auf eine fundierte und differenzierte Bewertung ihrer Texte konnten die Frauen in aller Regel nicht hoffen. Zwar lud das Alphamännchen dieser Treffen, Hans Werner Richter, mit herablassendem Großmut Frauen ein, aber deren Rolle war klar definiert: Sie waren das schmückende Beiwerk, sollten die Männer anhimmeln und sie im besten Fall auch gleich noch in ihr Bett lassen.
Ihre Texte wurden zur belächelten Nebensache. „Dich hat Hans Werner eingeladen? Hast du mit ihm geschlafen?“, fragte Hans Christoph Buch seine Kommilitonin Elisabeth Plessen, als diese 1967 eine der legendären Einladungskarten erhielt. Die Botschaft war eindeutig: An der literarischen Qualität ihrer Texte konnte es ja nicht liegen.
Die Literaturgeschichte hat die Frauen konsequent verdrängt
Diese konsequente Abwertung der Frauen führte nicht nur in den 20 Jahren des Bestehens der Gruppe 47 dazu, dass sie in der öffentlichen Rezeption kaum und wenn, dann meist von oben herab, betrachtet wurden. Im kollektiven Gedächtnis sind viele männliche Teilnehmer präsent geblieben, darunter Heinrich Böll, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass oder Martin Walser.
Aber Hand aufs Herz: Wie viele Frauen fallen Ihnen ein? Ingeborg Bachmann vermutlich. Sicher auch Ilse Aichinger. Aber kennen Sie Ilse Schneider-Lengyel, Ruth Rehmann, Ingeborg Drewitz, Ingrid Bachér, Gabriele Wohmann oder Gisela Elsner? 26 Frauen lasen in den 20 Jahren. Die meisten von ihnen sind heute vergessen. Die Literaturgeschichte, die natürlich auch ganz überwiegend von Männern geschrieben wurde, hat sie fast noch konsequenter verdrängt, als es ihre Kollegen damals taten.
In ihrem neuen Sachbuch „Einige Herren sagten etwas dazu. Die Autorinnen der Gruppe 47“ lässt die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert diesen Frauen endlich Gerechtigkeit widerfahren. Sie gibt ihnen den Raum, den sie verdient haben und zeigt auf, welch schwer erträglicher Misogynie sie fortwährend ausgesetzt waren. Seifert rückt in den Kapiteln eine oder mehrere Frauen in den Vordergrund, beleuchtet ihr Werk und ihre Lebensgeschichte - und führt aus, wie die Männer auf sie reagierten.
Sie stellt den Kapiteln Zitate der Autorinnen und der Schriftstellerkollegen voran. So sagte Hans Werner Richter über Ilse Aichinger: „Sie war eine schöne Frau, die einige meiner Tagungsteilnehmer so stark anzog, daß sie ganz außer sich gerieten und für meine Begriffe ein wenig die Contenance verloren.“ Das Zitat Aichingers, das Seifert dem gegenüberstellt, ist so kurz wie vielsagend: „Mich hat eigentlich die Literatur interessiert.“
Die Männer betrachteten gerade junge, attraktive Frauen als Freiwild
Die Frauen wollten über ihre Werke sprechen, sie wollten als Autorinnen gesehen und anerkannt werden. Und mussten sich doch die meiste Zeit männlicher Avancen erwehren, vor denen nur halbwegs sicher war, wer mit Ehemann anreiste. Die Männer betrachteten gerade junge, attraktive Frauen als Freiwild. Ihre Texte interessierten nicht. Vor allem ging es um ihr Aussehen. Der „Spiegel“ beschrieb Ingeborg Bachmann 1954 in einer Titelgeschichte mit den Worten „viel blondes Haar, sanftbraune Augen, still und scheu in Ausdruck und Rede“. Kommentare zu Frisuren, Schminke und Kleidung finden sich auch in anderen Rezensionen zuhauf, konstruktive Kritik hingegen muss man lange suchen.
Selbstbewusste, schreibende Frauen waren den Männern äußerst suspekt, da mussten Vergleiche mit Tieren und Fabelwesen herhalten, um sich ihnen zu nähern. Hans Werner Richter nannte Barbara König „eine Mischung zwischen einer Schlange und einer Katze“, Gisela Elsner wurde mal als kalte Sphinx, mal als Medusa oder Hexe beschrieben, Ilse Aichinger war eine versponnene Märchentante.
Die Reduzierung auf Äußerlichkeiten erlaubte den Männern, die Texte der Frauen höchstens in einem Nebensatz zu betrachten. Dabei hatten diese Frauen viel zu sagen - oft viel mehr als die Männer. Denn anders als die Kriegsheimkehrer, die sich 1947 zusammenschlossen und von dem gerade erst geendeten Zweiten Weltkrieg und der Schuld der Deutschen am liebsten nichts wissen wollten, waren die Frauen in der literarischen Auseinandersetzung viel weiter. Waren die Männer Meister des Verdrängens und Verschweigens, schrieben sie über die großen Leerstellen der Nachkriegszeit.
Es ist Nicole Seiferts großes Verdienst, dass sie das systematisch herausgearbeitet hat. Ingeborg Drewitz war mit ihrem 1955 uraufgeführten Stück „Alle Tore waren bewacht“ eine der ersten, die sich mit der Judenvernichtung und den Konzentrationslagern beschäftigte. Später kam sie zu dem Schluss, dass die Gruppe 47 die deutsche Wirklichkeit ignoriere. 1975 hielt sie in einer Vorlesung fest, in der Schriftsteller-Vereinigung sei die Auseinandersetzung mit der Vätergeneration und dem Nazismus zu kurz gekommen. Auch viele andere Frauen sahen diese Versäumnisse und schrieben dagegen an.
Den Männern machte das offensichtlich Angst. Und so würdigten sie die Texte der Frauen systematisch ab, steckten sie in die Schublade „Frauenliteratur“, Literatur hingegen war das, was Männer verfassten. Dass wir dieses Denken auch heute noch nicht vollständig hinter uns gelassen haben, hat Nicole Seifert in ihrem lesenswerten Buch „Frauenliteratur“ - bei dem Frauen durchgestrichen ist - herausgearbeitet.
„Viele Texte der Autorinnen der Gruppe 47 waren ihrer Zeit und ihren Kritikern inhaltlich wie ästhetisch voraus und lesen sich siebzig Jahre nach ihrem Entstehen subversiv und aktuell“, resümiert Seifert. „Diese Frauen brillierten mit ihrer scharfen Beobachtungsgabe, ihrer Sensibilität, ihrem Mut und ihrer kritischen Intelligenz, die Eingang in ihre Literatur fanden. Was wohl hätte sein können, hätte man sie ernst genommen, wären diese Texte nicht teils verschollen, wären sie weiterhin aufgelegt und gelesen worden, wären sie Schullektüre?“
Wir wissen es nicht, aber nach der Lektüre von Seiferts Buch hat man das dringende Bedürfnis, die Bücher von Böll, Grass und Co. im Regal stehenzulassen und stattdessen die vergessenen Werke jener Frauen zu entdecken. Und das ist doch schon mal ein guter Anfang.
Nicole Seifert: „‚Einige Herren sagten etwas dazu‘. Die Autorinnen der Gruppe 47“, Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 24 Euro. Im Gespräch mit Wiebke Porombka stellt Seifert ihr Buch am 28. März, 19 Uhr, in der Stadtbibliothek Köln, Josef-Haubrich-Hof 1, vor. Der Eintritt kostet acht Euro.