AboAbonnieren

Auch Michael Jackson kam nach StommelnDieter Dierks wird 80 – Scorpions-Sänger wollte ihn umbringen

Lesezeit 5 Minuten
Dieter Dierks steht in seinem Büro vor einer Wand mit goldenen Schallplatten.

Mehr als 70 Alben mit Gold- oder Platin-Status hat Dieter Dierks in seiner Karriere produziert

Los Angeles? London? Nein, Stommeln. Hier wohnt und arbeitet einer, der das internationale Musikbusiness geprägt hat: Dieter Dierks.

Dass er mal 80 Jahre alt werden würde, hat Dieter Dierks lange nicht für möglich gehalten. „Ich habe nicht nur Rockmusik gemacht, ich habe den Rock'n' Roll auch wirklich gelebt“, sagt der Mann, der noch immer so volles Haar hat, dass seine lange Mähne nicht albern wirkt. 50 Jahre alt könnte er werden, „vielleicht schaffe ich auch die 60“, habe er in seinen wildesten Zeiten gedacht. Hätte Klaus Meine damals seine Drohung in die Tat umgesetzt, wäre Dieter Dierks gerade mal 40 Jahre alt geworden.

„Ich bring Dich um“, brüllt der Sänger seinen Produzenten 1983 an: In Stommeln vor den Toren Kölns laufen die Aufnahmen der Scorpions für die Single „Still loving you“. Keine einfache Nummer für einen Sänger, weiß Dierks. „Gerade der Anfang, da muss alles sitzen. Jeder Atmer, die ganze Emotion muss rüberkommen.“ Doch der Entdecker der Hardrock-Band aus Hannover, die in Japan und den USA große Erfolge feierte, bekommt nicht das, was er haben will. Immer wieder muss Meine einen neuen Versuch unternehmen.

Dieter Dierks: Entdecker der Scorpions wird 80 Jahre alt

Dierks merkt, dass „der Klaus irgendwann psychisch und physisch am Ende“ ist. Kurz darauf flippt er aus, wie sich Dierks erinnert: „Kreidebleich stand er vor mir und brüllte mich an: Ich bring' dich um, du bist ja nie zufrieden ...“ Doch es kommt alles anders: Am nächsten Morgen singt Klaus Meine gleich den ersten „Take“ so, dass er für den Produzenten perfekt klingt. „Still loving you“ wird ein Riesenhit.

Es ist nur eine Geschichte von unzähligen, die „Diedööhr“, wie er in den USA genannt wird, erzählen kann. Viele einst unbekannte oder bereits weltbekannte Stars wollten in das beschauliche Stommeln, wo Dierks sein Elternhaus nach und nach zu mehreren Aufnahme-Studios samt Hotel umgebaut hatte. Zahlreiche Plattencover zeugen im Flur davon: Ob Tina Turner, Twisted Sister, U2 oder deutsche Größen wie die Toten Hosen – sie alle waren hier.

Dieter Dierks und Klaus Meine schauen schräg in die Kamera.

Wilde Zeiten: Dieter Dierks und Klaus Meine (r.)

„Die Plattenfirmen fanden es gut, dass die Studios auf dem Land waren und nicht in Köln. Da war immer die Gefahr, dass die Künstler versacken“, sagt Dierks, den das Musikmagazin „Rolling Stone“ als „besten Heavy-Metal-Produzenten der Welt“ adelte. Doch Rory Gallagher erkannte, dass man an der Stommeler Hauptstraße nicht nur Musik machen konnte. Dierks erzählt, wie der Gitarrist eines morgens a mit dem Wirt der Dorfkneipe Arm in Arm aus der Tür gewankt kam. „Davor waren drei Stufen, aber die hatten sie vergessen. Und dann lagen sie da. Rory ist auf allen vieren ins Studio gekrochen.“

Rory Gallagher winkt in die Kamera, neben ihm Dieter Dierks.

Dieter Dierks (2.v.l.) hatte auch Bluesrock-Gitarrist Rory Gallagher (r.) in Stommeln zu Gast.

Eric Burdon hinterließ auch seine Spuren. Er wohnte damals in einem kleinen Hotel, das zu den Dierks-Studios gehörte. „Der hat mit einem Colt hier auf alle Lampen geschossen und manchmal sogar durch die Tür. Wir nannten ihn nur Eric Bourbon, denn das war sein Lieblingsgetränk.“

1996 kam selbst Michael Jackson nach Stommeln, um den Song „Ghost“ aufzunehmen. „Der war speziell. Es musste ein ganz bestimmtes Wasser her, mit einer bestimmten Temperatur. Aber Jackson war auch ein Perfektionist. Ich habe noch nie jemanden so schnell arbeiten sehen“, erinnert sich Dierks.

Ike Turner und Dieter Dierks sitzen am Mischpult.

Dieter Dierks arbeitere auch mit Ike Turner (l.) in Stommeln zusammen.

Mehr als 70 Alben mit Gold- oder Platin-Status hat der Mann in seiner Karriere produziert, dem ein ganz eigener Rocksound nachgesagt wird. Sein Erfolgsgeheimnis sei, die jeweiligen Künstler an ihr Limit zu bringen. „Eine Band weiß oft gar nicht, wie sie klingen kann. Es ist meine Aufgabe, das Potenzial zu erkennen und genau das aus der Band rauszuholen.

Gruppenfoto mit Dieter Dierks, einer Frau und Alice Cooper

Alice Cooper kennt Dieter Dierks seit der Zusammenarbeit mit der Band Twisted Sister.

So wie einst bei den Scorpions. „Ich habe sie Anfang der 70er bei einem Auftritt vor vielleicht 50 Leuten gesehen - und null Reaktion beim Publikum. Aber dann haben sie etwas gemacht, was mich umgehauen hat: Sie haben Cover-Versionen gespielt, Rudolf Schenker machte Kopfstand, ein anderer ließ die Hose runter. Das hat mir imponiert.“ Bis 1988 hielt die musikalische Ehe, die Freundschaft bis heute.

Danke, dass Du immer an uns geglaubt hast
Die Scorpions gratulieren Dieter Dierks

Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ schickten die Scorpions vorab einen Geburtstagsgruß zum 9. Februar: „So viele Songs, von „Still loving you“ bis „Rock you like a hurricane“, die von den Dierks Studios aus um die Welt gegangen sind, sind heute Klassiker und haben nachfolgende Musiker-Generationen inspiriert! Danke, dass Du immer an uns geglaubt hast“, schreibt die Band und erinnert an „unzählige Stunden und lange Nächte, in denen du, lieber Dieter, uns geformt und für nichts weniger als eine Weltkarriere fit gemacht hast“.

Dieter Dierks hat einen Lorbeerkranz auf und grinst mit den Scorpions in die Kamera.

Dieter Dierks feierte mit den Scorpions internationale Erfolge.

Aktuell arbeitet Dierks an einem Michael-Jackson-Projekt, über das er noch schweigen muss; zudem hat er die Internet-Plattform „Music against war“ initiiert, um ein Zeichen gegen den Ukraine-Krieg zu setzen. Kunstschaffende aus der ganzen Welt können hier Friedenslieder einreichen.

Ein Erfolgsgarant sei auch die familiäre Atmosphäre gewesen. Dierks Sohn Michael, der Schauspieler ist, erinnert sich daran, dass er in der Küche oft fremde Leute sitzen sah – den Herbert etwa.

Dierks, der zweimal verheiratet war und vier Kinder von vier Frauen hat, schwärmt noch heute von der Arbeit mit Grönemeyer. Und von den Kochkünsten seiner Mutter, der „Oma Dierks“. Oft sei sie nachts ins Studio gekommen mit einem Tablett Schnittchen: „Jungs, ihr müsst doch mal was essen.“ Dierks ist sich sicher: „Es gibt keine Oma, die so viele Credits auf Schallplatten hat.“