Dinosaur Jr. im Carlswerk VictoriaDiese drei Männer haben sich mal gehasst
Köln – Das ist wirklich 40 Jahre her, dass J. Mascis und Lou Barlow zum ersten Mal in einer Band zusammengespielt haben, in Westfield, Massachusetts. Zwei Jahre später kam Emmett Jefferson Murphy III, den aber jeder nur Murph nennt, am Schlagzeug dazu und nach einigen Umbenennungen war Dinosaur Jr. geboren, die einzige Band, von der man in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Gitarrensoli hören wollte.
Trotz der übersteuerten Wut und der unüberhörbaren Virtuosität von J. Mascis‘ Spiel: Die wahre Botschaft von Dinosaur Jr. lautete, den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Selbstredend sollte nicht einfach die Impulslosigkeit gefeiert werden, eher ging es um Strategie zur Arbeitsvermeidung, um die so gewonnene Lebenszeit interessanteren Projekten widmen zu können. Bald darauf nannte man das Slacker und Richard Linklaters gleichnamiger Film wurde zum Monument dieser Nicht-Bewegung.
Die definitive Slacker-Band aber waren – sorry, Pavement – Dinosaur Jr., mit dem kleinen Fehler, dass es Mascis, Barlow und Murph an lässiger Gleichgültigkeit mangelte. Im Gegenteil, ihre Kommunikationskultur ähnelte der ihrer Ostküsten-Kollegen von den Pixies: Man war sich in herzlicher Abneigung zugetan, und jeder trug stumm sein Säcklein aus Kränkungen und verletzten Eitelkeiten mit sich herum, bis es zu spät war.
Wie sich J. Mascis und Lou Barlow zusammenrauften
Als Dinosaur Jr. Anfang der 90er, noch vor der großen Grunge-Welle (Nirvana spielten damals in ihrem Vorprogramm), einen Major-Label-Vertrag unterschrieben, existierte das ursprüngliche Trio schon nicht mehr. Das Bemerkenswerte an Dinosaur Jr. aber ist – und nun kommen wir endlich zum sonntäglichen Konzert im Kölner Carlswerk Victoria –, dass sich die drei Urmitglieder nicht nur Mitte der Nuller Jahre wieder zusammenrauften, sondern anschließend an ihre drei gemeinsamen Alben aus den 1980ern anknüpfen konnten.
Seit 2007 haben sie fünf weitere Langspieler veröffentlicht. Die vielleicht nicht so stilbildend sind wie das Frühwerk, aber allesamt unverschämt gut. So klingen sture Männer, denen das Leben auf die harte Tour gezeigt hat, dass sie nur zu Dritt unschlagbar sind.
Menschen, die eigentlich zu alt für Moshpits sind
Was sich live in der Glück stiftenden Erfahrung niederschlägt, dass Dinosaur Jr. Songs von 1984 bis 2021 zum Lautesten geben – und die anderthalbstündige Setlist trotzdem wie aus einem Guss wirkt. Das Auftaktstück „The Lung“, ein Klassiker aus ihrem zweiten und besten Album „You’re Living All Over Me“ leidet noch unter Klangkonfusion.
Je nachdem, ob man rechts oder links vor der Bühne steht, hört man vor allem den Bass aus dem Marshall-Verstärker-Turm hinter Lou Barlow, oder die Gitarre aus der Marshall-Burg in deren Schallmauern sich der scheue Mascis seit jeher verkrochen hat (Murph drescht in der Mitte). Das bessert sich aber schnell und der Rest ist reine Euphorie und ein stetig anwachsendes Moshpit von Menschen, die eigentlich zu alt für Moshpits sind.
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Großzügigerweise sind mit „The Wagon“ und „Start Choppin‘“ auch die Höhepunkte aus der zerstrittenen Phase der Band mit im Programm. J. Mascis wagt seine einzige Ansage, um nicht ohne Stolz ein Stück vom aktuellen Album „Sweep into Space“ zu annoncieren, ansonsten hält der ungleich geselligere Barlow mit lustig-rudimentärem Deutsch den Kontakt zum Publikum.
Das Wunderbare an Dinosaur Jr.-Stücken, ob alt oder jung, bleibt die Art, wie scheinbar selbstverständlich sie Lo-Fi-Punk, Led-Zeppelin-Stadionrock, Country-Balladen und (manchmal) britischen Wave-Pop zusammen bringen. Am lakonischsten wohl in ihrer 1988er-Single „Freak Scene“, die klingt auch in Köln immer noch, als hätten sich drei Düsenjäger verabredet, um den perfekten Popsong zu schreiben.
Zur Zugabe singt J. Mascis noch mit „Get Me“ eines seiner schönsten Liebeslieder für alle, die im großen Dazwischen hängen, die sich nach der Rückkehr einer Person sehnen, von der schon klar ist, dass sie nicht die oder der Richtige ist. Und dann gibt es noch ein kurzes Wiederhören mit „Just Like Heaven“, dem genialischen The-Cure-Cover, zu dem Ende der 80er in jeder Indie-Disco besonders ausgelassen getanzt wurde. Kurz setzt Mascis noch einmal zu einem seiner episch dröhnenden Gitarrensoli an, da ist es bereits vorbei, verflogen wie die Jugend, und die Band schlurft slackermäßig von der Bühne. Aber wie Sieger.