DokudramaDer Traum der Anne Frank
Köln – Der Umschlag rot-weiß kariert, der Inhalt ein Zeugnis der deutschen Geschichte: Das Tagebuch der Anne Frank. Übersetzt in 70 Sprachen ist es zu einem Mahnmal des Holocaust geworden, zu einem Symbol für Millionen von Menschen, die der rassistischen Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. Jetzt, 70 Jahre nach dem Tod Anne Franks im Konzentrationslager Bergen-Belsen, erzählt das ARD-Dokudrama „Meine Tochter Anne Frank“, als erster deutscher Film, die Geschichte des Frankfurter Mädchens, das sich gemeinsam mit Mutter, Vater, Schwester Margot, der Familie van Pels und dem Zahnarzt Dr. Pfeffer in einem Amsterdamer Hinterhaus vor den Nazis versteckt hielt und nach 25 Monaten entdeckt wurde. Ein Filmprojekt der ARD, mit dem das ZDF zuvor gescheitert war.
Im Mittelpunkt von Raymond Leys Verfilmung des Tagebuchs steht die Beziehung zwischen der jungen Anne Frank (Mala Emde) und ihrem Vater Otto Frank (Götz Schubert), der den Verrat als Einziger überlebte. Kurz nach seiner Rückkehr aus dem Vernichtungslager Auschwitz hält Otto Frank die Aufzeichnungen seiner toten Tochter in Händen. Seine Sekretärin Miep Gries (Renate Regel), die der Familie mutig geholfen hatte, unterzutauchen, fand das Tagebuch nach der Festnahme im Hinterhaus und bewahrte es auf. Die Lektüre der Seiten stürzt Frank in eine tiefe Trauer, doch erkennt er schnell ihren Wert. „Es ist ein Dokument. Ich will, dass Annes Stimme gehört wird.“ Und so widmet er sich der Veröffentlichung des Buches, tippt Seite für Seite auf einer Schreibmaschine ab. Der Zuschauer folgt Otto Frank bei dieser Verarbeitung, taucht mit ihm in die Gedankenwelt seiner Tochter ein, erlebt ihre Träume, ihre Sehnsüchte, ihre Hoffnung. „Ich wusste gar nicht, dass meine kleine Anne so tief war.“ Gespielt wird Anne Frank von der 18-jährigen Mala Emde, die der hoffnungsvollen jungen Frau ein zartes, und gleichzeitig rebellierendes Gesicht gegeben hat. Das Gesicht einer jungen Frau, die in der Scheußlichkeit des Naziregimes versucht hat, ein normaler Teenager zu sein. Bis sie starb, 1945, im Alter von 15 Jahren.
Annelies-Marie Frank wurde am 12. Juni 1929 in Frankfurt am Main geboren. Ihr Tagebuch schrieb sie als 13-Jährige in einem Amsterdamer Hinterhaus. Dort versteckte sich die Familie vor den Nazis.
Der ARD-Film „Meine Tochter Anne Frank“ läuft an diesem Mittwoch um 20.15 Uhr).
Kluge Montage
Die Chronologie des Films unterbricht Regisseur Ley durch Zeitsprünge. Denn Ausschnitte aus Zeitzeugen-Interviews wechseln sich mit Spielszenen aus dem Versteck ab. Wird Anne Frank schreibend an ihrem Tisch gezeigt, ihre Zeilen laut vorlesend, bebildern Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die wie an die Zimmerwand projiziert wirken, die entsetzlichen Geschehnisse, die in der Welt außerhalb der kleinen Kammer stattfinden: Der Einmarsch der Deutschen, die willkürlichen Verhaftungen auf der Straße, die Verschleppung der jüdischen Familien.
Dank dieser Herangehensweise ist Raymond Ley eine kluge Montage, ein eindringliches Porträt eines Mädchens gelungen, das an ihrem Traum festhielt, Schriftstellerin zu werden, das gerne diskutierte, auch mal aufmüpfig war. Ein Mädchen, das nicht immer einfache Zusammenleben auf engstem Raum mit Witz und Ironie beschreiben konnte, die gefangen in ihrem Schicksal ihre Liebe zu Peter van Pels (Lion Wascyzk) entdeckte.
Nicht zuletzt die Unterstützung durch den Anne Frank Fonds (AFF), der das Erbe der Familie verwaltet, dürfte dabei geholfen haben. Ley, der gemeinsam mit seiner Ehefrau Hannah auch das Drehbuch schrieb, hat nach Angaben der ARD erstmals auf den gesamten Text des Tagebuchs zugreifen dürfen. Darunter auch auf Teile, die Otto Frank jahrzehntelang zu persönlich und zu intim für eine Veröffentlichung erschienen waren. Der Fonds hatte die Verfilmungsrechte an die beiden Produktionsfirmen AVE (Holtzbrinck Gruppe) und Zeitsprung Pictures verkauft, die im Winter 2015/16 auch den ersten deutschen Kinofilm über das Schicksal von Anne Frank herausbringen werden – dann mit Lea van Acken („Kreuzweg“) in der Titelrolle.
Große Sensibilität
Schon einmal hatte es den Versuch gegeben, das Tagebuch der Anne Frank zu verfilmen. Das ZDF war jedoch mit dem Vorhaben gescheitert. Ende Februar 2014 hatte der Sender seine Pläne nach einem Streit mit dem AFF gestoppt. Der Grund: Der Fonds hatte kritisiert, das ZDF habe den Film ohne Rücksprache mit der Familie realisieren wollen.
Dieses Problem hatte Raymond Ley nicht. Seinen Film zeichnet eine große Sensibilität aus. Das zeigt sich auch am Ende. So kommt der Regisseur hier fast ganz ohne die schrecklichen Bilder aus den Konzentrationslagern aus. Gezeigt wird Anne Frank wie sie im Gras liegt oder auf Bahngleisen balanciert. Die Gedanken bestimmt von ihrem Traum: „Werde ich jemals Journalistin oder Schriftstellerin werden?“