Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Interview mit Jürgen Domian„Ich habe die Angst vor dem Tod überwunden“

Lesezeit 6 Minuten

Jürgen Domian in einer Kirche in Lappland. Foto: Verleih.

KölnHerr Domian, Sie sind Mittelpunkt des Dokumentarfilms „Interview mit dem Tod“, der am Sonntag Premiere feiert. Viele Menschen wollen sich am liebsten gar nicht mit dem Tod beschäftigen. Sie sagen hingegen gleich zu Beginn des Films: „Der Tod ist das Thema meines Lebens.“ Warum?

Der Tod ist das größte Mysterium der menschlichen Existenz. Ich glaube, dass man besser lebt, wenn man sich mit dem Tod beschäftigt. Das betonen alle großen spirituellen Traditionen der Welt: man muss Tod und Leben als Einheit sehen. Wer den Tod akzeptiert, kann viel fröhlicher und viel gelassener durchs Leben gehen, lebt viel mehr im Jetzt. Man kann den Tod nicht begreifen, aber man kann ihn akzeptieren. Wem der Tod gegenwärtig ist, verschwendet seine Zeit nicht mehr.

Sie beschäftigen sich seit einigen Jahren mit Zen und sagen, das habe Sie mit dem Tod versöhnt. Wie sieht denn diese Versöhnung aus?

Ich habe die Angst vor dem Tod überwunden. Als ich mich entschieden habe, das Buch „Interview mit dem Tod“ zu schreiben, haben meine Freunde gesagt: „Du wirst das ganze nächste Jahr bei der Recherche nur Bücher über den Tod lesen. Hältst du das aus?“ Doch je intensiver ich mich in das Thema hinein gearbeitet habe, desto entspannter wurde ich.

Im Buch frage ich den Tod, was von uns bleibt, wenn er sein Handwerk getan hat. Seine Antwort: „Das, was du Ich nennst und als deine Identität ansiehst, ist nur eine Hülle, eine äußere Form. Sie zerfällt durch den Tod. Alles aber, was du zutiefst bist, kennt weder Tod noch Geburt.“ Das ist Zen. Große Angst allerdings habe ich immer noch vor dem Sterben.

Haben Sie eine Vorstellung davon, was uns nach dem Sterben erwartet?Es wäre ein mickriges Jenseits, wenn man es mit menschlicher Sprache erklären könnte. Die Sprache ist gut und praktisch für den Alltag, an den großen existentiellen Fragen aber scheitert sie. Tod, Liebe, Sinn, Zeit, gar Gott ... all das lässt sich mit Sprache nicht erfassen. Auch können wir weder Raum- noch Zeitlosigkeit denken, geschweige denn Ewigkeit.

Daher sind Vorstellungen von Wiedergeburt oder dem Garten Eden für mich eher tröstende Bilder. Sie haben etwas Märchenhaftes. Aber sie entspringen auch der Egozentrik des Menschen, der es nicht erträgt, dass sein irdisches Ich und seine Individualität durch den Tod zerfallen.

Lesen Sie weiter auf Seite Zwei: Warum Domian seinen toten Körper verfüttern lassen will

Sie sagen im Film, Sie könnten sich eine Himmelsbestattung für sich vorstellen. In Asien werden dabei Leichen zerstückelt und an Vögel verfüttert. Warum gefällt Ihnen das?Mein toter Körper ist für nichts mehr nützlich. Warum soll ich ihn verbrennen oder vermodern lassen? Ich finde diese Bestattungsform sympathisch, denn so kann ich sofort nach meinem Tod einem anderen Lebewesen etwas Gutes tun, indem ich ihm meinen Körper als Nahrung zur Verfügung stelle.

Finden Sie die Vorstellung nicht erschreckend?Diese Vorstellung erschreckt uns nur, weil wir alle den Tod weitgehend verdrängen. Wir leben in einem narzisstisch- und absolut spaßorientierten Zeitalter. Da gibt es nichts Schrecklicheres als Krankheit, Verfall und Endlichkeit.

Und somit wird der Tod wie ein Störfall angesehen, den es gilt sehr schnell beiseite zu schieben. Um Trauernde machen die Menschen gern einen großen Bogen. Das habe ich schon tausendmal in meiner Sendung erzählt bekommen.

In Ihrer Sendung rufen häufig Menschen an, die bald sterben müssen und nicht mit sich im Reinen sind. Wie gehen Sie damit um?Das ist ganz schwer. Es gab den Fall einer 48-jährigen Krebskranken, die in der finalen Phase aus einem Hospiz anrief und sagte: „Ich habe falsch gelebt.“ Sie war sehr erfolgreich gewesen und hatte ihr ganzes Leben dem beruflichen Erfolg gewidmet. Es gab weder wirkliche Freunde, noch eine Liebe. Sogar ihre sterbende Mutter hatte sie wegen eines wichtigen Termins im Ausland im Stich gelassen. Sie sagte: „Jetzt kann ich nichts mehr gut machen.“ Das war für mich eine sehr schwierige Situation.

Was haben Sie ihr gesagt?Dass ich großen Respekt davor habe, dass sie jetzt ihr Leben so bewertet. Es ist spät aber nicht zu spät für diese Selbstkritik. Man braucht großen Mut, um sich so etwas einzugestehen. Die Vergangenheit kann man nicht mehr ändern, aber dass sie in allerletzter Sekunde eine solchen Sinneswandel vollzogen hat und wagte, das auszusprechen und nicht zu verdrängen, das rechne ich ihr sehr hoch an. Und ich habe ihr gesagt, dass ich ihr ein friedliches Sterben und einen schnellen Tod wünsche.

Lesen Sie weiter auf Seite Drei: Domians Ratschläge für den Umgang mit Trauernden

Haben Sie für sich Regeln entwickelt, wie man mit Sterbenden oder Trauernden umgehen muss?Ich habe gelernt, dass Dasein und einfach nur Zuhören das Wichtigste sind. Im Übrigen kann man Menschen in einer solch extremen Lebenslage nicht viel vormachen. Sie haben ein gutes Sensorium für ehrliche Aussagen.

Es gibt nichts Schlimmeres als zum Beispiel Trauernden zu sagen, das Leben müsse ja weiter gehen. Trauer ist etwas sehr individuelles und sehr kompliziertes.

Sie haben für die Gespräche in Ihrer Sendung nur sehr begrenzt Zeit. Ist das ein Problem?Auch kurze Gespräche können Trost schenken. Dennoch bleibt immer ein ungutes Gefühl, wenn ich diese Menschen verabschiede. Im Anschluß gibt es zwar noch das Gespräch mit unseren Psychologen, aber danach entlassen wir die Menschen wieder in die Dunkelheit der Nacht und in ihre Trauer. Aber so ist es - letztendlich ist jeder Mensch mit seiner Trauer allein.

Nehmen Sie nach der Sendung noch mal Kontakt zu Gesprächspartnern auf?Es gibt Fälle, trotz aller Routine, die nehme ich mit nach Hause und die bleiben auch eine Zeit bei mir und versickern dann irgendwann in meiner Seele. Und das ist auch gut so. Wenn das nicht so wäre, wäre ich der falsche Mann auf diesem Platz.

Aber Kontakt nehme ich nicht mehr auf. Das habe ich die ersten Monate gemacht. Aber dann habe ich gemerkt, dass mich das auffrisst. Es wurde immer mehr und wenn ich dann nach ein paar Wochen den Kontakt reduzieren wollte, waren die Leute sauer.

Sie sagen, die Nacht sei wichtig für Ihre Sendung. Warum? Wir sind in der Nacht auf uns zurückgeworfen. In der Nacht melden sich die Dämonen in uns. Man denkt nachts anders über sich als am Tag, weil man weniger abgelenkt ist. Nachts ist es dunkel und still, das öffnet die Seele.

Ihre Sendung endet in einem guten Jahr. Haben Sie Angst vor diesem Abschied?Für mich ist es noch irreal. Es wird schwierig und auch etwas traurig sein, denn eine solch intensive Kommunikation mit so vielen unterschiedlichen Menschen werde ich dann nicht mehr haben. Aber ich bin völlig im Reinen mit mir.

Ich hatte mir immer vorgenommen, dass ich gehen werde, wenn es gut läuft. Und im Moment läuft es hervorragend. Alles jedoch hat seine Zeit.

Das Gespräch führte Anne Burgmer.