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Dorian Electra in KölnDer nicht-binäre Popstar, der Neoliberale und andere Freaks besingt

Lesezeit 3 Minuten
Dorian Electra trägt eine Fantasieuniform mit Troddeln und knappen Shorts. Die blonden Haare erinnern an David Bowies Frisur im Film „Labyrinth“.

Dorian Electra am 21. Januar 2024 auf der Bühne der Kölner Kantine

Dorian Electra trat in der Kantine in Köln auf, vom maximal diversen Publikum kultisch verehrt. Unsere Konzertkritik.

Im ersten Semester am Chicagoer Shimer College veröffentlichte Dorian Electra an Stelle einer Seminararbeit einen Song namens „I’m in Love with Friedrich Hayek“. Im Video posiert die nicht-binäre Person aus Houston, Texas im aufreizend-braven Bibliothekarinnen-Outfit und komplimentiert den österreichischen Nobelpreisträger mit Zeilen wie „Deine Methodik ist so präzise“ oder „Du reduzierst die Sozialwissenschaft auf ihre Grundlagen/ Regeln und soziale Ordnung sind das Wesentliche“.

Dass sich Dorian Electra, damals gerade mal 18 Jahre alt, ausgerechnet den Lieblingsökonomen von Maggie Thatcher und Alice Weidel als Verehrungsobjekt ausgesucht hatte, mag schon irritieren. Von der Jugendfaszination für neoliberale und libertäre Theorien hat sich der Popstar längst losgesagt, aber die Faszination für Regeln, soziale Ordnungen und scharfkantige Ideen ist geblieben. Dorian Electra veröffentlichte Songs und Videos über psychologische Experimente, die wissenschaftliche Erforschung der Klitoris und die Unsterblichkeitsexperimente Ray Kurzweils.

Dorian Electra singt über frustrierte Incels und Jungs, die Karriere machen

„Flamboyant“, das erste Album, erkundete verschiedene Formen der Männlichkeit, das zweite, „My Agenda“, beschäftigt sich mit elektronischen Einsamkeitsexistenzen wie den Incels, der Subkultur heterosexueller Männer, die ihr unfreiwilliges Zölibat in Hass gegen Frauen und LGBTQ-Menschen ummünzen. Der Titelsong vereint, kein Witz, Pussy Riot und die Village People zu einem gemeinsamen Feature.

Auf dem aktuellen Album „Fanfare“ untersucht Dorian Electra, in eigenen Worten, „Ruhm, Fankultur als neue Religion, das Internet, den Kult der Berühmtheit und deren industrielle Produktion im Kapitalismus.“ Geforscht wird hier freilich nicht von außen, sondern in Selbstreflexion: In der Kölner Kantine hat sich ein maximal diverses Publikum aller anklickbaren Geschlechter und Subszenen eingefunden, geeint in der kultischen Verehrung ebenjenes ultimativen Hybriden aus Lady Gaga und David Bowie – Electra trägt derzeit dessen Trollkönig-Frisur aus dem Film „Labyrinth“ – und allen anderen Glam- und-Zitat-Pop-Stars, die desto authentischer wirken, je künstlicher sie sich geben.

Dorian Electra, 21.01.24, Bild: Herbert Bucco

Dorian Electra in der Kantine

Mitgebracht hat Dorian Electra ein Tänzer-Duo, sie alle tragen Fantasie-Uniformen, mit gelben Troddeln und heißen Höschen, halb Disneyland-Parade, halb Janet Jacksons „Rhythm Nation“. Der ultrakomprimierte Sound kommt von der Festplatte, nur einmal setzt sich Dorian Electra ans Keyboard, um den „Career Boy“ zu besingen, eine queere Verniedlichung aufstrebender Bürohengste. „Echte“ Instrumente wären hier auch völlig fehl am Platz, die Songs lehnt sich eng ans Hyperpop-Genre an. Es ist geschmacksbefreiter Pop, der seine eigene Warenförmigkeit auf die Spitze treibt, eine Camp-Lesart kapitalistischer Musik.

Auf Koffern und Kulissen findet man dementsprechend das Doppel-„f“-Symbol für „fortissimo“: Es kann gar nicht zu laut und überdeutlich sein. Von Alice Cooper entlehnt sich Dorian Electra zudem das lustige Puppenspiel mit anschließender Guillotinierung auf offener Bühne, ein Tänzer hält einen Schaufensterpuppenkopf mit der Bowie-Perücke in die Höhe, Glamour und Schock sind hier liebenswert hausgemacht.

„Erwischt mich dabei, wie ich Kuchen auf den Leonardo werfe“, singt Dorian Electra am Ende in „Freak Mode“, „Ich versaue mein Gesicht, seh‘ aus wie ein Picasso.“ Aber die Absichten dieser faszinierenden Metaebenen-Diva sind weniger bilderstürmerisch als von präziser Methodik.