Ian Anderson, der vielleicht bekannteste und fleißigste Flötist der Rockmusik, veröffentlicht mit Jethro Tull schon wieder ein neues Album. In den neuen Songs gibt sich der Frontmann nachdenklich.
Neues Album der Prog-Rock-BandJethro Tull: Denk nicht lange darüber nach - zieh es durch!

Die Band Jethro Tull veröffentlicht ein neues Album.
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Ian Anderson verschwendet keine Zeit. Der Sänger, Flötist und Frontmann von Jethro Tull hat in den letzten Jahren zahlreiche neue Alben rausgebracht, ältere neu aufgelegt und unermüdlich Konzerte gespielt. Seit er sich vor einigen Jahren entschied, wieder unter dem Namen Jethro Tull weiterzumachen, ging es Schlag auf Schlag. Nun erscheint „Curious Ruminant“, das dritte Studioalbum der Briten in weniger als dreieinhalb Jahren.
„Wenn man eine gute Idee hat, sollte man einfach loslegen. Mach es. Denk nicht zu lange darüber nach - zieh es durch“, sagt Anderson (77) im Interview der Deutschen Presse-Agentur in London. „Wer weiß, ob ich später noch die Chance habe. Wenn ich es aufschiebe, vielleicht auf nächstes Jahr, kann ich nicht mal sicher sein, dass ich dann noch fit genug bin – körperlich oder geistig. Momentan geht's mir gut. Aber irgendwann wird das nicht mehr so sein. Und dann werde ich es bereuen, Dinge nicht gemacht zu haben, solange ich noch konnte.“
Ein Hauch der 70er Jahre
Im Gegensatz zu den Vorgängeralben ist der Folk-Einfluss auf „Curious Ruminant“ wieder deutlich stärker und Anderson - der mit Flöte in der Hand für das Bandlogo Pate stand - greift auch häufiger zu seinem Instrument, das den Prog-Rock-Sound von Jethro Tull vor allem in den 70er Jahren prägte. Der erste Song „Puppet And The Puppet Master“ und das treibende „The Tipu House“ erinnern angenehm an den Stil der frühen Tull-Jahre.
Andersons Stimme ist nicht mehr so kräftig und aggressiv wie damals, sondern gleicht heute eher dem sanften Klang eines Geschichtenerzählers. Die Texte sind intelligent, theatralisch und bieten Spielraum für Interpretation. „Curious Ruminant“ („Neugieriger Grübler“) sei persönlicher als frühere Alben, verrät Anderson.
„Es geht darum, dass ich schon seit meiner Kindheit an ganz vielen unterschiedlichen Dingen interessiert bin“, sagt Anderson. „Ich bin ein Grübler, ich denke viel über das nach, was ich aufnehme. Deshalb nenne ich mich selbst einen nachdenklichen Grübler. Für mich passt der Albumtitel auf alle Songs, weil sie alle auf irgendeine Weise aus meinem Nachdenken über verschiedene Dinge entstanden sind.“
17-minütiges Epos als Höhepunkt
Der mit Abstand längste Song und ein Höhepunkt des Albums ist „Drink From The Same Well“ - ein fast 17-minütiges Epos mit langen Instrumentalpassagen. Anderson singt von grölenden Fußballfans, aggressiven Touristen und unbedachten Kommentaren im Internet zu globalen Krisen. Im Kern geht es um Respekt, Moral und die Erkenntnis, dass wir alle im selben Boot sitzen.
„Ich drücke diese Gefühle und Gedanken aus, aber ohne den Leuten vorzuschreiben, was sie glauben oder denken sollen“, betont der Jethro-Tull-Leader. „Es ist einfach meine persönliche Sichtweise – und jeder kann daraus machen, was er will.“
Besonders die Entwicklung im Internet beobachtet Anderson, der privat keine sozialen Medien nutzt, mit Sorge. „Ich sage meinen Enkelkindern immer: Übertreibt es nicht mit Social Media, sonst wird euch das irgendwann schaden.“
Dystopisch, aber nicht schwermütig
In „Savannah Of Paddington Greene“ geht es um einen kleinen Park im Westen von London. Einst war die ganze Gegend von großen Grünflächen umgeben, heute prägen große Gebäude und eine Brücke mit vier Fahrspuren das Bild. Es ist Andersons Kommentar zu Umwelt und Klima. „Wie wird das wohl in hundert Jahren aussehen?“, fragt der 77-Jährige. „Vielleicht erleben meine Urenkel eine Zeit, in der das hier nur noch eine trockene, staubige Savanne ist – nicht mehr dieses kleine grüne Fleckchen, das Paddington Green heute noch ist.“
Die komplizierte Weltlage hat den selbsterklärten neugierigen Grübler noch nachdenklicher gemacht. Doch auch wenn einige der neuen Jethro-Tull-Lieder ein dystopisches Bild zeichnen, klingt „Curious Ruminant“ nicht schwermütig - zwar nachdenklich, aber mitunter sogar aufmunternd.
Ian Anderson hat noch ein wenig Zuversicht für die Welt. „Es wird auf jeden Fall schlimm – das steht fest“, sagt er. „Aber am Ende bin ich doch optimistisch und hoffe, mit Blick auf die nächsten 10, 20 oder 50 Jahre, dass wir das Schlimmste noch verhindern können.“ (dpa)