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Eduardo Chillida in KölnDer rechte Winkel muss eine Erfindung des Teufels sein

Lesezeit 3 Minuten
Eine abstrakte, schwarz-weiße Grafik, die entfernt an Puzzleteile erinnert.

„Marrak“ (Linien), eine Radierung von Eduardo Chillida, ist in der Kölner Galerie Boisserée zu sehen

Die Kölner Galerie Boisserée zeigt zum 100. Geburtstag des spanischen Bildhauers und Grafikers Eduardo Chillida eine Auswahl seines Werks.

Auf einem Amboss fliegen Funken, aber setzt er auch Träume frei? Als sich Eduardo Chillida nach einem enttäuschenden Architekturstudium und unsteten Wanderjahren in ein kleines Dorf zurückzog, um noch einmal in die Lehre zu gehen, fand er sein Glück bei einem Schmied. Statt rechte Winkel zu zeichnen, lernte er, den harten Stahl zu biegen und mit ihm in den Wind zu greifen. Aus seinen tonnenschweren „Traumambossen“ wucherten Eisenstreben oder zuckten stählerne Blitze – heute schmückt sich selbst das Bundeskanzleramt mit der ausgehärteten Poesie des baskischen Bildhauers.

Im Januar jährte sich Chillidas Geburtstag zum 100. Mal, seine spanische Heimat begeht das Jubiläum mit einem Ausstellungsreigen. In Köln gratuliert die Galerie Boisserée nachträglich mit einer ebenfalls üppigen Schau aus 100 Grafiken, Zeichnungen und zwei kleinen Tischskulpturen. Die beiden Terrakotta-Arbeiten ähneln seinen berühmten Monumenten allerdings nur in der konsequenten Ablehnung rechter Winkel. Chillida brandte „L“s und „Treppchen“, die stets ein wenig schief stehen, in den steinartigen Ton – und etwas windschief sind auch diese Steine selbst.

Als Grafiker arbeitete sich Chillida ebenfalls an massiven Widerständen ab

Als Grafiker arbeitete sich Chillida ebenfalls an massiven Widerständen ab – die er dem weichen Papier allerdings erst einmal einprägen musste. Mitunter geschah dies wortwörtlich mithilfe des Reliefdrucks, aber in der Regel genügten Chillida dafür der Gegensatz von Schwarz und Weiß sowie auf ihren harten Kern reduzierte Formen. Auf zwei Radierungen von 1972 bahnen sich schmale Linien ihren Weg durch schwarze Flächen, es sind Grundrisse oder Landkarten von Traumpfaden, die sich um sorgfältig abgerundete, niemals rechtwinklige Ecken ziehen.

In diesen und ähnlichen Motiven variierte Chillida seine bildhauerischen Überzeugungen. Während die gebogenen Zinken seiner „Wind- und Wogenkämme“ einen negativen Raum bilden (wie eine halb geschlossene Faust), greifen auf seinen Papierarbeiten die schwarzen und weißen Flächen ineinander, als wären sie eins. Bei Chillida sind Gegensätze immer auch ihr Gegenteil, weil sie einander bedingen; auch Linien sind stets Grenzen und zugleich Verbindungen.

Die Kölner Ausstellung umfasst rund 40 Jahre von Chillidas Schaffen

Die Kölner Ausstellung umfasst rund 40 Jahre von Chillidas Schaffen (die jüngste Arbeit stammt aus dem Jahr 2000) und bietet von (beinahe) allem etwas. Die frühen Papiere haben noch etwas Freihändig-Malerisches, während die abstrakten Formen später immer häufiger die Umrisse seiner gebogenen Stahlelemente annehmen. Eine unbekannte Seite Chillidas zeigen seine Zeichnungen und Radierungen von Händen, Fingern und Fäusten; aber wie man bei Boisserée sehen kann, ziehen sich diese Ausflüge ins Figürliche durchs gesamte grafische Werk.

Chillida schuf mit seinen Grafiken eine seinen Skulpturen verwandte Welt, die allerdings niemals Abgepaustes enthielt. Auch wenn er Literatur und Musik in seine Sprache übersetzte, wurde diese keinesfalls illustrativ. Selbst Musikexperten dürfte es schwerfallen, Chillidas Grafiksuite „Hommage à Johannes Sebastian Bach“ einzelne Kompositionen zuzuordnen. Mit seinen Schriftbildern nach Bach beschwört Chillida eher einen Raumklang als Programmmusik.

Man muss also nicht nach Spanien reisen, um den 2002 verstorbenen Eduardo Chillida zu ehren. Zwar können die zarten Papiere bei Boisserée das Weltwunderhafte an seinen Großskulpturen nicht ersetzen. An der baskischen Felsküste stehen riesigen Stahlskulpturen, die vor dem Prospekt unendlicher Leere so rau und wild wirken, dass man sich ihren titanischen Schöpfer kaum anders als mit Schmiedeeisen vorstellen kann. Dafür hat die umklammerte Leere in Chillidas Grafiken eine Schlichtheit, die sich auf keinem Traumamboss herbei hämmern lässt.


„Eduardo Chillida. Ausgewählte Arbeiten auf Papier und aus dem graphischen Werk“, Galerie Boisserée, Drususgasse 7-11, Köln, Di.-Fr. 10-13, 14-18 Uhr, Sa. 11-15 Uhr, bis 20. Juli.