Die erste Schwarze Bibliothek NRWs feiert ihren dritten Geburtstag – und zeigt, wie aktuell der Kampf gegen Rassismus geblieben ist.
„Ein sicherer Hafen für Schwarze Menschen“Theodor Wonja Michael Bibliothek feiert dreijähriges Bestehen
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Gründungsmitglied Lamin Kargbo (l.) und Initiatorin Glenda Obermuller auf der Jubiläumsfeier
Copyright: Alexander Schwaiger
Sie füllen lange Regalreihen: Romane, Sachbücher, Kinderbücher – und vor allem: hauptsächlich von Schwarzen Menschen geschriebene Bücher. Die Theodor Wonja Michael Bibliothek in Köln gibt es als erste Schwarze Bibliothek NRWs nun seit drei Jahren. Das haben die Gründungsmitglieder vor einigen Tagen zusammen mit ihrer Community und anderen Interessierten in den neuen Räumlichkeiten der Bibliothek in Poll gefeiert. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Black History Months statt, der die Geschichte Schwarzer Menschen sichtbarer machen soll.
Am 19. Februar 2022 eröffnete die mit Spendengeldern finanzierte Bibliothek in Köln, damals noch in der Nähe des Doms. Es war der Jahrestag des Anschlags in Hanau im Jahr 2020, bei dem neun Menschen mit Migrationsgeschichte ermordet wurden. Obwohl anfangs nicht geplant, entschied sich das Team bewusst für dieses Datum, um „einen Samen der Hoffnung zu setzen“, wie die Künstlerin Cucuteni, ein Gründungsmitglied, auf der Jubiläumsfeier sagt. „Wir wollten zeigen, dass wir resilient sind und nicht unterzukriegen.“ Initiatorin Glenda Obermuller betont, dass in Hanau Menschen in ihren „Safer Spaces“ getötet worden seien, an Orten, wo sie sich sicherer gefühlt hätten als anderswo. Das Team der Bibliothek habe daraufhin vermitteln wollen: „Wir als Schwarze Menschen bauen weiter ‚Safer Spaces‘“.
Namensgeber ist ein Afrodeutscher, der die NS-Zeit überlebte
Die Idee für die Bibliothek entstand schon während der Black Lives Matter Proteste im Sommer 2020 nach der Ermordung des Afroamerikaners George Floyd. Glenda Obermuller und die anderen Gründungsmitglieder organisierten damals Treffen auf der Merheimer Heide, um zu überlegen, was sie als Schwarze Menschen nun tun wollten. Schnell war man sich einig: Eine Schwarze Bibliothek muss her. In Berlin gab es schon eine namens „Each One Teach One“. Sie wurde zum Vorbild für die zweite Schwarze Bibliothek Deutschlands in Köln.
Benannt ist die Bücherei nach dem Afrodeutschen Theodor Wonja Michael, der die NS-Zeit überlebte. 200 Bücher aus seinem Nachlass, darunter die Biografie „Deutsch sein und schwarz dazu“, bildeten den ersten Bücherbestand, der sich mit der Zeit stetig erweitert hat. Bücher, sagt Bebero Lehmann, ein Mitglied aus dem Gründungsteam der Bibliothek, seien immer sehr wertvoll für Theodor Wonja Michael gewesen – nicht nur die von Schwarzen Autorinnen und Autoren und zu Schwarzer Geschichte. Michael wurde in seiner Jugend aufgrund der Nürnberger Gesetzen von der Schule verwiesen. Nach dem Krieg holte er das Abitur nach und studierte. Bildung war für ihn laut Lehmann zeit seines Lebens ein „hohes Gut“.
Die Bibliothek ist ein Raum der Begegnung
Die Jubiläumsfeier der Bibliothek erinnert mit zwei Lesungen aus Theodor Wonja Michaels Biografie und der des Afrodeutschen Hans Jürgen Massaquoi an Schwarze Menschen während der NS-Zeit. Es gibt Sekt, selbstgemachte Suppe, Kuchen – man spürt die Energie und Freude, die dieser Ort der Community gibt. Denn die Bibliothek ist auch ein Raum der Begegnung, wo sich Schwarze Menschen austauschen oder einfach nur erholen können. Deshalb finden hier viele kulturelle Veranstaltungen statt, darunter Workshops und Lesungen.
„Die Geschichte von Rassismus und rassistisch motivierter Gewalt in Deutschland ist eine lange“, sagt Bebero Lehmann, nachdem sie aus „Deutsch sein und schwarz dazu“ vorgelesen hat. Dann fügt sie hinzu: „Aber genauso lange ist auch die Geschichte des antirassistischen Widerstandes in Deutschland“ – nur sei die noch weniger bekannt. Zum Beispiel habe der Vater von Theodor Wonja Michael schon 1918 eine bundesweite Selbstorganisation für die Schwarze Community gegründet, damit sich diese untereinander bei der Arbeits- und Wohnungssuche unterstützen und gegen Kolonialismus ankämpfen konnte.
Die Geschichte ist nach wie vor aktuell
Wie notwendig der Widerstand gegen Rassismus noch immer ist, betonen alle Gäste am Abend der Jubiläumsfeier. Unter den Besucherinnen und Besuchern ist auch Carine Weber, Vorsitzende des von kamerunischen Migrantinnen und Migranten gegründeten Kölner Vereins adiade e.V. Sie sagt: „Die Geschichte ist leider bis heute aktuell“. Weber, die einen zehnjährigen Sohn hat, habe während der Lesungen an diesem Abend sehr gut nachfühlen können, wie die beiden afrodeutschen Autoren in ihrer Jugend ausgegrenzt wurden.
„Das macht mich traurig, zeigt mir aber auch: Wir brauchen einen Ort wie diese Bibliothek, um uns auszutauschen und den Rücken gestärkt zu bekommen“, sagt Weber. Dies sei insbesondere in Zeiten von viel verbreiteten rechten Narrativen relevant, denn von einer Geschichte gebe es immer zwei Seiten: die weiße und die Schwarze. „Und es ist wichtig, dass wir die Geschichte auch auf unsere Weise weitergeben können.“
Die Bibliothek führt 6000 Bücher
Inzwischen beherbergt die Theodor Wonja Michael Bibliothek 6000 Bücher. Neben dem Nachlass des Namensgebers und etwa 1000 Büchern aus der Bibliothek der wegen finanzieller Gründe nun eingestellten Literaturreihe „Stimmen Afrikas“ haben regelmäßige private Schenkungen den Bestand erweitert. Zum Beispiel die von Beate Gröschel, einer Frau, die auch zur Jubiläumsfeier gekommen ist und der Bibliothek über 200 Bücher von einer Freundin überließ, nachdem diese ins Pflegeheim ziehen musste. „Meine Freundin hat sich immer gefragt, warum wir so viel über die Geschichte Europas oder Amerikas lernen, aber keine Ahnung von Afrika haben.“ Die Freundin habe angefangen, mehr über Afrika zu lesen und sich so eine private Bibliothek aufgebaut, die nun Teil der Theodor Wonja Michael Bibliothek ist.
Besonders im dritten Jubiläumsjahr der Bibliothek ist einiges passiert. Im September vergangenen Jahres zog sie um, nachdem der ehemalige Vermieter dem Team die Räumlichkeiten in der Victoriastraße gekündigt hatte. Kurz bevor das Team gehen musste, fand es eine neue Bleibe in der Kunstgalerie „Quartier am Hafen“ in Poll. Glenda Obermuller ist mit dem neuen Standort zufrieden: Die Räumlichkeiten seien größer und im Gegensatz zu den vorherigen barrierefrei sowie mit genügend Parkplätzen ausgestattet. Obermuller begrüßt auch, dass die Bibliothek nun rechtsrheinisch gelegen ist. Denn in Köln fänden die meisten Kulturevents auf der linken Rheinseite statt. „Aber ich finde es wichtig, dass Kultur für Menschen in ganz Köln angeboten wird.“
In Poll schließe sich der Kreis, wie Gründungsmitglied Cucuteni auf der Jubiläumsfeier sagt: Hier, auf der rechten Seite des Rheins, wo im Sommer 2020 die Idee für die Bibliothek entstand, habe diese nun ein Zuhause gefunden. Und dazu auch noch ein symbolisches: „Wir alle wissen, was Hafen bedeutet“, sagt Glenda Obermuller und schaut über den Rand ihrer Brille eindrücklich ins Publikum. „Die Bibliothek ist ein sicherer Hafen für Schwarze Menschen – und ein Begegnungsort für alle Interessierten.“
Die Theodor Wonja Michael Bibliothek hat sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet und unter der Woche für Gruppen nach Anmeldung per Mail: info@twm-bibliothek.de.