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Ennio Morricone gestorbenSpiel mir das Lied von Leben, Kino und Tod

Lesezeit 4 Minuten
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Ennio Morricone

Es war einmal ... nein, nicht im Westen und auch nicht in Amerika. Es war einmal in Köln, vor viereinhalb Jahren, als Ennio Morricone endlich, nach mehreren krankheitsbedingten Terminverschiebungen, leibhaftig in der Lanxess-Arena einem großen Orchester und ebenso großen Chor vorstand, um eine Auswahl seiner Kompositionen für den Film zu dirigieren.

Selbstverständlich gehörten dazu seine Arbeiten für das Kino seines ehemaligen Schulfreundes Sergio Leone, der „Mann mit der Mundharmonika“ etwa, mit seinem vom simplen Ein- und Ausatmen durch das titelgebende Instrument erzeugten, dennoch zutiefst verstörenden Thema, wie ein Lockruf aus dem Totenreich, der jeden Einzelnen meint. Oder das Kojotengeheul des Titelthemas von „Il Buono, il brutto, il cattivo“ („Zwei glorreiche Halunken“).

Aber der Maestro – in den wenigen Interviews, die Morricone gestattete, ließ er sich grundsätzlich mit „il maestro“ anreden – widmete auch eine ganze Suite seinem Soundtrack zum Film „Das rote Zelt“, und, nein, den hatten wir noch nie gesehen.

Zur Person

Ennio Morricone wurde am 10. November 1928 im römischen Stadtteil Trastevere geboren. Seine Arbeiten mit dem Regisseur Sergio Leone begründeten in den 1960er Jahren seinen Weltruhm. Trotz mehrfacher Nominierungen erhielt der Komponist erst im Alter von 87 Jahren einen Oscar – für seinen Soundtrack zu Quentin Tarantinos Western „The Hateful 8“. Morricone starb am Montag in Rom an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs.

Wochen nach dem Kölner Konzert brachte die Post die Import-DVD. „Das rote Zelt“ handelte von einer gescheiterten Luftschiff-Expedition zum Nordpol, eine unwuchtige Mischung aus Brecht’schem Lehrstück und Abenteuerfilm, eine Enttäuschung. Aber unter Morricones Taktstock hatte man majestätisch dahintreibende Eisberge und gletscherschmelzende Gefühle vernommen, strahlendstes Weiß und tiefstes Blau. Kurzum, seine Musik erzählte, was den Bildern nicht zu vermitteln gelang.

Magische Momente

Zurecht berühmt sind die magischen Momente, in denen Morricones Musik eine traumartige Symbiose mit den Bildern eingeht, statt sie nur suggestiv zu unterfüttern: Der Showdown zwischen Charles Bronsons namenlosem Mundharmonika-Spieler und Henry Fondas Sadisten Frank in „Spiel mir das Lied vom Tod“; das Oboen-Thema, das am Anfang von Roland Joffés „Mission“ erklingt, als Jeremy Irons’ Pater Gabriel die Iguazú-Wasserfälle erklimmt; auch der Anfang von Gillo Pontecorvos „Schlacht von Algier“, wenn französische Soldaten zu militärischen Trommelwirbeln und gehämmerten Klavierakkorden durch die verwinkelten Gassen und über die Dächer der Kasbah stürmen – Quentin Tarantino verwendete dasselbe Stück später auf völlig andere Weise in „Inglorious Basterds“.

Viel zahlreicher sind die Beispiele, in denen die Filme ihre Entstehungszeit kaum überdauerten, die Soundtracks des Maestro aber noch heute und wohl für eine kleine Ewigkeit zu uns sprechen. Millionen Menschen können Morricones Melodie „Chi Mai“ mitsummen, kaum jemand wird sich an den Film namens „Maddalena“ erinnern, in dem sie zuerst verwendet wurde.

Für eine Handvoll Western

Morricone hat nur für eine Handvoll Western komponiert, er liebte die Zusammenarbeit mit bestimmten Regisseuren, von Giuseppe Tornatore bis Brian de Palma, doch mehr noch liebte er die Abwechslung. Unter seinen Arbeiten finden sich Sex-Komödien und Science-Fiction-Filme, Giallos, Horror-Schocker und Polit-Dramen, lustiger Schund und cineastische Meisterwerke, und alle vom arbeitswütigen, direkt auf dem Notenblatt komponierenden Meister mit derselben Sorgfalt und Ideenfülle bedacht. Als Hollywood rief, wollte Morricone nicht folgen, er blieb in Rom. Wer mit ihm arbeiten wollte, musste zu ihm kommen.

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Obwohl er, zusammen mit John Williams und Bernhard Herrmann, immer wieder als bester Komponist der Kunstform genannt wird, geht Morricones Werk doch weit über den Film hinaus. Gelernt hatte der im römischen Stadtteil Trastevere Geborene bei einem der wichtigsten italienischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, Goffredo Petrassi. Und zuvor bei seinem Vater, einem strengen Tanzkapellentrompeter. Im Alter von zwölf Jahren besuchte er bereits das Konservatorium, einen Vier-Jahres-Kurs in Harmonielehre absolvierte er in sechs Monaten. Als Studiomusiker, Arrangeur für Pop-Aufnahmen und Fernsehorchester, schließlich als Filmkomponist verdingte er sich zuerst aus dem einfachen Grund, dass er eine Familie zu ernähren hatte.

Experimentelle Musik

Jahrzehntelang komponierte und spielte (als Trompeter) er neben seiner kommerziellen Arbeit mit der „Gruppo di Improvvisazione Nuova Consonanza“ experimentelle Musik, unbedingt anhören sollte man sich deren Album „the feed-back“, eine unfassbare Mixtur aus Miles Davis’ „On the Corner“, Cans „Tago Mago“ und Neuer Musik.

Oft war es aber gerade diese Lust am Neutönerischen, die auch seine Filmkompositionen herausstechen ließ, mit ihren in die Partitur eingearbeiteten Peitschenschlägen und tickenden Uhren. Manchmal, wenn es der Inhalt des Films erlaubte, konnte ein Soundtrack glatt als Neue-Musik-Stück durchgehen, wie bei seiner „Sinfonia per l’attentato“. Oder Morricone legte einen Musica-leggera-Schlager wie den für Mina komponierten „Se telefonando“, als Serielle Musik an, wechselte sieben Mal die Tonart, zu ganz erstaunlichem, sirenenhaftem Effekt.

In dieser Verbindung von kühler Avantgarde und millionenfach verkaufter Popularmusik war Ennio Morricone eine singuläre Figur. Am Montagmorgen ist er, 91-jährig, in seiner Heimatstadt Rom gestorben.