Auch in Köln sorgt „Taylor Swift: The Eras Tour“ für volle Kinosäle. Die Vorstellungen gleichen einer großen Party.
Erfolgreichster KonzertfilmWarum Taylor Swift dem Kino die Zukunft zeigt
Am vergangenen Wochenende wollte ich ins Kino gehen, um mir Taylor Swifts Konzertfilm anzuschauen. Am Ende ging stattdessen die ältere Tochter mit einer Freundin, meine Begleitung wurde kurzerhand als zu peinlich deklariert. Zurecht, selbstverständlich. Der knapp dreistündige Film – zusammengestellt aus drei Shows ihrer „Eras“-Tour, die Swift im August im SoFi Stadium im kalifornischen Inglewood gegeben hatte – lief im Kölner Cinedom zu jeder halben Stunde in einem neuen Saal an.
Schon die 18-Uhr-Vorstellung im rund 700 Plätze umfassenden Kino 4 war so gut wie ausverkauft. Das Publikum bestand zu mehr als 80 Prozent aus Mädchen im Teenageralter. Die aßen Popcorn aus mit pastellig eingefärbten Taylor-Swift-Porträts bedruckten Eimern, sangen aus voller Kehle mit, kreischten, erhoben sich zu den beliebtesten Songs von ihren Plätzen und stürmten zuletzt nach vorne, um direkt vor der Leinwand zu „Karma Is My Boyfriend“ zu tanzen.
Mit anderen Worten: der Konzertfilm funktioniert eher wie ein Konzert als wie ein ganz normaler Kinobesuch. Nebenbei sind auch die Tickets um einiges teurer als gewöhnliche Kinokarten: 19,89 Dollar hat Swift als Preis angesetzt, nach ihrem Geburtsjahr und einem ihrer erfolgreichsten Alben. In Deutschland kommt oft noch ein Euro dazu, wegen der Überlänge.
Nach dem Eröffnungswochenende hat „Taylor Swift: The Eras Tour“ weltweit geschätzte 126 Millionen Euro eingenommen und ist damit der umsatzstärkste Konzertfilm aller Zeiten. Swift selber stehen 57 Prozent der Einnahmen zu. Neil Tennant von den Pet Shop Boys hat die 33-Jährige wegen ihrer großen Gewinnmargen einmal – halb abschätzig, halb bewundernd – die Margaret Thatcher des Pop genannt, die Marktradikale unter den zeitgenössischen Musikstars. Die gesamte „Eras“-Tour – Mitte Juli 2024 endlich auch in Deutschland zu sehen – wird Swift persönlich, einer Überschlagsrechnung der „Washington Post“ zufolge, rund 4 Milliarden Dollar einbringen.
Sogar Martin Scorcese verschiebt seinen Filmstart wegen Taylor Swift
Von außen betrachtet kann sich Taylor Swifts derzeitige kulturelle Hegemonie geradezu erdrückend anfühlen. Selbst Altmeister Martin Scorsese musste den Start seines neuen Dramas „Killers of the Flower Moon“ um eine Woche verschieben. Nicht, dass sich sein Publikum nennenswert mit dem des Popstars überschneidet. Doch Swift okkupiert einfach einen zu großen Anteil der medialen Aufmerksamkeit (und die größten Leinwände noch dazu).
Vielleicht ist das jedoch gar nichts Schlechtes. Sondern ganz im Gegenteil ein deutlicher Hinweis auf die Zukunft des Kinos. Das hat sich von den Lockdown-Jahren nämlich noch nicht wirklich erholt. 2019 verkauften deutsche Filmtheater Tickets im Wert von 118,6 Millionen Euro, 2022 waren es gerade mal 78 Millionen Euro. Und schon vorher war es vor allem das junge Publikum, das ausblieb: 2015 besuchten noch 41 Prozent der Deutschen zwischen zehn und 29 Jahren ab und an ein Kino, schon 2019 waren es nur noch 34 Prozent.
Warum sollte man sich denn auch über klebrige Teppiche und quatschende Sitznachbarn ärgern, ja warum sollte man überhaupt noch eine Hose anziehen, wenn man den gewünschten Film doch genauso gut vom heimischen Bett oder Sofa aus streamen, beziehungsweise bei Nicht-Gefallen einfach das Programm wechseln kann?
In meinen Zwanzigern ging ich zwei- bis dreimal die Woche ins Kino. Und immer war es etwas Besonderes. Wenn ich das meinen Töchtern erzähle, habe ich mich sofort als alter Mann abgestempelt. Irgendwann zogen selbst Marvel-Filme nicht mehr, die sind doch auch nur künftiger Content für Disney+, mehr vom selben.
Während „Taylor Swift: The Eras Tour“ in den schönsten Sälen läuft, kann man nebenan immer noch „Barbie“ und „Oppenheimer“ besichtigen. „Barbenheimer“ war das große Kinoereignis des Sommers, zwei Filme, die keinem Franchise angehörten (auch wenn einer davon Plastikspielzeug verkaufte), sondern sich durch ihre Originalität auszeichneten. Zwei Filme, die man im Kino gesehen haben musste. „Oppenheimer“, weil seine Bildgewalt nach der größtmöglichen Leinwand und der bestmöglichen Projektion verlangte. „Barbie“, weil hier der Besuch zum kommunalen Erlebnis wurde, junge Frauen warfen sich in rosa Schale und feuerten lauthals feministische Monologe an.
In einem Medium Einmaligkeit herzustellen, das sich durch seine technische Reproduzierbarkeit auszeichnet, das klingt paradox. Aber das Ereignis ist eben weniger der Film, sondern das, was in dem Augenblick passiert, in dem man ihn sich gemeinsam anguckt. Für die Swifties, die ihrem Star im Kino nun für sehr viel weniger Geld sehr viel näher kommen können als in den Stadien, wird jede Vorstellung zum Fest und der Kinosaal zur Black Box einer gemeinschaftsstiftenden Erfahrung.
Im Dezember folgt noch Beyoncés Konzertfilm in den Kinos. Zwei Diven machen noch keinen Kinofrühling, aber man braucht nun mal große Namen, um Neues im Mainstream durchzusetzen. Das letztlich die Wiederentdeckung eines alten Kinogefühls ist. Vor ein paar Monaten hatte ich in einem kleinen Kino in Manhattan eine Vorstellung der Komödie „Theater Camp“ gesehen. Die setzt sich im Wesentlichen aus Insider-Jokes für Theaterverrückte zusammen, was hier wunderbar verfing, weil das auf große Teile der Zuschauer zutraf. Kurz, der Saal bebte und ich lachte lauthals mit, auch wenn ich den Witz gar nicht verstanden hatte.
Das ist die Rückkehr in die Zukunft, die Swift verspricht: der Zauber eines vollbesetzten Hauses und eines miteinander verschworenen Publikums.