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Erfolgsgeschichte aus SülzKölner Antiquar wird mit 83 zum TikTok-Star

Lesezeit 5 Minuten
Daria Razumovych und Klaus Willbrand vor dem Antiquariat in Köln-Sülz.

Daria Razumovych und Klaus Willbrand vor dem Antiquariat in Köln-Sülz.

Klaus Willbrand war mit über 80 kurz davor, sein Antiquariat aufzugeben – da überredete ihn eine gute Freundin, Videos für soziale Medien zu drehen. Mit überraschendem Erfolg.

Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass dieser Mann in den sozialen Medien ein Star wird: Ein 83-Jähriger mit langem, weißem Haar, der vor einer Bücherwand sitzt und bei gedämpftem Licht über klassische Literatur spricht? Klaus Willbrand hielt es für sehr unwahrscheinlich. Der Kölner Antiquar war deswegen auch erstmal nicht sonderlich begeistert, als eine gute Freundin ihm vorschlug, mit ihm Videos für TikTok, Instagram und YouTube zu drehen: „Am Anfang habe ich mich dagegen gesträubt“, erzählt er.

Doch es kamen immer weniger Kunden in seinen Laden in Köln-Sülz, in dem sich die alten Bücher bis an die Decke stapeln. Seine Literatur im Internet anzubieten, kam für ihn nicht infrage – „da bin ich ein sturer Hund“. Er war kurz davor, das Geschäft aufzugeben – doch dann lernte er vor zweieinhalb Jahren Daria Razumovych auf einem Antikmarkt kennen. Sie ist 50 Jahre jünger als er und hat nach ihrem Studium als Kunstbuch-Lektorin und in der PR gearbeitet.

Inzwischen sind sie nicht nur Freunde, sondern auch Arbeitskollegen. Denn was nur als kleiner Freundschaftsdienst gedacht war, ist inzwischen zum Vollzeit-Projekt geworden. „Wir sitzen eigentlich beide ununterbrochen an den Sachen, bis wir uns ins Bett legen – und am nächsten Morgen geht es dann weiter“, erzählt Daria Razumovych. Sie produziert jeden Tag ein Video und es kommen ständig Anfragen über die Kommentarspalten. „Und dann überlegt man natürlich auch fortwährend: Was kann man für coole neue Ideen anbieten – die Leute wollen natürlich auch nicht gelangweilt werden.“ Ein Team, das unterschiedlicher nicht sein könnte – verbunden durch ihre Liebe zur Literatur.

Innerhalb von wenigen Wochen hat Klaus Willbrands Kanal bei Instagram schon knapp 100.000 Follower, bei TikTok sind es knapp 40.000. Immer mehr Fans kommen in sein Antiquariat nach Köln oder bestellen direkt über die sozialen Medien. „Heute Morgen war ein junges Ehepaar aus der Schweiz da, die wollten den Laden hier unbedingt sehen. Ich schreibe jetzt Autogramme, die Leute wollen Bücher signiert haben oder Fotos machen“, erzählt Klaus Willbrand mit einer Mischung aus Stolz, Unglauben und Amüsement. „Ein 80-jähriger Antiquar und Tiktok. Das war für mich irgendwie nicht vorstellbar – aber wie sich herausstellte, ist das eben nicht so. Das Alter spielt eigentlich gar keine Rolle. Es kommt einfach darauf an, was man macht.“

Das Alter spielt eigentlich gar keine Rolle. Es kommt einfach darauf an, was man macht
Klaus Willbrand

Die beiden produzieren kurze Clips, in denen der Antiquar meist Fragen beantwortet wie: „Welches Werk aus dem 20. Jahrhundert sollte jeder kennen?“ (Antwort: „Zauberberg“, „Die Blechtrommel“ und „Berlin Alexanderplatz“), oder „Welcher Schriftsteller ist Deiner Meinung nach überschätzt?“ („Da muss ich ganz klar sagen: Hermann Hesse“). Klaus Willbrand spricht dabei so entspannt und auf den Punkt, als könnte man ihn auch nachts um 3 aufwecken, um aus dem Stand ein Video aufzunehmen. Ein wandelndes, digitales Literaturlexikon mit starker Meinung.

Der Suhrkamp-Verlag hat inzwischen schon eine eigene Webseite zusammengestellt, auf dem er exklusiv die Empfehlungen von Klaus Willbrand präsentiert. Und in den Kommentaren schreibt jemand: „Hab wegen den tollen Videos mir ein Buch von Kafka & Virginia Woolf gekauft. Bin eher der Thriller & Fantasy Leser. Danke dafür (Herzchen) Gold werter Content.“ Manchmal ist die beste Zielgruppe eben da, wo man sie am wenigsten erwartet.

Klaus Willbrand beim Video-Dreh.

Klaus Willbrand beim Video-Dreh.

Seit dem ersten Video hat sich der Umsatz im Antiquariat verdreifacht, erzählt Klaus Willbrand – „allerdings von einem extrem niedrigen Niveau“. Daria Razumovych zeigt auf ein paar Lücken in den ansonsten voll gestopften Regalreihen. Die Idee mit den „Mystery Boxen“ war ein voller Erfolg: Die Überraschungspakete mit jeweils drei Büchern waren sofort ausverkauft. Und selbst für ganz edle Stücke für mehrere 100 Euro finden sich durch die sozialen Medien wieder neue Käufer: „Ich hatte eine sehr schöne Ausgabe der Schopenhauer Gesamtwerke in Leder. Da habe ich in einem Video drei Sätze dazu gesagt – eine halbe Stunde später war es verkauft.“

Großes Bedürfnis nach literarischen Inhalten

Daria Razumovych und Klaus Willbrand verstehen ihren unerwarteten Erfolg nicht mehr als Zufall. Inzwischen wissen sie, dass es ein riesiges Bedürfnis nach Inhalten wie den ihren gibt. „Wir haben ja tausende von Kommentaren gelesen. Und die bestätigen, dass wir eben genau das Richtige machen. Die Leute sind uns extrem dankbar“, erzählt Klaus Willbrand. Höchstens beklage sich mal jemand, dass die Videos zu kurz und oberflächlich sind. „Darauf kann ich nur antworten: Wir sind nicht im germanistischen Oberseminar, sondern bei TikTok und Instagram.“ Was übrigens auf keinen Fall bedeuten soll, dass er inhaltlich Kompromisse machen würde: „Literatur ist nicht zur Unterhaltung da, Literatur ist Kunst!“ wird er nicht müde zu betonen.

Es sind nicht nur, aber auch sehr junge Leute, die durch die Videos ihr Interesse für Tolstoi, Proust, Emily Dickinson, Uwe Johnson, oder Dostojewski entdecken: „Die meisten sind zwischen 25 und 45 Jahre alt und kommen aus den Großstädten, vor allem aus Berlin gefolgt von Köln“, sagt Daria Razumovych. Klaus Willbrand findet, dass Kultur und Bildung heutzutage in Schule und Medien nur noch ein Nischendasein führen, das Bildungsbürgertum sei beinahe ausgestorben – Daria Razumovych schweigt dazu höflich. „Uns ist klar geworden, dass die Menschen allein gelassen werden. Kultur spielt keine Rolle mehr und wir machen – in einer ganz bescheidenen Form – plötzlich etwas, wonach die Menschen gesucht haben.“

Es sei schon immer sein Arbeits- und Lebensprinzip gewesen, nie rein des Geldes wegen zu arbeiten, sondern um „etwas halbwegs Vernünftiges zu leisten.“ Und das ist ihm offensichtlich gelungen. So schrieb eine Nutzerin zu seinem 83. Geburtstag bei TikTok: „Ihre Videos sind mir unglaublich viel wert … Sie bringen eine Ruhe und Nostalgie mit sich, die ich sehr wertschätze!“