Am Theater Bonn ist aktuell eine Neuinszenierung von Jonathan Doves Erfolgsoper „Flight“ zu sehen.
Erfolgsoper „Flight“ am Theater BonnEin Flughafenterminal wird zum Spiegel des Lebens
Ein Sturm wirft die Reisenden aus dem Trott. Abgesagte Flüge lassen sämtliche Pläne zerplatzen. Beim Übernachten im Flughafenterminal ist jeder auf sich und die eigenen Hoffnungen, Zweifel, Sehnsüchte, Enttäuschungen zurückgeworfen. Als am nächsten Morgen wieder die Sonne scheint und die Flugzeuge abheben, nimmt alles seinen altgewohnten Gang. Zwar hat ein Neugeborenes Mann und Frau zu glücklichen Eltern gemacht, aber sonst hat sich nichts und niemand verändert. Die Menschen bleiben, wer sie waren. Und genau darin entlarvt sich die vordergründige Komödie als insgeheime Tragödie.
Die vordergründige Komödie entpuppt sich als insgeheime Tragödie
Im noch menschenleeren Terminal besingen eine Controllerin und ein Flüchtling die Schönheit des frühen Morgens. Ihre hymnischen Arien verbinden sich zum zänkischen Streitduett. Sie verachtet die drängelnden, quasselnden Menschen, er ist dagegen auf deren Almosen angewiesen. Dann füllt sich die Halle. Ein Paar erhofft sich im Urlaub neuen Schwung für die eingefahrene Beziehung; smartes Bodenpersonal kommuniziert mehr durch Sex als Worte miteinander; eine ältere Dame erwartet einen viel jüngeren Liebhaber; und eine Schwangere lässt ihren Diplomatengatten allein nach Minsk reisen.
„Flight“ ist die erste von inzwischen dreißig Opern des 1959 in London geborenen Jonathan Dove. Das 1998 beim Glyndebourne Festival uraufgeführte Erfolgsstück hat bisher mehr als dreißig Neuproduktionen in Europa, Australien und den USA erfahren. Das Libretto von April de Angelis basiert auf der realen Geschichte des iranischen Flüchtlings Mehran Karimi Nassari, der von 1988 bis 2006 im Transitbereich des Pariser Flughafens Charles de Gaulle lebte. Auch Steven Spielberg adaptierte dessen Schicksal 2004 im Film „The Terminal“ mit Tom Hanks in der Hauptrolle.
„Flight“ basiert auf der realen Geschichte eines Geflüchteten
Komponist und Librettistin betonen die Alltäglichkeit und Gleichförmigkeit des Transitraums. Floskelhafte Sprache, Banalitäten, Wortwitz und Slapsticks deuten dahinter liegende Einzelschicksale und Ausbrüche aus der Routine allenfalls an. Der Staatenlose spielt keine wirkliche Hauptrolle. Ihm wird geholfen und auch übel zugesetzt. Die Sturmnacht verbringt er eingeschlossen in einer Transportkiste. Als klar ist, dass sein Zwillingsbruder die benötigten Papieren niemals bringen wird, hat die Einwanderungsbehörde ein Nachsehen. Während der Refugee den Terminal als neues Zuhause annimmt, reisen die anderen frohgemut ab. Am Ende sind alle glücklich und zufrieden. Die Operette blendet die Wirklichkeit aus zugunsten einer verharmlosenden Scheinwelt.
Die Musik ist tonale, repetitiv, eingängig und zeigt Affinitäten zu Musical und Minimal Music. Es gibt energisch pulsendes Schlagwerk, triumphierende Fanfaren, strahlende Dur-Akkorde. Das Beethoven Orchester Bonn unter Leitung von Daniel Johannes Mayr glänzt, stürmt, jubiliert. Die Singstimmen entfalten ariose Bögen, schwärmerische Duette, volltönende Ensembles und heiteres Parlando. Doch fehlt es an melodischer, harmonischer und instrumentaler Charakteristik und Varianz. Gegenüber Handlung und Personen bleibt die Musik gleichförmig und beliebig. Allenfalls der Orkan wird gehörig illustriert. Und der zurückkehrende Diplomat (Mark Morouse) kann gegenüber seiner Frau immerhin erstmalig von seinem Egotrip absehen und Gefühle aussprechen: „I, I, I, I, I have missed you“.
Gegenüber Handlung und Personen bleibt die Musik beliebig
Die Sängerinnen und Sänger sind allesamt hervorragend. Als eine andere Art Königin der Nacht überstrahlt Sophia Theodorides vom Kontrollturm aus das Treiben in der Wartehalle. Countertenor Benno Schachtner stellt den Flüchtling stimmlich als Sonderfall heraus. Und während sich Samuel Levine und Carl Rumstadt in den Rollen von Bill und Flugbegleiter eine homosexuelle Eskapade gönnen, verbinden sich nach durchzechter Nacht Ava Gesell, Tina Josephine Jäger, Susanne Blattert und Sarah Mehnert als zurückgelassene Frauen zum verkaterten Stakkato-Quartett. Als strenger Bassbariton-Beamter lässt sich Christopher Jähnig schließlich vom Schicksal des Flüchtlings erweichen.
Adriana Altarasʼ Inszenierung setzt auf ironischen Hyperrealismus. Zwischen situativ treffend gestalteten Statisten agieren die Vokalisten höchst lebendig mit sprechender Mimik, Gestik und Personenfühlung. Das Bühnenbild von Christoph Schubiger zeigt einen erhöhten Ausguck der Controllerin, Wartebänke und eine Toilette, die gerne und häufig zum Rauchen und Sex genutzt wird. Das Video von Rasmus Reinecker öffnet im Hintergrund den Blick nach draußen auf abgefertigte Flugzeuge, wechselndes Tageslicht und Wetter. Die Szene vermittelt Normalität und Vertrautheit, wird aber immer wieder von surrealen Einlagen märchenhaft durchkreuzt. Das sollte man nicht verraten, sondern selbst erleben.
Besetzung: Benno Schachtner (Refugee), Samuel Levine (Bill), Susanne Blattert (Ältere Frau), Sophia Theodorides (Controller), Statisterie des Theater Bonn, Ava Gesell (Tina), Carl Rumstadt (Steward)
„Flight“, Jonathan Doves, Theater Bonn, Tickets ab 12 Euro über bonnticket.de, 6 Termine bis zum 24. März.