Am 7. Februar erscheint Salman Rushdies neuer Roman „Victory City“. Jetzt hat der Autor sein erstes Interview nach dem schweren Attentat auf ihn gegeben.
Salman Rushdies erstes Interview nach Attentat„Seit ich fast gestorben bin, lieben mich alle“
Als Salman Rushdie zur Jahrtausendwende nach New York zog, hatte er beschlossen, sich nicht länger von der Fatwa – dem Todesurteil, das der iranische Ajatollah Khomeini elf Jahre zuvor über ihn verhängt hatte – einschüchtern zu lassen. Mit dem Eifer eines Menschen, der nach langer Robinsonade von einer einsamen Insel gerettet wird, stürzte sich der indisch-britische Autor ins soziale Leben Manhattans. Besuchte Restaurants, diskutierte auf Podien, lehrte in Seminarräumen – und tanzte sogar, seinem fortgeschrittenen Alter trotzend, in Clubs die Nächte durch.
Diese Lebenslust, sagt Salman Rushdie jetzt in einem langen Porträt des „New Yorkers“, sei ihm immer wieder übel genommen worden. Schon bald nach dem ausgesprochenen Todesurteil habe es Leute gegeben, die seiner beharrlichen Existenz überdrüssig zu werden schienen. „Die Leute mochten es nicht, weil ich hätte sterben müssen“, erzählt Rushdie dem Autor David Remnick in seinem ersten Interview nach dem Angriff auf einer Konferenz in Chautauqua im US-Bundesstaat New York am 12. August 2022. Ein 24-jähriger Fanatiker hatte damals die Bühne erstürmt, mehrfach mit einem Messer auf Rushdie eingestochen und ihm lebensbedrohliche Verletzungen zugefügt.
„Jetzt, wo ich fast gestorben bin, lieben mich alle“, fährt Rushdie im Interview fort. Sein Versuch, nicht nur zu leben, sondern auch gut zu leben, sei ein schlimmer Fehler gewesen. „Fünfzehn Stichwunden zu bekommen, ist viel besser.“
Ohne Sarkasmus, lernen wir als Leser, ist so ein Leben im Schatten eines Todesurteils wohl kaum zu meistern. Es ist eine Situation, wie Kafka sie ganz ähnlich in „Der Prozess“ beschrieben hat: Selbst von Leuten, denen der religiöse Wahn oder auch das politische Kalkül hinter der Fatwa völlig klar sind, wurde Rushdie wie ein Verurteilter angesehen. Wie jemand, der, um Heiner Müller zu bemühen, der Welt einen Toten schuldet.
In seinen ersten Monaten in New York, erzählt Rushdie Remnick, hätten Leute sogar Angst gehabt, sich in seiner Nähe aufzuhalten. Ob sie nicht alle besser das Restaurant verlassen sollten, hätte ihn der zufällig anwesende Maler Eric Fischl gefragt, als er mit seinem Agenten Andrew Wylie in einem exklusiven Etablissement in den Hamptons speiste. Rushdies Antwort: „Nun, ich esse gerade zu Abend. Sie können tun, was Sie wollen.“
Anlass für das Porträt im „New Yorker“ ist Salman Rushdies neuer Roman „Victory City“, der am Dienstag erschienen ist. Die ersten Kritiken fallen zum größten Teil enthusiastisch aus. Die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung ist laut Penguin Random House für April geplant.
Rushdie hat „Victory City“ als wiederentdecktes mittelalterliches Sanskrit-Epos gerahmt. Das erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens namens Pampa Kampana, das nach dem frühen Tod ihrer Mutter einer Göttin als menschliches Gefäß dient und mit seinen neuen Kräften eine ideale Stadt heraufbeschwört, in der Frauen regieren und religiöse Toleranz oberstes Gebot ist.
In einer späten Szene des Romans wird die Heldin mit einer heißen Eisenstange geblendet: „Am Anfang war da nur der Schmerz, die Art von Schmerz, die den Tod wünschenswert erscheinen ließ, eine gesegnete Erleichterung.“ Es folgen Alpträume, die allerdings ersetzen das verlorene Augenlicht wenigstens mit neuen Bildern. Rushdie hatte „Victory City“ bereits vor der Messerattacke fertiggestellt, die ihn auf einem Auge blind zurückließ.
Auch ihn plagten nach dem massiven Angriff Albträume, berichtet Rushdie im „New Yorker“, die nähmen zwar langsam ab, auch dank seines Therapeuten, doch die posttraumatische Belastungsstörung erschwere ihm das Schreiben, er komme nur sehr langsam voran: „Ich setze mich zum Schreiben hin, und nichts passiert. Ich schreibe, aber es ist eine Kombination aus Leere und Müll, Zeug, das ich schreibe und am nächsten Tag wieder lösche. Aus diesem Wald bin ich noch nicht wirklich raus.“
Ein paar Nächte vor seiner Reise nach Chautauqua habe er von einem Gladiator geträumt, der ihn mit einem scharfen Gegenstand angreift. Jetzt, sagt Rushdie, würde er sich wünschen, dass die Menschen sich wieder von seinen Geschichten gefangen nehmen ließen – und nicht von seiner Geschichte: „Ich habe immer gedacht, dass meine Bücher interessanter sind als mein Leben. Leider scheint die Welt anderer Meinung zu sein.“
Wegen angeblicher Beleidigung des Propheten Mohammed in Rushdies Buch „Die satanischen Verse“ hatte Irans damaliges geistliches Oberhaupt Ayatollah Khomeini bereits 1989 in einer Fatwa zur Tötung des Schriftstellers aufgerufen. Jahrelang lebte Rushdie unter strengem Polizeischutz an immer wieder wechselnden, geheimen Orten, unter anderem auch beim Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff in Köln. Vor dem Angriff führte er aber ein relativ normales Leben und trat immer wieder in der Öffentlichkeit auf.