Die AfD ist in Europa heimatlos geworden, aber ganz allgemein bewegt sich am rechten Rand Europas einiges auseinander.
EurofaschismusGrabenkämpfe am rechten Rand Europas
Der Essener Parteitag war für die AfD nicht nur aus ihrer Innensicht zweifellos erfolgreich: Die früher üblichen fraktionellen Grabenkämpfe blieben aus, man machte in Einigkeit und Geschlossenheit. Ein Ereignis passte freilich nicht zu der allgemeinen Harmonie, die man sich im Vorfeld wichtiger Landtagswahlen taktisch verordnet hatte: Nachdem ihr die rechte – genauer: die rechtsradikale – Fraktion „Identität und Demokratie“ im Europaparlament den Stuhl vor die Tür gesetzt hatte, trat die AfD jetzt auch aus der einschlägigen europäischen Parteienfamilie aus. Man will sich, wie zu hören ist, nach anderen Partnern umsehen, aber einstweilen ist die AfD europapolitisch heimatlos – was ihren Einfluss in Straßburg und Brüssel zweifellos erheblich schwächt.
Die Parteien des – in Deutschland wie in vielen EU-Ländern – unter Druck geratenen demokratischen Spektrums werden diese Entwicklung zu schätzen wissen. Was kann ihnen Besseres passieren, als dass ein mächtiger Gegner – oder muss man schon sagen: Feind – sich selbst zerlegt? Jenseits solcher Effekte ist indes die Frage interessant, warum eigentlich am rechten Rand des EU-Parlaments und überhaupt zwischen den rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteien Westeuropas immer wieder Konflikte aufbrechen, die die Formierung einer schlagkräftigen politischen Formation verhindern. Gibt es da neben okkasionellen vielleicht auch strukturelle Gründe?
Deshalb haben rechten Parteien in Europas Probleme miteinander
Ja, die gibt es in der Tat, und sie liegen in der latenten bis offenen Unvereinbarkeit von extremem Nationalismus und dem Streben nach transnationaler bzw. -nationalstaatlicher Kooperation, die für die demokratischen Europa-Parteien von den Konservativen über die Liberalen bis zu den Sozialisten und Grünen bekanntlich kein Problem ist. Schauen wir auf den jüngsten prominenten Beispielfall. Die Verteidigung, die der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah der – in den Nürnberger Prozessen als verbrecherische Organisation ausgewiesenen – SS angedeihen ließ, brachte vor allem für die führende Kraft der ID, Frankreichs Rassemblement National unter Marine Le Pen, das einschlägige Fass zum Überlaufen.
Tatsächlich ist es gerade für rechtsnationalistische Franzosen eine Zumutung, dass ausgerechnet jemand aus dem Tätervolk eine Organisation schönredet, deren Mitglieder schließlich für das Massaker von Oradour und andere Verbrechen im eigenen Vaterland verantwortlich waren. Dieser Punkt toppt ganz eindeutig anderwärtige ideologische Übereinstimmungen, etwa in der Ablehnung der liberalen modernen Demokratie und in der Haltung zur Migrationsfrage. Hier steht der hausgemachte Nationalismus ganz vorne, er kann verhindern, dass man sich mit anderen, von Haus aus ähnlichen Nationalismen verbündet. „Eurofaschismus“ – dieses Konzept ist ein Widerspruch in sich selbst.
Auch der klassische Faschismus kam internationalen an seine Grenzen
Das gilt übrigens bereits für den klassischen Faschismus der 20er und 30er Jahre bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Zweifellos blühten seinerzeit in vielen europäischen Ländern rechtsextreme Parteien auf, die auch miteinander zu kooperieren suchten. Solche Verbrüderungsversuche kamen je nach dem aber auch schnell an ihre Grenzen. Hitler kostete es bekanntlich – nicht nur, aber auch wegen der Südtirol-Frage – einige Mühe, Italiens Diktator Mussolini ins eigene Boot zu holen. Und sein Verhältnis zum spanischen Caudillo Franco war legendär schlecht.
Schließlich triggerte die brutale Besatzungspolitik im Krieg nicht nur Kollaboration im Westen, Norden und Süden – ja, die gab es zweifellos –, sondern zu massiven eigenen Ungunsten auch eine kollektive Einstellung, die man sich doch selbst auf die Fahnen geschrieben hatte: einen ausgeprägten Nationalismus in den geschundenen Ländern, der jetzt aber hasserfüllt-deutschfeindlich war. Als der nationalistische und von Haus aus durchaus nazifreundliche norwegische Nobelpreisträger Knut Hamsun im Gespräch mit Hitler diesen auf die Bestialitäten des deutschen Okkupationsregimes hinzuweisen wagte, holte er sich eine aggressive Abfuhr. Nationalismus verträgt sich eben nicht gut mit anderen Nationalismen.
Die AfD warnt vor der Melonisierung der europäischen Rechten
Dass da auch und gerade aktuell in der rechtspopulistischen bis -rechtsextremen Szene in Europa jenseits der Causa Krah und der AfD vieles nicht zusammenpasst – es lässt sich an zahlreichen Positionen und Tendenzen beobachten. Die AfD schmäht die italienische Regierungschefin und warnt vor einer Melonisierung der europäischen Rechten. Die polnische PiS, früher mit Viktor Orbáns Fidesz-Partei schwesterlich vereint, will von dieser inzwischen nicht mehr viel wissen: In der Frage der Ukraine-Unterstützung hat sich zwischen den ideologischen Nachbarn ein tiefer Graben aufgetan. Den Antiamerikanismus der AfD wiederum teilen weder Kaczynski noch Orbán. In der Gegnerschaft zur EU sind sich die Rechten freilich einig – wobei aber die Frage unbeantwortet bleibt, wie man nationalistische Interessen noch wirksam vertreten will, wenn Europa insgesamt auf der weltpolitischen Bühne in die Macht- und Bedeutungslosigkeit sinkt.
Wie auch immer: Am rechten Rand Europas wie des EU-Parlaments gibt es zurzeit intensive Gärungsprozesse, Prozesse der Sezession und Neukombination, die von der ausgeprägten, dabei alles andere als zufälligen Neigung zur Selbstbeschäftigung zeugen. Tatsächlich kann das den Parteien des demokratischen Verfassungsbogens einstweilen nur recht sein. Sollte irgendwann in Europa doch noch die Bildung einer potenten rechten Querfront von Wilders bis Weidel, von Le Pen über Meloni bis Orbán gelingen, dann müssten sich die Demokraten des Kontinents wirklich warm anziehen.