AboAbonnieren

Fast vergessene WiderstandskämpferinKölner Theater zeigt „Annette, ein Heldinnenepos“

Lesezeit 3 Minuten
Neuer Inhalt (6)

Das Freie Werkstatt Theater zeigt die Résistance-Kämpferin Annette.

Köln – Fast ein Jahrhundert lang hat sie gelebt, die Französin Anne Beaumanoir (1923-2022), genannt Annette, und ihre Lebensgeschichte wäre weitgehend verborgen geblieben, wenn ihr nicht die deutsche Autorin Anne Weber mit „Annette, ein Heldinnenepos“ ein wundervolles literarischen Denkmal gesetzt hätte. Das mit dem Deutschen Buchpreis 2020 ausgezeichnete Werk kommt nun als kongeniale Bühnenfassung ins Freie Werkstatt Theater (FWT).

Regisseur Guido Rademacher hat die klug zusammengefasste Textversion von Gerd Seidel als mitreißende Mischung aus persönlicher Biographie und historischem Abriss eines ganzen Jahrhunderts inszeniert. Die Schauspieler Mirka Ritter, Daniel Kuschewski und Brit Purwin teilen sich den Part des Erzählers. Wie in dem Buch von Anne Weber zieht die rhythmische, aber nicht gereimte Form des Erzählens und der Werdegang dieser Frau den Zuschauer in seinen Bann. Nicht aus der Ich-Perspektive wird hier berichtet, sondern mit der nötigen Distanz zu der Protagonistin. Deren Überzeugungen und Zweifel bilden den Motor für diese nuancenreiche mal hoch emotional mal mit schelmischer Ironie vorgetragene Heldinnengeschichte.

Im Stück trifft Revolutionärin Annette die Härte der Realität

Als junges Mädchen geht Annette zur Résistance, um gegen die Nazi-Besatzung zu kämpfen. Mit jugendlichem Eifer träumt sie von einem Leben als Revolutionärin, bereit, jedes persönliche Opfer für die gerechte Sache zu bringen. Schnell muss sie erkennen, dass sie ihre individuelle, idealistische Haltung in Konflikte mit den politischen Realitäten bringt. Eine eigenmächtige Evakuierungsaktion für bedrohte Juden in Paris rettet einem jungen Paar das Leben, bringt ihr aber wegen Verletzung der strengen Kampfdisziplin im Untergrund eine Strafversetzung nach Lyon ein.

Neuer Inhalt (6)

Das Stück basiert auf dem Roman von Anne Weber

Auf der Bühne wird die mutige Rettungstat wie ein Kriminalfall mit Hilfe von Stadtplänen und Videoprojektionen bis zum gleichzeitig glücklichen und bitteren persönlichen Ende aufgefächert. Die große Politik, meist gemacht von Männern, geht nicht gerade behutsam um mit Menschen wie Annette. Umso eindrucksvoller erscheint ihr beharrlicher Wille, ihrem moralischen Kompass trotz großer persönlicher Opfer zu folgen.

Die moderne Heldin auf der Bühne des FWT

„Vollbringer menschheitsfördernder Taten“ definierte Victor Klemperer den modernen Helden und Annette kommt dieser Maxime schon ziemlich nahe, auch wenn nicht alle Bausteine ihrer Biographie sich glatt zu einem Lebensgebäude zusammenfügen lassen. Für dieses brüchige biographische Bauwerk steht in der Inszenierung ganz plastisch ein bruchstückhaft aus Holzresten zusammengesetztes Haus, das Anil Tepe, der Techniker des FWTs, im Laufe des Stückes rund um die Schauspieler errichtet.

Multiperspektivisch mit Livekameras, dem Einsatz von Musik und historischen Dokumenten schreitet die Geschichte voran. Immer getragen von der Frage, wie bleibt Annette eine idealistische Revolutionärin, wenn sie gleichzeitig die bittere Lektion lernt, dass „die erfolgreichen Revolutionen Bürokratie und Terror absondern“? Dass ihr Frankreich, für dessen Befreiung von der Naziherrschaft sie so viel geopfert hat, in den 1950er Jahren als Kolonialmacht einen blutigen Krieg gegen die algerische Unabhängigkeitsbewegung führt, treibt die mittlerweile als Neurophysiologin und Ärztin, Gattin und Mutter zweier weiterer Kinder in Marseille lebende Frau erneut in den Untergrund.

Das könnte Sie auch interessieren:

Auch das Abenteuer in Nordafrika hält Enttäuschungen bereit: Aus der Befreiungsfront FLN erwächst nach dem Sieg ein diktatorisches Regime. Wie sich in diesem Lebenslauf privates in politisches verwandelt, Umbrüche zu Aufbrüchen werden und moralische Maßstäbe den Stresstest in der Realität bewältigen müssen, gestaltet sich zu einem eindringlichen Theatererlebnis. Ein Abend, der zum Nachdenken einlädt, eine schönere Würdigung kann einem Leben, dem ein „Denk – mal“ aus Worten errichtet wurde, kaum widerfahren.

Termine

28. und 29 September, 12 und 13. Oktober, jeweils 20 Uhr, FWT, Zugweg 10, 50677 Köln