„Tschick“-Regisseur Fatih Akin„Das hat mir ganz schön das Herz gebrochen“
Herr Akin, alle lieben „Tschick“. Und jeder, der den Roman kennt, hat seine eigenen Bilder im Kopf. Musste der Film wirklich sein?
Ja, natürlich. Ich finde, jede gute Geschichte hat das Recht, verfilmt zu werden. Filme sind früher nur durch Bücher entstanden. Wenn ein Film dazu beiträgt, dass ein Buch noch mehr gelesen wird – warum nicht?
Der Roman wurde zwei Millionen Mal verkauft, in 24 Sprachen übersetzt, am Theater wird „Tschick“ zurzeit öfter gespielt als „Faust“. Konnten Sie sich überhaupt von Erfolgsdruck frei machen?
Ziemlich frei. Man muss das wie Tschick machen – mit einem gewissen Leichtsinn. Einfach losfahren. Wenn man da zu zögerlich ist und sich fragt, wie kann ich es allen recht machen, dann geht das nicht. Ich glaube ja, dass es zwei Millionen Versionen von „Tschick“ gibt. Weil jeder Leser das Buch anders empfindet.
Was war Ihr Tschick-Moment?
Ich war auch mal sehr unglücklich in ein Mädchen in meiner Klasse verliebt, das mich nicht mit dem Arsch angeguckt hat. Das ging länger als bei „Tschick“, jahrelang. Das hat mir ganz schön das Herz gebrochen. Irgendwann hat sich das Leben gedreht. Dann wollte sie was von mir, aber ich nichts mehr von ihr. Der Herrndorf hat das charmant beschrieben. Das und die Freundschaft der Jungs. Freundschaft ist ähnlich wie 'ne Beziehung – man muss dran arbeiten. Und Isa ist ein toller Charakter, da wollte ich ein Bild zu malen.
Haben Sie tatsächlich Szenen für den Film gemalt?
Nein, ich bin kein guter Zeichner. Aber ich habe mir die Herrndorf-Bilder angeguckt und versucht, mit meinem Kameramann das Licht so einzufangen wie bei ihm. Wir haben geguckt: Wo sind bei ihm die Horizonte, wie stehen die Baumreihen? Schieb mal die Kamera nach links, damit es mehr wie bei Herrndorf aussieht.
Wie ist Ihre Gefühlslage?
Ich hatte viel größeren Gegenwind aus der Branche erwartet – man denke an „Das Parfum“ oder „Der Name der Rose“, die ja gute Filme sind. Dass „Tschick“ bei Voraufführungen dann doch so wohlwollend aufgenommen wurde, freut und überrascht mich.
Hat das auch damit zu tun, dass Ihr vorheriger Film „The Cut“ bei Kritik und Publikum durchfiel? Sind Sie ängstlicher geworden?
Man sollte die Filme nicht ohne Angst machen. Man muss sie aber im Griff haben. Das ist wie mit einem Hund: Angst ist der beste Freund des Menschen, aber wenn man sagt: „Sitz!“, dann muss sich die Angst auch setzen.
Manchmal gehorcht sie aber nicht.
Ich arbeite dran. So ein Projekt wie „Tschick“ hat ja auch mit Angstbewältigung zutun. Klar war „The Cut“ ein schwerer Schlag, und ich bin dankbar, dass mir „Tschick“ die Chance gab, den Schmerz wegstecken zu können.
Filmen als Selbsttherapie?
Es hätte für mich nicht besser kommen können. Ich war gerade in so einer Depression – nicht mental, sondern berufsmäßig. Ich hatte viele Zweifel. Dann kam das Angebot, und ich dachte: Jetzt hast du schon so viel abgekriegt, was soll dir noch passieren? Ursprünglich wollte ich den Film schon vor vier Jahren machen, als ich „Tschick“ zum ersten Mal gelesen hatte. Das war im Oktober 2011, nach der Buchmesse. Ich war noch nicht mal ganz durch, als ich wusste, das will ich verfilmen.
Gab's eine besondere Stelle?
Die Szene mit den Sternen. Als sie da liegen, in den Himmel gucken und „Starship Troopers“ zitieren. Da dachte ich: Das kenne ich, das berührt mich. Ich rief dann bei Rowohlt an, und die haben gesagt, dass sie sich freuen, Herrndorf aber sehr krank sei. Wie ich bald mitbekam, wollten das mindestens 50 Regisseure machen ...
.. 50?
Ich glaub' schon, so gefühlt. Ich war dann mit „The Cut“ lange weg, und als ich zurückkam, war Herrndorf gestorben, und David Wnendt sollte „Tschick“ drehen. Das war für mich auch okay. Doch plötzlich kam das Ding zurück.
Man trennte sich kurz vor Drehbeginn vom Regisseur und fragte dann Sie.
Ich habe erst mal gehofft, dass ich den Roman immer noch gut finde. Gott sei Dank war es so.
Sie sind praktisch als Retter in das fertige Projekt eingestiegen?
Ganz so nicht. Ich kam in ein Team, das darauf gewartet hat, dass es endlich losgeht. Ich arbeite ja seit „Gegen die Wand“ immer mit den selben Leuten. Und hier war bis auf meinen Kameramann und den Regieassistenten alles neu für mich. Das fand ich schon ganz interessant, mal zu sehen, wie andere das machen. Ich konnte nur lernen.
Und was haben Sie gelernt?
Dem Fremden zu vertrauen. Ich bin jemand, der die Sachen sehr präzise erarbeitet und vorbereitet. Ich brauche, habe ich gedacht, Leute nicht kennenzulernen. Weil das eh nur Zeitverschwendung ist. Und dann stehe ich vor all diesen Menschen und soll denen erzählen, was ich für eine Vision von den Film habe.
Die Zeit bis zum Dreh war kurz, was mussten Sie noch erledigen?
Casting und Script. Der Roman musste noch mal zerlegt werden. Wir haben viel umgeschrieben.
Herrndorf nannte „Tschick“ einen Jugendroman. Aber auch viel Erwachsene sind von diesem Buch begeistert und zu Tränen gerührt.
Ich glaube, er hat das falsch eingeschätzt. Er war viel zu anspruchsvoll gegenüber sich selbst, viel zu intellektuell und zu lebenserfahren. Ich will damit nicht sagen, dass Jugendliche nicht klug sind, aber... Na ja. Ich glaube auch, dass diese gewisse Nostalgie, mit der es geschrieben ist, bei den Erwachsenen Anklang gefunden hat.
Ihre Adaption wirkt auch ein wenig nostalgisch.
Wenn ich den Jugendkram von heute sehe – „Transformers“ oder „Die Tribute von Panem“ – kann ich damit nicht viel anfangen. Die sind mir zu doof, albern und peinlich. Ich liebe Filme wie die, mit denen ich aufgewachsen bin, „The Breakfast Club“, ein Meisterwerk. Fünf Jugendliche, ein Klassenzimmer, ein böser Lehrer – mehr brauchst du nicht.
Sie haben bei „Tschick“ mit einem großen Studio zusammengearbeitet. Hatten die da nicht ihre eigenen Vorstellungen von „Jugendkram“?
Ich dachte, die werden mit Marktforschung kommen, Zielgruppen, Testscreenings. Aber ich stand dem nicht ablehnend gegenüber. Ich war neugierig. Wie funktioniert das? Und ich muss sagen, die haben sich immer korrekt verhalten, meine Vision, wenn ich denn eine hatte, haben sie unterstützt.
Haben Ihnen die Testvorführungen was gebracht?
Das mache ich jetzt nur noch so. Ich muss ja nicht alles befolgen, aber es ist gut zu wissen, was Leute von dem Film halten, die nicht meine Freunde sind.
„Tschick“ ist Ihre erste Literaturverfilmung. Wäre das auch künftig was für Sie?
Ich liebe Bücher – mal gucken, was ich heute dabei habe: „Hallo Mister Gott, hier spricht Anna“. Es geht um ein Mädchen, das versucht, sich selbst in der Welt zu sehen. Spannend und lustig.
Und, verfilmbar?
Das will ich gerade prüfen. Ich lese eigentlich alles darauf hin.