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Festspiele Bayreuth 2024Tristan und Isolde in der Rumpelkammer des Gewesenen

Lesezeit 5 Minuten
Dieses von den Bayreuther Festspielen zur Verfügung gestellte Foto zeigt Andreas Schager (Tristan, vorne, l-r) und Camilla Nylund (Isolde) sowie Daniel Jenz (Ein Hirt, hinten, l-r), Lawson Anderson (Ein Steuermann) und Olafur Sigurdarson (Kurwenal) im 3. Aufzug der Oper «Tristan und Isolde» von Richard Wagner auf der Bühne.

Andreas Schager (Tristan, vorne, l-r) und Camilla Nylund (Isolde) sowie Daniel Jenz (Ein Hirt, hinten, l-r), Lawson Anderson (Ein Steuermann) und Olafur Sigurdarson (Kurwenal) in der neuen Tristan-Inszenierung

Die Bayreuther Festspiele eröffnen mit einer düsteren Tristan-Inszenierung des isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson.

Neulich äußerte Kulturstaatsministerin Claudia Roth den Wunsch, die Bayreuther Festspiele gehörten verjüngt und erneuert, sie mögen diverser werden und auch mal was anderes als den ewigen Wagner spielen. Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ zum Beispiel. Abgesehen davon, dass die Ministerin auch nach zahlreichen Bayreuth-Besuchen den Markenkern dieses Festivals nicht verstanden hat, und abgesehen davon, dass man Humperdinck als Wagner-Adepten durchaus in intelligent gemachten Nebenprogrammen präsentieren könnte: In Bayreuth gehören ganz andere Dinge auf den Prüfstand. Zum Beispiel das völlig aus der Zeit gefallene, neo-feudale Ritual der Eröffnung mit rotem Teppich und der unverdaulichen Mischung aus schlecht gekleideter Polit-Prominenz und abgehalfterten Show-Größen, das dem Rest der Gäste ein hysterisches Sicherheits-Tamtam mit kriegstauglicher Polizeipräsenz beschert.

Dabei fehlen dieses Jahr etwa Angela Merkel und Ursula von der Leyen. Und als Claudia Roth auf dem Balkon Platz nimmt, stimmen ein paar Spaßvögel zwei Reihen davor im Parkett grimmig den „Abendsegen“ aus „Hänsel und Gretel“ an. Die Ministerin wird das nicht bemerkt haben.

Dann wird es endlich dunkel, wie immer weiß man vorher rein gar nichts, Details der Premiere unterliegen der Schweigepflicht, Fotos gibt es erst nach dem Schlussapplaus. Freilich werden vorher Interviews geführt, und was der in Bayreuth-Debütant Thorleifur Örn Arnarsson zu Protokoll gab, las sich interessant und sympathisch.

Der „Tristan“ ist freilich eine Herkulesaufgabe, Opernregisseure müssen sich fast verhöhnt fühlen

Der „Tristan“ ist freilich eine Herkulesaufgabe, Opernregisseure müssen sich fast verhöhnt fühlen davon, dass Wagner sein Musikdrama lapidar mit „Handlung in drei Aufzügen“ untertitelte. Tatsächlich geschieht während der viereinhalbstündigen Spieldauer an äußerer Handlung fast gar nichts.

Das wusste der Regisseur natürlich, und er versucht erst gar nicht, gärende innere Bewegungen in leeren Aktionismus zu übersetzen. Er setzt im Gegenteil auf statische, Tableau-artige Anordnungen, in denen die Akteure zumeist aneinander vorbei agieren. Unmögliche Kommunikation ist schließlich eines der zentralen Themen des Werks.

Aber hätte man dem Regisseur und seinem Bühnenbildner Vytautas Narbutas nicht rechtzeitig sagen können, dass das Bayreuther Parkett dreißig Reihen zählt? In Reihe 27 jedenfalls sieht man über weite Strecken des Abends wenig, man erkennt viele ausgefuchste Details nicht, geschweige denn, dass man die reduzierte Körpersprache entschlüsseln könnte. Zumal Sascha Zauner überwiegend Dämmerlicht herrschen lässt.

Auf der Bühnen werden Kitsch und Ikonen der Kulturgeschichte entsorgt

Im ersten Akt hängen von der Decke dicke Seile über Bodennebel, vielleicht Schiffs-Taue oder Teile einer Takelage, später wird tatsächlich ein Schiffsrumpf angedeutet. Isolde trägt einen gigantisch verlängerten Rock aus Papier, der zunächst im Kreis um sie herum gebreitet ist, sowie seltsame Puffärmel. Oder sind es gefledderte Engelsflügel? Mit der Zeit ahnt man, dass ihre Kleidung beschriftet ist, sie selbst kritzelt weiter an den Schriften, schreibt sie Tagebuch?

Sibylle Wallums Kostüme tummeln sich in einem zeitlosen Fantasy-Universum, in Momenten seltener Erleuchtung erhascht man ein paar größere Schriftzüge: „Cornwall“, steht da, oder „Morold“, „Trotziger Mann!“. Es sind Zitate aus Wagners Libretto. Ansonsten geschieht wenig. Und das Entscheidende geschieht nicht: Den Todestrank, der in Wahrheit ein Liebestrank ist, trinkt keiner von beiden. Dafür trinkt Tristan am Ende des zweiten Aktes einen neuen Trank, diesmal ist es der Todestrank. Selbstmord statt Tod durch Melots Schwert.

Solches geschieht dann in der Rumpelkammer des zweiten Akts in der Ruine eines Schiffsbauchs. Kitsch und Ikonen der Kulturgeschichte wurden hier entsorgt, Antiken, Caspar David Friedrichs „Greifswalder Hafen“, das Ganze ein Wimmelbild für Kenner, wenn man denn genauer sehen könnte.

Camilla Nylund gelingen als Isolde die lyrischen Passagen wunderbar

Der Riesenrock mit den Schriften bleibt jedenfalls erhalten, er wird zerknüllt und hinterher geschleift, wie Linus bei den Peanuts es mit seiner Schmusedecke tat. Tristan und Isolde kommen sich auch im Liebesduett nicht wirklich nahe, was nichts Neues ist. Nur schafft Thorleifur Örn Arnarsson es nicht, eine Spannung herzustellen, die von den inneren Konflikten erzählt, sie spürbar macht.

Dafür weiß Semyon Bychkov im Graben, wie man innerhalb weniger Sekunden die Zeit anhält: Die ersten Takte des berühmten Vorspiels nimmt er atemberaubend langsam, tastend. Sie kriechen zögerlich aus dem Graben, wie aus dem Urschlamm der ältesten Ängste. Dann die erste Generalpause: Endlos! Geht es noch weiter? Doch, aber schon ist man in der „Tristan“-Zeitrechnung. Bychkov entwickelt später durchaus Drive und Struktur, aber er verzichtet auf fingerzeigende Effekte und exzessive Ausbrüche. Sein Wagner leuchtet und brütet nach innen.

Dabei nimmt er auch Rücksicht auf Camilla Nylund, deren lyrisch timbrierter, silbrig leuchtender Sopran nun einmal kein hochdramatisches Kaliber besitzt, ihr fehlt die flammende Attacke mit gebieterischen Höhen. Dafür gelingen ihr die lyrischen Passagen wunderbar. Im Dialog mit Andreas Schagers kraftvollen Tristan ist unüberhörbar, dass hier zwei Stimmen aus verschiedenen Sphären zueinander finden sollen. Schagers kraftvoller Heldentenor besitzt unendliche Reserven und Draufgängertum, dem er Farben und nuancierte Piani opfert. Dafür zahlt er im letzten Akt, aber in der Summe ist sein Tristan ein Triumph.

Durchwachsen der Rest: Christa Mayers Brangäne klingt präsent, flammend, leichte Schärfen inklusive, Olafur Sigurdarsons Kurwenal ist auch stimmlich ein rechtes Raubein, klingt forciert, wird aber heftig akklamiert, Günther Groissböcks Marke singt mit technischem und emotionalem Überdruck, die Stimme klingt gefährdet. Aus den kleinen Rollen ragt Matthew Newlins berückend lyrischer Junger Seemann heraus.

Fazit: Ein seltsamer Abend, ambitioniert gedacht, gebremst von Sichtproblemen. Riesenapplaus fürs Musikalische, Jubel für die Sänger, einige Buhs für das Leitungsteam.