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Film, Serien, RomanWas fasziniert bloß alle so an Sisi?

Lesezeit 4 Minuten
Dominique Devenport als Sisi und Jannik Schümann als Franz. Sie trägt ein goldenes Kleid, er eine dunkelblaue Uniform.

Sisi (Dominique Devenport) und Franz (Jannik Schümann) in der RTL+-Adaption der Sisi-Geschichte. Bald startet die zweite Staffel der Serie.

Ein Kinofilm, zwei Serien, Karen Duves neuer Roman. Die österreichische Kaiserin Elisabeth fasziniert die Massen noch immer. Warum eigentlich?

Stellen Sie sich eine Frau vor, die ihr Leben lang mit ihrem Körper kämpft. Endlose Diäten, vermutlich bis zur Essstörung, penible Kontrolle des Gewichts und der Maße, stundenlange Haar- und Zahnpflege, endloses Sportprogramm, Gewaltmärsche. Schön muss sie sein, repräsentieren und ansonsten den Mund halten. Was sie denkt und fühlt, interessiert niemanden. Das Verhältnis zu Mann und Kindern ist äußerst angespannt. Würden Sie gerne mit ihr tauschen?

Vermutlich nicht. Und doch ist diese Frau auch heute noch ein Mythos. Ihr Leben wird verklärt, bewundert und bis ins Detail beleuchtet. Elisabeth, Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn, weithin bekannt unter ihrem Spitznamen Sisi, bringt auch heute noch die Massen dazu, ihr sehr viel Zeit zu widmen.

RTL+ hat im vergangenen Jahr eine Serie über Sisi veröffentlicht, deren zweite Staffel im Dezember startet. Netflix legte im September mit „Die Kaiserin“ nach. Vicky Krieps verkörperte die Monarchin im Sommer im Kinofilm „Corsage“. Und die preisgekrönte Schriftstellerin Karin Duve hat ihr einen kürzlich erschienenen Roman gewidmet.

„Sie pappt an mir wie Grießbrei“

Und über allem schweben natürlich die drei „Sissi“-Filme aus den 1950er Jahren, die Romy Schneider berühmt und gleichzeitig sehr unglücklich machten. Wir werden sie zu Weihnachten wieder sehen in der Rolle, über die sie später sagen sollte: „Sie pappt an mir wie Grießbrei.“ So groß war der Druck, dass Schneider nach Frankreich floh. Dort wurde sie ein großer Filmstar, aber die Deutschen verziehen ihr nie, dass sie die Liebe, die sie ihr als Sissi entgegenbrachten, nicht erwiderte.

Am Mittwochabend stellte Karen Duve ihre Sisi-Interpretation auf Einladung des Literaturhauses im Kölnischen Kunstverein vor. Drei Bücher zu Gegenwartsthemen hatte sie geschrieben, doch nichts änderte sich, stellte sie nüchtern fest. „Für mich war das auch ein bisschen Eskapismus“, sagte sie über die Entscheidung, sich intensiv mit dem 19. Jahrhundert zu beschäftigen. „Wer weiß, wie lange das alles noch geht - Zivilisation, Literaturbetrieb. Was will ich in der Zeit noch schreiben?“.

Für mich war das auch ein bisschen Eskapismus
Karen Duve über ihre Entscheidung, einen Roman über Sisi zu schreiben

Ihre Antwort: „Etwas, das richtig Spaß macht.“ Sie konzentriert sich in ihrem Roman auf die Reiterin Sisi, die für ihre Waghalsigkeit bewundert wurde. Mit Menschen kam sie nicht gut klar, mit Tieren hingegen schon, lässt Duve eine ihrer Figuren die Kaiserin analysieren. Sie selbst glaubt, dass die lebensgefährlichen Treibjagden, an denen sie mit Vorliebe in England teilnahm, ein Mittel waren, ihre Depressionen und Dämonen zu bekämpfen. Wer sich auf etwas so Angsteinflößendes und Gefährliches konzentrieren muss, hat keine Zeit, über etwas anderes nachzudenken.

Duve schildert Elisabeth zu einer Zeit, als sie knapp 40 ist und sich der Frage stellen muss, wie sie damit umgeht, dass auch ihre legendäre Schönheit langsam vergeht. Sie ließ sich da schon seit langem nicht mehr fotografieren.

„Meine Aufgabe ist es, die Geschicke des Reiches zu lenken, deine Aufgabe ist lediglich zu repräsentieren“, sagt der Kaiser in „Corsage“ zu der von Vicky Krieps gespielten Monarchin. Auch diese Sisi kämpft gegen das Älterwerden an. Sowohl in diesem Film als auch in Karen Duves Buch eröffnet die Konzentration auf eine spätere Phase ihres Lebens neue Perspektiven. Die Frau hinter der perfekten Fassade schimmert zumindest durch.

Die RTL+Serie und auch die Netflix-Version hingegen konzentrieren sich auf die blutjunge bayerische Prinzessin, die ahnungslos an den Wiener Hof kommt. Die unwahrscheinliche Liebesheirat in der Hocharistokratie war wohl ein wesentlicher Baustein des Mythos, der bis heute fortlebt.

Eine dem Untergang geweihte Gesellschaft

Die Monarchie ist in Deutschland und Österreich seit mehr als 100 Jahren Geschichte und ernsthaft zurückwünschen sie sich vermutlich nur die wenigsten. Parallelen sieht Karen Duve dennoch. Diese Gesellschaft sei dem Untergang geweiht gewesen und habe nur umso starrer darauf beharrt, alles so weiterzumachen wie bisher. Ist unser Umgang mit der Klimakrise nicht sehr ähnlich?

Und ist unsere heutige Faszination für die Stars des Social-Media-Zeitalters wie Kim Kardashian nicht vergleichbar zur Liebe zur Kaiserin? Kardashian kommt dem am nächsten, was in westlichen Demokratien eine Aristokratin sein könnte. Nicht ihre Leistungen machen sie reich und berühmt, sondern ihr Talent zur perfekten Selbstinszenierung. Schönheit und Fassade. Mehr wollen wir nicht sehen. Das war bei Sisi so, das war bei Diana so. Auch die „Prinzessin der Herzen“ wurde nicht um ihrer selbst willen geliebt, sondern für das, was wir in sie hineininterpretierten.

Der Mensch hinter der Monarchin interessierte zu Sisis Zeiten niemanden. Sie wurde für ihre Schönheit gerühmt und bewundert. Ihre Stimmungsschwankungen, ihr oft schwieriger Charakter, ihr mitunter grausamer und selbstsüchtiger Umgang mit ihren Hofdamen und Verwandten blieben unbeachtet.

Dem Hofzeremoniell mit seinen einengenden Regeln begegnete sie mit einer noch strengeren Selbstdisziplin. Sie bekämpfte die Härte, unter der sie litt, mit Härte. Sie war eine Frau voller Widersprüche. Das war das eigentlich Faszinierende an ihr. Aber genau diese Seite wollte niemand sehen. Daran hat sich bis heute wenig geändert.