Francis Alÿs erhält den Wolfgang-Hahn-Preis 2023 und das Kölner Museum Ludwig dafür zwei Bilder, die mit unseren Vorstellungen vom echten Kunstwerk spielen.
Francis Alÿs in KölnWie man gleichzeitig auf und gegen den Kunstmarkt wettet
Eigentlich haben wir uns längst von der Hoffnung verabschiedet, die Kunst könne die Welt in einen besseren Ort verwandeln. So viel Realismus sollte beim Blick in die Geschichtsbücher schließlich sein. Als Matthias Mühling, Direktor des Münchner Lenbachhauses und Gastjuror des Wolfgang-Hahn-Preises, seine auf Francis Alÿs gefallene Wahl begründen sollte, musste man jedoch kurz annehmen, dass es anders sei. Selten wurde die Präsentation einer Neuerwerbung für die Sammlung des Kölner Museum Ludwig vor der Presse mit derlei Pathos annonciert.
Im Grunde ist die Verleihung des Wolfgang-Hahn-Preises ein Tauschgeschäft. Der Künstler erhält das von der Gesellschaft für moderne Kunst gestiftete Preisgeld von 100.000 Euro und das Kölner Museum Ludwig dafür ein Werk, das seiner Sammlung schmerzlich fehlt. Seit die Jury letztes Jahr über den Preis beriet, so Mühling, habe sich die Welt jedoch sehr verändert und der Kunstbetrieb werde auf eine „harte Probe“ gestellt. Jetzt gehe es um die Frage, ob die Kunst fähig sei, diese Veränderung abzubilden. Den Arbeiten Alÿs traut Mühling dies offenbar in besonderem Maße zu. Wegen ihrer demokratischen Art zu kommunizieren und vor allem, weil sie zeigten: Es gibt noch andere, die von einer besseren Welt träumen.
Von einer besseren Welt zu träumen, erscheint gerade hoffnungslos naiv
Welche Veränderungen Mühling genau meinte, ließ er offen. Aber man darf wohl annehmen, dass er den russischen Krieg gegen die Ukraine im Sinn hatte und vor allem das Massaker der Hamas und den darauf folgenden Einmarsch der israelischen Armee in den Gaza-Streifen. Gerade der Krieg zwischen der Terrororganisation Hamas und Israel spaltet den Kunstbetrieb, wie lange kein anderes Ereignis mehr; die Kriegs- und Solidaritätsdebatten werden nicht selten im Modus unversöhnlichen Freund-Feind-Denkens geführt. Mit Mühling von einer durch die Kunst ermöglichten besseren Welt zu träumen, erscheint vor diesem Hintergrund trotzig-hoffnungsvoll oder hoffnungslos naiv. Schließlich träumen auch die Mörder der Hamas, und zwar von einer Welt, die besser wäre, weil darin Israel aufgehört hat zu existieren.
Man braucht die Kölner Neuerwerbung aber gar nicht mit dieser aktuellen Hypothek zu belasten. Sie entstand in den Jahren 1993 bis 1997 im Rahmen von Alÿs' „Schildermalerprojekt“ und besteht aus einem kleinen und einem großen Bild, die beide mehr oder weniger das Gleiche zeigen. Ein Mann sitzt an einem Tisch. Er trägt einen grauen Anzug. Eine Hand hat er auf der Tischplatte abgelegt, die andere unter die weiße Tischdecke geschoben. Das ist es schon und doch wieder nicht.
Das kleine Bild hat Alÿs selbst gemalt. Es ist so schlicht wie möglich. Die obere Bildhälfte ist grünlich-weiß, die untere rötlich-braun. Mit ihnen teilt Alÿs den Fußboden von der Wand. In der Bildmitte leuchtet der weiße Tisch und dahinter sitzt der zweiarmige Mann. Diese kleinformatige Komposition trug Alÿs, der seit 1986 in Mexiko-Stadt lebt, zu einem lokalen Schildermaler, der ansonsten Werbeschilder für kleine Gewerbetreibende malt. Sein Auftrag lautete, die Vorlage im hauseigenen Stil auf eine deutlich größere Metallplatte zu übertragen. Die beiden Bilder wurden danach als „Zwillinge“ für kleines Geld verkauft.
Das Schildermalerprojekt ähnelt ein wenig der Bilderserie „Lieber Maler, male mir“, die Martin Kippenberger 1981 bei einem professionellen Plakatmaler in Auftrag gab. Wie Kippenberger wollte auch Alÿs die Idee einer unverwechselbaren Künstlerhandschrift hintertreiben, indem er seine Motive an bezahlte Handwerker weiterreichte, die zwar einen eigenen Stil haben, aber keinen, der sich am Kunstmarkt vermarkten lässt. Anders als Kippenberger, der sich, vom eigenen genialen Witz gelangweilt, bald anderen Ideen zuwandte, hatte Alÿs auf lange Sicht gedacht. Als sein Malprojekt auslief, summierten sich die Bilder auf mindestens 200 Vorlagen und noch etwas mehr Kopien.
Lässt sich den Gesetzen des Kunstmarkts überhaupt entkommen?
Vergleicht man die Kölner „Zwillinge“ fallen einem etliche Unterschiede auf; die Kopie weicht deutlich vom „Original“ ab. Wand und Fußboden sind zu einer grünen Fläche verschmolzen, der Tisch steht leicht versetzt im Bild, aus blondem wurde schwarzes Haar, aus einer grünen eine blaue Krawatte. Der Auftragsmaler nahm sich also zahlreiche künstlerische Freiheiten – eine Pointe, auf die es Alÿs wohl angelegt oder auf die er zumindest gehofft hatte. Die jeweiligen Veränderungen übernahm er teilweise für seinen neuen Vorlagen, um die Grenze zwischen Original und Kopie noch etwas gründlicher zu verwischen.
Als Francis Alÿs sein Schildermalerprojekt begann, war er noch weit von seinem heutigen Status als gern gesehener Gast von Biennalen und großen Museen entfernt. Es war also durchaus ein Wagnis, darauf zu hoffen, dass sein Spiel mit den Mechanismen des Kunstmarkts von diesem überhaupt wahrgenommen wird; Mitte der 1990er Jahre lag Mexiko bestenfalls an der Peripherie des globalen Kunstbetriebs. Aber die Wette hat funktioniert. Alÿs wurde bekannter, und je höher sein Name stieg, desto teurer wurden die künstlerisch geadelten Bilder der Billigheimer. Mittlerweile stehen die Kurse so hoch, dass sich Yilmaz Dziewior, Direktor des Museum Ludwig, bei Alÿs‘ Galeristen beinahe schon überschwänglich für dessen Entgegenkommen bedankte.
So stellen sich vor den Zwillingsbildern interessante Fragen: Ist nur die kleine Vorlage ein echter Alÿs oder auch die größere Kopie, weil das Konzept schließlich von Alÿs stammt? Sind die Auftragsmaler durch ihren Einzug ins Museum Ludwig jetzt bessere Künstler? Und lässt sich den Gesetzen des Kunstmarkts überhaupt entkommen? Die letzte Frage ist beinahe so naiv wie der Traum von einer besseren Welt - Alÿs Werk setzt den funktionierenden Kunstmarkt schließlich voraus. Und was das Verhältnis von Künstler und Kopist angeht: Nach der Martin-Kippenberger-Formel schlägt Genie das Handwerk, auch wenn Gerichte das manchmal anders sehen.
„Wolfgang-Hahn-Preis 2023: Francis Alÿs“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, 18. November 2023 bis 7. April 2024