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Friedenspreis an Salman RushdieEin großes Ausrufezeichen

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Salman Rushdie in der Frankfurter Paulskirche

Salman Rushdie in der Frankfurter Paulskirche

In der Frankfurter Paulskirche ist Salman Rushdie mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt worden.

Frieden? Der erscheine ihm im Moment wie ein dem Rauch einer Opiumpfeife entsprungenes Hirngespinst, sagte Salman Rushdie am Sonntagvormittag in der Frankfurter Paulskirche. Der eskalierende Krieg im Nahen Osten und der Krieg in der Ukraine überschatteten die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den indisch-britischen Schriftsteller.

Gar nicht weit fort tobe ein der Tyrannei eines einzelnen Mannes und seiner Gier nach Macht und Eroberung geschuldeter Krieg. Das sei „ein trauriges Narrativ, dem deutschen Publikum nicht unbekannt“, sagte der 76-Jährige am Sonntag in seiner Dankesrede. In Israel und dem Gazastreifen sei zudem ein bitterer Konflikt „explodiert“.

Eine Messerattacke in den USA überlebte Rushdie nur knapp

„Wir leben in einer Zeit, von der ich nicht geglaubt habe, sie erleben zu müssen.“ Es sei „eine Zeit, in der die Freiheit - insbesondere die Meinungsfreiheit, ohne die es die Welt der Bücher nicht gäbe - auf allen Seiten von reaktionären, autoritären, populistischen, demagogischen, halbgebildeten, narzisstischen und achtlosen Stimmen angegriffen wird“.

Eine Mitschuld für die alles andere als friedliche Stimmung unserer Tage gibt Rushdie dem Internet, wo „böswillige Lügen gleich neben der Wahrheit stehen, weshalb es vielen Menschen schwerfällt, das eine vom anderen zu unterscheiden“, auch in den sozialen Medien werde „Tag für Tag die Idee der Freiheit missbraucht“.

Mit Worten gegen Waffen zu kämpfen, erscheint da vielleicht aussichtslos. Doch Rushdies Lebenswerk beweist, wie mächtig auch die scheinbar wehrlosen Worte sein können. So mächtig, dass es Menschen gibt, die ihm seit Jahrzehnten nach dem Leben trachten.

1989 rief der damalige iranische Revolutionsführer Ayatollah Chomeini wegen des Romans „Die satanischen Verse“ zur Ermordung des Autors auf. Mehr als zehn Jahre lang lebte er unter ständiger Bewachung versteckt an wechselnden Orten. Eine Messerattacke in den USA 2022 überlebte Rushdie nur knapp, er ist seither auf einem Auge blind.

Von Hass und Verbitterung ist bei ihm, dessen Name „friedlich“ bedeute, wie er betonte, dennoch nichts zu spüren. Im Gegenteil, Rushdie hat sich eine bewundernswerte Zugewandtheit bewahrt, die ihn neben seinem schriftstellerischen Werk zu einem mehr als würdigen Preisträger macht.

Man müsse „schlechte Rede mit besserer Rede kontern, falschen Narrativen bessere entgegensetzen und auf Hass mit Liebe antworten“. Die Meinungsfreiheit und freie Rede gelte es „erbittert“ zu verteidigen, zeigte sich Rushdie überzeugt, auch dann, „wenn sie uns beleidigt“.

Daniel Kehlmann nennt Rushdie einen der großen Erzähler der Literaturgeschichte

Zivilisation sei die Antwort auf Barbarei. In einem Kulturkrieg könnten Künstler, Autoren, Filmemacher, Schauspieler und Sänger gemeinsam „die Barbaren noch von den Toren fernhalten“. Verlegern rief er als Wächtern der Meinungsfreiheit zu: „Seid noch tapferer.“ Rushdie betonte, man dürfe „nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich die Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann“.

In seiner so poetischen wie politischen Rede sagte der Schriftsteller, wie wunderbar es wäre, könnte die Jury etwas „Magisches, gar Fantastisches“ erschaffen und „der Friede selbst der Preis“ sein. „Das wäre eine Belohnung, die ich überglücklich annähme.“

Er zog auch aus den großen Blockbustern unserer Zeit seine Schlüsse. Er zitierte indische Tierfabeln, Romanfiguren von Kollegen und „die Zwillingslegende dieses Sommers: Barbenheimer“. Der Film „Oppenheimer“ erinnere uns daran, dass es Frieden erst gab, nachdem zwei Atombomben abgeworfen worden waren. Und das Kinokassenmonster „Barbie“ mache deutlich, dass es selbst in einer Welt, in der jeder Tag perfekt sei, dauerhaften Frieden und ungetrübtes Glück nur in pinkfarbenem Plastik gebe.

Die Laudatio hielt Schriftsteller Daniel Kehlmann, der mit dem 76-Jährigen eng befreundet ist. Kehlmann sagte, Rushdie sei „unbestritten einer der großen Erzähler der Literaturgeschichte, der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit - vor allem aber ein weiser, neugieriger, heiterer und gütiger Mensch“.

Die Fatwa habe ihn nicht zerstören können. „Wie souverän Salman Rushdie mit einer Lage umging, die andere Menschen seelisch erdrückt hätte, das verschlägt einem schon den Atem.“ Im Gegenzug für seinen Personenschutz sei von ihm erwartet worden, dass er „nicht weiter von sich hören lassen würde“, so Kehlmann.

Wir ehren Salman Rushdie für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert
Karin Schmidt-Friderichs

„Aber Salman spielte dabei nicht mit. Er blieb sichtbar, blieb präsent, blieb vor allem ein Schriftsteller“. Statt sich zurückzuziehen, damit alle wieder ihre Ruhe haben, wurde er „der berühmteste Unsichtbare der Welt“.Rushdie sei in der Lage, Dinge lange vor anderen Menschen zu erspüren.

Rushdie sei „das Gegenteil eines weltabgewandten Menschen“, sagte Kehlmann. Er sei vielmehr in der Lage, Dinge lange vor anderen Menschen zu erspüren. Wenn dort draußen etwas von Wichtigkeit passiere, werde dieser es mitbekommen und daraus Literatur machen.

Die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, sagte, trotz hohen persönlichen Risikos sei Rushdie einer der leidenschaftlichsten Verfechter der Freiheit des Denkens und der Sprache. „Wir ehren Salman Rushdie für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert.“

„Wenn Fiktion nicht mehr Fiktion sein darf, sondern für den Autor real und lebensbedrohend wird, dann müssen wir, die Buchmenschen, aufstehen, Position beziehen, Beistand leisten“, betonte Schmidt-Friderichs. „Wir brauchen Vorbilder wie Salman Rushdie in einer Zeit, in der die Kettenreaktionen der Einschüchterung - sei es von religiösen Fanatikern, sei es vom Mob im Netz - Wirkung zeigen.“

Rushdie habe sich selbst einmal als Komma zwischen Osten und Westen bezeichnet, sagte Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef in seiner Begrüßungsansprache. Den Friedenspreis wiederum empfinde er als großes Ausrufezeichen, hatte der Schriftsteller kürzlich gesagt. Vor allem aber setzt er mit seinem Werk und seiner Rede selbst ein großes Ausrufezeichen hinter den letzten Satz seines jüngsten Romans „Victory City“: „Worte sind die einzigen Sieger.“


Der Friedenspreis

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels würdigt seit 1950 Persönlichkeiten, die mit ihrer literarischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Arbeit als Friedensstifter wirken. Er ist eine der bedeutendsten Auszeichnungen in Deutschland und ist mit 25.000 Euro dotiert. Die Verleihung findet traditionsgemäß im Rahmen der Frankfurter Buchmesse statt, und zwar in der Paulskirche, wo 1848 die erste deutsche Nationalversammlung tagte.

Mit dem Preis sind bislang mehr als 60 Schriftsteller, Philosophen, Wissenschaftler und Politiker ausgezeichnet worden, darunter Albert Schweitzer, Ernesto Cardenal und Vaclav Havel sowie Astrid Lindgren, Peter Esterhazy und Liao Yiwu. (kna)