Am Mittwoch läuft die fünfte Staffel von „The Crown“ auf Netflix an. Noch nie war die Serie um das britische Königshaus so umstritten.
Fünfte Staffel von „The Crown“Als Charles ein Tampon sein wollte
Wenn ich als Kind meine Oma besuchte, wühlte ich mich sofort durch die Regenbogen-Blätter, die sich in ihrem Wohnzimmer angehäuft hatten. „Frau im Spiegel“ oder „Das Goldene Blatt“ präsentierten das, was von Europas Monarchien übrig geblieben war, als Endlos-Soap mit Cliffhangern. Die Schlagzeilen simulierten Volkes Sorge ums Wohl seiner Potentaten: „Dianas Traum wird wahr! Prinz Charles entdeckt sein Vaterherz“; doch kurz darauf: „Diana in Not! Wer will sie vernichten?“ Zur Wirklichkeit verhielten sich diese News wie ein Wrestling-Turnier zur Boxweltmeisterschaft. Verstand man selbst mit Zehn, die Leselust minderte es nicht.
Braucht es also wirklich einen Warnhinweis vor den neuen Folgen der fünften Staffel von „The Crown“, dahingehend, dass es sich bei der ebenfalls etwas seifigen Windsors-Serie um reine Fiktion handele? Einen solchen hatte bereits 2020 der damalige britische Kulturminister gefordert. Erfolglos. Doch seitdem sind sowohl Prinz Philip als auch seine Lilibet gestorben. Die Stimmung im Land hat sich gewandelt: „The Queue“, die Schlange von Untertanen aller Schichten, die am Sarg ihrer Queen vorbeidefilieren wollten, wurde zum Symbol des Vereinigten Königreichs.
Kruder Sensationalismus bei „The Crown“: Netflix knickte ein
Über tote Nationalheiligtümer wie die zweite Elisabeth soll man nur Gutes sagen. Als jetzt Ex-Premier John Major und Schauspielerin Judi Dench der Serie Geschichtsverfälschung und kruden Sensationalismus vorwarfen, knickte Netflix ein und informierte seine Zuschauer, dass es sich bei „The Crown“ um eine fiktionale Dramatisierung realer Ereignisse handelt (verzichtete aber auf Warntafeln).
Das klingt albern, doch man darf die Macht von Erzählungen nicht unterschätzen. Nach der xten Schlüssellochstudie aus dem Klatschmagazin fängt noch der aufgeklärteste Leser an, erdachte Geschichten für bare Münze zu nehmen, zumindest setzt er sie als Tauschwährung ein. Nicht weil er seiner kritischen Fähigkeiten verlustig gegangen wäre, sondern weil Fiktion den unschätzbaren Vorteil besitzt, Anfang, Mitte und Ende zu haben.
„The Crown“ mag nicht an die Höhen Shakespeare’scher Königsdrama heran – selbst dann nicht, wenn Serienschöpfer Peter Morgan mit tonnenschweren Metaphern jongliert, wie jener von Elisabeths abgenutzter Prachtjacht „Britannia“ als Sinnbild ihrer eigenen Obsoleszenz –, doch die Serie ist in ihren Adelsporträts sehr viel nuancierter als Omas Regenbogen-Blätter.
„The Crown“: Peinliches Telefonat von Prinz Charles mit Camilla Parker-Bowles
Für rund 13 Millionen Euro eine Folge zu produzieren, die sich mit dem „Tampongate“-Skandal des heutigen Charles III. befasst – wir haben die 1990er erreicht, in denen das Königshaus die Regenbogenpresse locker überbietet – das wirkt zunächst abstrus und despektierlich. Ein Hobbyfunker hatte ein Telefonat zwischen dem verheirateten Charles (ein eitel räuspernder, dabei grundsympathischer Dominic West) und Camilla Parker-Bowles mitgeschnitten, in dem dieser den Wunsch äußerte, seiner Geliebten als Wattestäbchen ganz nahe zu sein.
Peter Morgan nutzt die hochnotpeinliche Affäre jedoch, um den Prinzen als leidenschaftlich verliebten Mann zu zeigen, als heißblütige Alternative zur unterkühlten Queen (Imelda Staunton, vor der man ein wenig Angst hat, seit sie in den Harry-Potter-Filmen die krötige Dolores Umbridge verkörperte). Der Grundkonflikt der neuen Staffel ergibt sich aus den unterschiedlichen Auffassungen von Mutter und Sohn, wie eine zeitgemäße Monarchie aussehen sollte. Mit Elisabeth Debickis Diana – den Rehblick der Herzensprinzessin, von unten durch die Wimpern gefunkt, hat sie ebenso verinnerlicht, wie deren Borderline-Narzissmus – als dritter Powerplayerin im Game of Thrones.
„The Crown“: Wie Omas bunte Blätter
Als kluger Vermittler und uneitler Durchblicker erweist sich ausgerechnet jener John Major, der dringend vom Genuss der Netflix-Serie abgeraten hatte. Den Engländern galt der Konservative als erbsenessender Erzlangweiler, Jonny Lee Miller verleiht ihm unverhofften Glanz. Ja, „The Crown“ ist reine Fiktion, wie Omas bunte Blätter, doch die von der Serie Gezeichneten dürfen sich geschmeichelt fühlen. Die größte Illusion, die hier fortgeschrieben wird, ist die vom Vereinigten Königreich.