Gérald Chaix über Köln im 16. JahrhundertWarum die Stadt katholisch blieb
Köln – Sie war der Hort der katholischen Reaktion, die Stadt der Dunkelmänner und der Hexenverfolgungen – und musste diese Verweigerung gegenüber der Moderne mit langanhaltendem sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Niedergang bezahlen.In dieses Narrativ einer reformfeindlichen Immobilität wird die Geschichte Kölns zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert immer noch gerne gepackt, es hat seine Wurzeln in der Zeit, um die es geht, selbst, etwa im europaweiten Spott der Humanisten über diese angebliche Stadt gewordene Zurückgebliebenheit.
Ganz falsch, sagt der französische Historiker Gérald Chaix zu dieser Einschätzung in seinem Buch „Köln im Zeitalter von Reformation und katholischer Reform. 1512/13 bis 1610“, das soeben als Band 5 der vom Greven-Verlag betreuten 13-bändigen „Geschichte der Stadt Köln“ erschienen ist (drei Bände fehlen noch, das vor 25 Jahren im Auftrag der Historischen Gesellschaft Köln e.V. gestartete Großunternehmen geht also seiner Vollendung entgegen). Chaix selbst und Verlagsleiter Damian van Melis stellten das Werk am Montag vor.
Falsch wieso? Weil, so der Verfasser nachdrücklich auch anlässlich der Präsentation, das abgedroschene Bild vom Dornröschenschlaf die tiefgreifende Dynamik unterschlage, die Kölns Weg vom Mittelalter in die Neuzeit im 16. Jahrhundert grundiert habe. Köln in dieser Zeit, das sei eine vitale, von Gegensätzen und Widersprüchen geprägte und zugleich mit den überregionalen wirtschaftlich-politischen Entwicklungen und Krisen stark verquickte Metropole gewesen.
Unbestritten, dass Köln die einzige unter den großen Freien Reichsstädten war, in der sich die Reformation nicht durchsetzen konnte – auch nicht im Zuge des Truchsessischen Krieges der 1580er Jahre. Warum es aber katholisch blieb, das ist naheliegend auch eine zentrale erkenntnisleitende Frage in Chaix’ Buch. Sie erhält indes eine „multifaktorielle“ Antwort, die nicht wieder das alte Klischee bemüht:
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„Auf der Hut vor dem Erzbischof“ suchte die Stadt pragmatisch die Anlehnung an den katholischen Habsburger Kaiser, und im Interesse eines freien Waren- und Personenverkehrs war Rücksicht zu nehmen auf die konfessionspolitischen Interessen der benachbarten Territorialherren. Dann war da die Theologische Fakultät der Universität – äußerst wachsam bei der Abwehr neuer Ideen. Schließlich brachte die katholische Seite ihrerseits genug Energie zu einer „Reform“ auf, die die „Reformation“ gleichsam überflüssig machte. Die „katholische Reform“ (nicht: „Gegenreformation“) im Buchtitel ist programmatisch zu verstehen.
Dazu passt, dass die Stadt im 16. Jahrhundertanderslautenden Behauptungen zum Trotz konfessionell ein buntes Bild bot – auch dank zahlreicher protestantischer Migranten, die auf Flucht vor Verfolgung in den spanischen Niederlanden in Köln Zuflucht fanden. Die gesellschaftliche Dynamik der Stadt findet im Buchtitel ebenfalls ihren symbolischen Ausdruck: Die Rahmenjahre 1512/13 und 1610 (also nicht etwa 1517 als Reformationsjahr und 1618 als Beginn des 30-jährigen Krieges) stehen für teils blutige interne Aufstände: Beide Male gab es erbitterte Auseinandersetzungen zwischen Gaffeln, Zünften und Rat um die Stadtverfassung, sprich: um das Machtgefüge der verschiedenen sozialen Gruppen.
Bestens mit der Stadthistorie vertraut
Der Autor – Pariser vom Jahrgang 1947, also Nicht-Kölner und auch einziger nicht-deutscher Autor der Reihe – ist, man merkt es auf Schritt und Tritt, bestens mit der Stadthistorie vertraut. Chaix, der am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen arbeitete, Professor für Geschichte an der Uni Tours sowie Rektor der Akademie von Straßburg und Nantes war, schrieb bereits seine Doktorarbeit über die Kölner Kartäuser des 16. Jahrhunderts.
Seine „provisorische Synthese“, wie er seine Arbeit bescheiden nennt, betont nicht die Einheit, sondern die Diversität und Vielfalt des Kölner Lebens in einer uns fernen Vergangenheit: Politische und Wirtschaftsgeschichte finden dort genauso Platz wie Alltagsleben, Wohnen, Kleidung und Konsum. Da gibt es die Pest und die Hungersnöte ob der „kleinen Eiszeit“, aber auch den blühenden Buchdruck und die Rathauslaube, ein Juwel der Renaissance-Baukunst. Ein Glanzstück des in Papier- und Abbildungsqualität bibliophil aufgemachten Bandes ist zweifellos der beiliegende Nachdruck des berühmten Mercator-Stadtplans von 1570.
Gérald Chaix: „Köln im Zeitalter von Reformation und katholischer Reform 1512/13 –1610“ (= Geschichte der Stadt Köln, Band 5), aus dem Französischen von Ursula Vones-Liebenstein, Greven-Verlag, 504 Seiten mit rund hundert Abbildungen, Leinen 60, Halbleder im Schuber 105 Euro