Gelungene Brecht-Premiere am Schauspiel KölnWenn Betten zu Schlachtbänken werden
- Oliver Frljic inszeniert das Kriegsdrama „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer" in der Bühnenfassung von Heiner Müller.
- Die einfachen Soldaten stehen im Krieg gegen die Körperverwertungsmaschine des Kapitalismus.
- Jedes Regietheater-Vorurteil wird hier doppelt- und dreifach bestätigt. Aber der Furor ist kein Witz und keine Masche.
- Eine Kritik.
Köln – „Ich scheiße auf die Ordnung der Welt, ich mache keinen Krieg mehr“, spricht der Fatzer, als er genug gesehen hat vom sinnlosen Abschlachten zwischen den Fronten des Ersten Weltkriegs, und überredet ein paar Kameraden, mit ihm zu fliehen. Der kroatische Regisseur Oliver Frljic, der hier seinen Einstand am Schauspiel Köln gibt, hat sich einen Namen gemacht mit provokanten, politischen Inszenierungen. Die Jugoslawienkriege waren das prägende Erlebnis seiner Jugend, Frljic hat genug gesehen, um in Fatzers Klage einstimmen zu können.
Aber um Identifikation geht es in Bertolt Brechts unvollendetem Meisterwerk selbstredend nicht. „Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer“ ist ein auf mehr als 500 Seiten angeschwollenes Konvolut aus Szenen, an denen der Dichter sein halbes Leben lang gearbeitet hat.
Frljic verwendet, wie fast alle Inszenierungen des Stoffes, die Bühnenfassung, die Heiner Müller Ende der 1970er Jahre erstellt hat. Wenn es einen Charakter gibt, den man als Avatar des Regisseurs begreifen kann, dann ist es die junge Frau, welche die gesamte Länge des Abends in einem notdürftig zusammengezimmerten Klohäuschen am Rand des Depot 2 verbringt und dort jede mögliche Art der Ausscheidung simuliert.
Wer wollte da nicht desertieren?
Die Bühne selbst ist ein Rechteck aus dunkelbrauner Erde, darauf stehen Lazarettbetten, in denen Soldaten liegen, die nur von den Bettgestellen davon abgehalten werden, dem Boden als Mulche zu dienen. Vom Band singt Joan Baez „Sag mir, wo die Blumen sind“, auf Deutsch, mit charmantem Akzent. Dann türmen die Soldaten ihre Betten zu Schützengrabenwänden hoch, über die sie sich zum mächtig donnernden Schlachtsoundtrack werfen und sterben. Wer wollte da nicht desertieren?
Zumal Fatzer schlagartig klar wird, dass der Feind auf der jeweils anderen Seite der Front zu finden ist: Die einfachen Soldaten stehen im Krieg gegen die Körperverwertungsmaschine des Kapitalismus. Zur Illustration dient eine Karte des Deutschen Reiches, die Grenzen sind mit Wiener Würstchen markiert, welche sich die ausgehungerten Kämpfer sogleich in die Mäuler stopfen: Der ganze „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“-Brecht in einem Bild. Solche plakativen, drastischen, aber erhellenden Momente gelingen Frljic immer wieder, und er benötigt dazu kaum mehr als Bett, Strick, Straps und Mantel — und ein leidensfähiges Ensemble, das seinen Text fast durchweg herausbrüllen muss. Ja, jedes Regietheater-Vorurteil wird hier doppelt- und dreifach bestätigt. Aber Frljic’ Furor ist kein Witz und keine Masche.
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Fatzer und seine Bande verschanzen sich in einer Kellerwohnung in Mülheim an der Ruhr. Hier wollen sie die Revolution abwarten, die doch unweigerlich kommen muss. Der Unterschlupf gehört Therese Kaumann, der Frau eines der Deserteure, die aber nun anstelle ihres Mannes ein Bett voller hungriger Körper vorfindet. Wie soll man die nur satt kriegen?
Frau Kaumann gibt ihnen frei nach Chaplin Lederstiefel zu essen, dann müssen die Männer ihre eigenen Ausscheidungen löffeln, einer holt die Reichsflagge auf halbmast herunter und wischt sich mit ihr den Hintern ab. Schließlich zerfleischt das Fleisch sich selbst: Die Betten werden zu Schlachtbänken und die Revoluzzer in spe zu Wurst verarbeitet.
Wer Täter ist, bleibt unklar
Wer hier Opfer ist und wer Täter, wer Anführer und wer Mitläufer, bleibt unklar. Die Rolle des Fatzer wechselt von Englert zu Benjamin Höppner zu Nicolas Lehni zu Sean McDonagh zu Nika Miškovic zu Hannah Müller und zu Elias Reichert, oft binnen eines Satzes. Jeder interpretiert den Egoisten anders, jeder steht der Reihe nach vorm Erschießungskommando und hält darauf das Gewehr im Anschlag. Die Rolle des Schießenden hat Frljic „Bertolt“ getauft, denn „Fatzer“, das ist laut Heiner Müller eine „Materialschlacht Brecht gegen Brecht“, die der Autor nur überlebt, indem er sich herausschießt.
Nicht anders wütet Frljic gegen die Wirkungslosigkeit seiner Kunst an, lässt den Aufbrausungsexperten Benjamin Höppner aus dem Spielfeld heraustreten, gegen das angeblich friedliche Europa wettern, und gegen die Spiel-Verabredung, die alles, was er zu sagen hat, zum Teil der Inszenierung werden lässt. Auch wenn er die Tür nach draußen aufstößt, hier gibt es kein Entkommen. Was auch daran liegt, dass seine Kritik allzu schlagzeilenartig ausfällt. Die Wut auf die Verhältnisse trägt diesen Abend – und die Konsequenz, mit der er sich selbst als Teil dieser Verhältnisse begreift. Und natürlich das tolle, keine Grenzen scheuende Ensemble. Irgendwann wird Oliver Frljic allerdings auch Lösungen aus dem Fatzer-Dilemma präsentieren müssen.
Stückbrief
Regie: Oliver Frljic
Bühne: Igor Pauška
Kostüme: Sandra Dekanic
Darsteller: Yuri Englert, Benjamin Höppner, Nicolas Lehni, Seán McDonagh, Nika Miškovic, Hannah Müller, Elias Reichert
Termine: 16., 18. Juni, Depot 2, 100 Minuten, keine Pause