- „Anne Will“ lud zur Nachlese der Thüringen-Wahl.
- AfD-Mann Pazderski sorgte für Unmut, als er seine Partei als bürgerlich zu werten versuchte.
- Als Sahra Wagenknecht über die AfD-Erfolge spricht, sind sich Linke und AfD aber plötzlich ungewohnt einig.
Das Thema
Nach der Landtagswahl in Thüringen, wo Linke und AfD triumphierten, lud Anne Will zur Nachlese ins Fernsehstudio ein. Immer wieder wurde das Wahlergebnis auch als Resultat der Entwicklung Ostdeutschlands 30 Jahre nach der Wende interpretiert - was nicht jedem in der Runde gefiel.
Die Gäste
Reiner Haseloff (CDU) ist Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt, einem Bundesland, in dem die AfD bei der Landtagswahl 2016 auf 24 Prozent kam. Haseloff ließ sich lange bitten, um sich zu einer Koalitionsaussage in Richtung Linkspartei hinreißen zu lassen. Gegen Ende der Runde kam dann das: „Koalition mit Linken für mich nicht denkbar.“ Davor versucht er immer wieder, die Verdienste der Großen Koalition im Bund zu preisen. Unterton: Die Menschen, die Protest gewählt haben, haben es nur nicht mitbekommen. Kam nicht wirklich gut an.
Sahra Wagenknecht, gebürtige Jenaerin und heutige Linke-Fraktionschefin im Bundestag, war die Wahlsiegerin des Abends. „Das Grundproblem ist, dass sich Deutschland in eine Richtung entwickelt hat, die Menschen nicht wollen“, sagt sie, um den Erfolg der Linken und der Protestpartei AfD zu erklären. Die Mitte der Gesellschaft rutsche ab, viele könnten ihren Wohlstand nicht mehr halten, argumentiert sie. Kaum neue Töne von der Linken.
Georg Pazderski (AfD), Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, gilt als parteiinterner Gegner des Rechtsäußersten Björn Höcke, der die AfD als Spitzenkandidat zum Wahlsieg führte. Pazderski versuchte die ganze Sendung über, die AfD als gemäßigt darzustellen. „Die AfD ist eine demokratische Partei. Wer nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, hat in der Partei nichts verloren.“ Als er ergänzte, die AfD sei „zutiefst bürgerlich“, antwortete Will kurz: „Nein, das ist sie nicht“.
Ines Geipel, Publizistin, war Spitzen-Leichtathletin in der DDR, flüchtete wegen des dortigen Doping-Systems. Nicht erst bei Anne Will profilierte sie sich als Gegnerin von Linken und AfD. „Heute ist ein unheimlich trauriger Tag für die Demokratie“, sagt sie. Das Ergebnis sei Symptom für Ostdeutschland 30 Jahre nach dem Mauerfall. Dass nämlich viele Bürger mit der Demokratie, wie sie heute existiert, wenig anfangen könnten.
Oliver Decker, Rechtsextremismus-Forscher von der Universität Leipzig, war für den analytischen Teil des Abends in der Runde. „Wir haben innerhalb der letzten Dekade eine Polarisierung in der Gesellschaft gesehen", sagt er, außerdem eine "nachlassende Wählerbindung der Parteien“. Das, was aber gewählt würde, seien Personen, wie Bodo Ramelow.
Cornelius Pollmer, Reporter der „Süddeutschen Zeitung”, sagt von sich, er sei ein inländischer Auslandskorrespondent, weil er den westdeutschen Lesern der Zeitung oft die Denke in Ostdeutschland erklären müsse. Seine Hauptthese: „Die Linke im Osten ist andere Partei als im Westen.” Weniger radikal nämlich.
Das Duell des Abends
Lieferten sich Pazderski und Decker. Frage: Ist die AfD nun eine demokratische Partei oder nicht? Decker zitiert studien, nach denen unter Wählern der AfD antisemitische und antiziganistische Ressentiments weiter verbreitet sind als in anderen Parteien. „Sie sagen, die Wähler der AfD seien Antisemiten und Nazis”, sagt Pazderski. „Dabei sind wir es, die Al Quds und Hisbollah verbieten wollen”. Decker entgegnet: „Die AfD ist keine demokratische Partei. Man kann nicht nur das Programm betrachten, sondern muss sich auch deren Vertreter ansehen.”
Der Aufreger der Sendung
Für den sorgte AfD-Mann Pazderski, als er unter lautem Gejohle des Publikums sprach: „Die AfD ist das größte Demokratieprojekt der letzten Jahre. Wir haben die Gesellschaft politisiert. Das ist ein riesen Verdienst der AfD. Viel zu lange haben wir doch eine Politikverdrossenheit beklagt.” Der AfD-Mann sprach damit die gestiegene Wahlbeteiligung an: Die meisten Neu-Stimmen erhielt seine Partei in Thüringen von denen, die 2014 nicht zur Wahl gingen.
Das beste Zitat
Brachte Geipel in einer sehr nachdenklichen Ausführung. Ostdeutschland sei insgesamt anfälliger für Extremismus als Westdeutschland. Dabei gehe es vielen persönlich gar nicht schlecht, sagt sie. „Es gibt ein glückliches Ich in Ostdeutschland, aber ein unglückliches, frustriertes Kollektiv, das von der AfD gekapert wird. Dieses Kollektiv hat sich jetzt gespalten in Rot und braun”, sagt sie.
Der bemerkenswerteste Moment
Ereignete sich, als Wagenknecht die Erfolge der AfD zu erklären versuchte. Die nämlich sei da besonders stark, wo Regionen abgehängt würden: Wo kein Bus mehr fährt, die Briefkästen nicht geleert werden, die Arztpraxis schließt, profitiere die AfD. Wagenknecht spricht - und Pazderski nickt zustimmend. Darin zumindest sind sich beide einig.
Fazit
Zumindest saßen vier Menschen in der Runde, die in Ostdeutschland geboren wurden. Der Vorwurf, dass nur über, aber nicht mit dem Osten gesprochen werde, gilt also schon mal nicht. Und auch auf der inhaltlichen Ebene kam schon etwas herum - auch wenn es viel zu lang nur um die Frage ging, wie denn nun die AfD einzuordnen sei. Denn als reines Phänomen, um Ost-Deutschland 30 Jahre nach der Wende zu charakterisieren, taugt die AfD alleine ja kaum. Schließlich ist sie auch in vielen West-Parlamenten stark vertreten.