Gerhart Baum im Interview„Ohne Kunst ist in Köln alles nichts“
- Gerhart Baum, Vorsitzender des Kulturrats NRW, spricht im Interview über die Posse um den Posten des Schauspiel-Intendanten und die Kulturgeschichte der Stadt Köln.
- Baum stellt sich hinter die Kritik von Navid Kermani und spricht über die Option, Schauspiel-Chef Stefan Bachmann länger im Amt zu halten.
Köln – Herr Baum, was haben Sie gedacht, als Carl Philip von Maldeghem davon Abstand nahm, in Köln Schauspiel-Intendant zu werden?
Das war konsequent. Es war im Grunde die Lösung des Konflikts.
Können Sie die Vehemenz verstehen, mit der manche seine Person ablehnten? Navid Kermani zum Beispiel.
Ich will mich nicht mit jedem Argument und jedem Wort identifizieren, aber Kermani hat etwas zum Ausdruck gebracht, was viele kunstinteressierte Bürger empfanden. Auch ich war ratlos und fragte mich, als ich von der Berufung von Maldeghems hörte, was hat dieser Mann vor? Was meinte er mit bürgernahem Theater? Köln spielt schließlich kulturell in der 1. Liga – in jeder Hinsicht. Ich lebe seit 1950 in Köln, bin Zeitzeuge der Nachkriegsentwicklung der Kunststadt Köln. Natürlich gab es immer ein Auf und Ab. Aber aufs Ganze gesehen hat Köln ein besonderes Profil als Kulturstadt entwickelt.
Was gab den Anstoß dafür?
Um mit dem alten Hackenberg zu sprechen, mit dem ich hier im Rat zeitweise Kulturpolitik gemacht hatte: Kunst ist zwar nicht alles, aber ich glaube, in Köln ist es doch so, dass ohne Kunst alles nichts ist. Ich erinnere mich, wie ich nach dem Krieg nach Köln kam. Ich kam in eine dunkle, zerstörte Stadt. Was früh aufblühte, war in erster Linie die Kultur. Das Funkhaus, neu gebaut in einer Trümmerwüste, dort die Konzerte, dann die Ausstellungen, die Schriftstellerszene – Köln ist damals wie heute geprägt von Kunst und Kultur, mehr als manche andere Stadt.
Was bedeutet das?
Das bedeutet auch, dass das Unbequeme, das Unwägbare, das Unfassbare, das manchmal auch Verstörende in der Kunst zur Geltung kommen muss. Auch im Schauspiel. Und das muss nicht immer allen gefallen.
Wenn Sie vom Aufschwung Kölns nach dem Krieg sprechen, dann verbindet sich so etwas immer auch mit Personen. Sie haben bereits Kurt Hackenberg erwähnt, der 1955 als Kulturdezernent in Köln antrat. Mangelt es derzeit an persönlicher Größe?
Hackenberg war meinungsstark, er war ein unbedingter Anwalt der Kultur, und er handelte politisch überaus geschickt, um seine Ziele durchzusetzen. Wir Kulturpolitiker im Rat haben uns parteiübergreifend um die Kultur bemüht und versucht, sie aus parteipolitischen Scharmützeln herauszuhalten. Dafür ist sie zu kostbar, zu verletzlich. Man kann über die derzeitige Kulturdezernentin denken, wie man will, aber sie ist im Moment zu sehr der Spielball parteipolitischer Interessen. Dafür ist jetzt nun wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt. Wichtig im Moment ist vor allem die Zukunft des Schauspiels. Hier muss Ruhe in die Diskussion kommen.
Nun wird eine Findungskommission gebildet. Wie sollte ein solches Gremium Ihrer Meinung nach besetzt sein?
Unbedingt mit unabhängigen Fachleuten, die sich auf einen oder mehrere Vorschläge einigen. Auftraggeber ist die Stadt Köln, die Oberbürgermeisterin, und sie muss dann vor den Rat treten. Sie wäre gut beraten, die entscheidenden Kulturpolitiker rechtzeitig einzubinden.
Sie betonen die Qualität, die ein solcher Intendant oder eine solche Intendantin besitzen muss. Nun scheint die missglückte Berufung einen Graben in der Stadt aufgerissen zu haben – zwischen denen, die ein konservativeres Verständnis von Theater haben, und denen, die eher zum Experiment neigen. Teilen Sie diesen Eindruck?
Das würde ich so nicht sagen: Kunst ist Kunst. Und gutes Theater kann beides vereinen. Ich zum Beispiel möchte nicht auf ästhetische Abenteuer verzichten. Gerade Theater kann in unruhigen Zeiten dazu beitragen, über menschliche und gesellschaftliche Probleme nachzudenken. Ich finde es allerdings bedauerlich, dass die Diskussion zum Teil so undifferenziert geführt wird. Es muss zu einer Befriedung kommen, und in diesem Zusammenhang spielt auch die Person Stefan Bachmann eine Rolle. Ich finde nicht gut, wie man an ihm und seinen Verdiensten einfach vorbeigeht. Wie geschickt er mit dem Provisorium künstlerisch umgegangen ist, das war und ist auf hohem Niveau.
Sie wären also dafür, dass Stefan Bachmann länger am Schauspiel Köln bleibt?
Das hängt von dem Ergebnis der Findungskommission ab und von der daraus folgenden Entscheidung der Stadt. Sein Angebot zu verlängern ist sicherlich eine Option, insbesondere auch unter dem Aspekt des irgendwann bevorstehenden Umzugs.
Nun war dieser Vorgang nur eines von vielen Dingen, die in Köln schieflaufen. Es gibt zahlreiche Baustellen, wortwörtlich – die ärgste ist die des Opernquartiers.
Diese Baustellen, insbesondere die Oper, machen mich fassungslos. Und dass ein Ende nicht absehbar ist, das belastet nicht nur die künstlerische Arbeit der Oper und des Schauspiels, das geht an die kulturelle Substanz von Köln.
Wie beurteilen Sie den Standort Mülheim fürs Schauspiel? Unter dem Gesichtspunkt der Stadtentwicklung hatte das Interim viele positive Wirkungen.
Bachmann hat diese Herausforderung sehr kreativ angenommen. Ich gehe gern dorthin und fände es gut, wenn man eine Brücke schlagen würde – vom Opernquartier bis nach Mülheim sozusagen. Dort werden ganz andere Impulse wirksam. Sehr geschickt von Bachmann war in diesem Zusammenhang übrigens seine Initiative, mit der kleinen Außenspielstätte auf dem Offenbachplatz ein Zeichen zu setzen.
Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um die Kultur in Köln weiterzuentwickeln?
Wir erleben eine Aufbruchsstimmung in NRW, an der wir als Kulturrat auch mitgewirkt haben. Erfreulicherweise wird Kultur von der Landespolitik wieder ernst genommen. Das drückt sich auf verschiedene Weise aus: im Haushalt, in der Koalitionsvereinbarung und in der Besetzung des Kulturministerium durch Isabel Pfeiffer-Poensgen. Dieser Aufbruch kommt auch den Städten zugute, und auch finanziell. Köln sollte diese Impulse aufnehmen und seine großartigen Potenziale wirksamer zur Geltung bringen und pflegen. Da könnte ich vieles nennen. In der Musik zum Beispiel neben der Philharmonie, neben den in Köln ansässigen Orchestern und Ensembles das bevorstehende Acht Brücken-Festival. Zu nennen ist auch die unvergleichliche Fülle von Museen, die Literaturszene, und überhaupt die hier in der Stadt wirkenden Künstlerinnen und Künstler. Diese müssen von der Gesellschaft auch individuell stärker wahrgenommen und gefördert werden. Köln und das Rheinland müssen sich mit mehr Selbstbewusstsein gegenüber Berlin behaupten. Ich finde, die Bevorzugung von Berlin durch die Bundesregierung geht langsam zu weit. Warum müssen wir Steuerzahler uns hier an der Finanzierung reiner Berliner Kultureinrichtungen beteiligen?