GeschichteDumm oder fett oder wahnsinnig

George I. (1714-1727)
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Köln – Der erste Auftritt auf britischem Boden war spektakulär genug: Als der Kurfürst von Hannover, der bereits im August proklamierte König Georg I., im September 1714 erstmals die Insel betrat, hing an jedem seiner Arme eine Frau. Keine von beiden war die Ehegattin. Die hatte er daheim in Niedersachsen arrestieren lassen – ausgerechnet wegen Ehebruchs. Der Volksmund moserte sofort, der neue Monarch treibe es mit gleich zwei Konkubinen.
Das war allerdings nicht der Fall: Die dickere von beiden, von den Briten „Elefant“ tituliert, war eine illegitime Halb-Schwester, lediglich die dünnere, alsbald „Maibaum“ geheißen, war die aktuelle Gespielin des Monarchen aus dem Welfenhaus. Der Spott seiner neuen Untertanen machte auch vor dem 54-jährigen selbst nicht Halt: Weil sie das Kurfürstentum Hannover (fälschlich) für einen Paradefall deutscher Rückständigkeit hielten, nannten sie ihn „Turnip King“ – den Rübenkönig.
Tatsächlich wurde der Welfenherzog, der daheim in Hannover absolutistisch zu regieren pflegte, in seinem neuen Herrschaftsbereich mit ganz ungewohnten Usancen konfrontiert – mit einem selbstbewussten Parlament, einer gut entwickelten freien Presse und Öffentlichkeit und eben entsprechend wenig Respekt vor der monarchischen Autorität.
Gefallen haben wird ihm all dies wenig, und er verhielt sich entsprechend: Er lernte bis zum Ende seines Lebens kaum Englisch – was in den Befehlsketten des Hofes mitunter zu grotesken Missverständnissen führte – und vermied es auch, sich länger als nötig in seinem Königreich aufzuhalten. Bezeichnenderweise starb der in Hannover Geborene 1727 nicht etwa in einem Londoner Palast, sondern in Osnabrück, also auf seinen Festland-Domänen.
300 Jahre ist es jetzt her, dass in England die Ära der vier Georgianischen – sprich: der deutschen „Könige“ aus dem Haus Hannover begann. Die Grundlage dafür hatte 1701 das Londoner Parlament in seinem „Act of Settlement“ gelegt, das Katholiken von der Thronfolge ausschloss und die künftigen Herrscher der parlamentarischen „Kontrolle“ unterstellte. Wie kam man ausgerechnet auf Hannover? Nun, die hannoversche Prinzessin Sophia war Enkelin des Stuart-Königs Jakob I. – wodurch die Hannoveraner als legitime Erben der britischen Herrscher gelten konnten. Als dann 1714 die Königin Anne kinderlos starb, waren die Hannoveraner reif für die Insel. Die Erbfolge hatte aus Sicht der Londoner Politiker etliche Vorteile: Mit Georg I. kam immerhin ein politisch erfahrener Monarch ans Ruder, der zudem dank seiner Herkunft Englands Position auf dem Kontinent zu verbessern und dessen Verwandtenreichtum erneute Turbulenzen bei der Thron-Nachfolge zu verhindern versprach.
Die georgianische Ära endete 1830 beim Tod Georgs IV., der mit Eheskandalen das Ansehen der Monarchie nachhaltig ramponiert hatte. Aus dieser Talsohle führte sie dann erst seine Nichte Victoria während ihrer langen Regierungszeit (1837 bis 1901) heraus.
Die German Connection des englischen Königshauses blieb freilich weiterhin stark, unabhängig auch vom Ende der Personalunion mit Hannover im Jahre 1837: Victoria, selbst zur Hälfte deutscher Herkunft, heiratete den Prinzen Albert von Sachsen-Coburg-Gotha. Diese und weitere dynastische Quer-Verbindungen hatten zur Folge, dass im Ersten Weltkrieg in den jeweiligen monarchischen Spitzen als Feinde engste Verwandte einander gegenüber standen. In England reagierten die Royals 1917 auf diesen jetzt unwillkommenen Umstand mit einer schamhaften Namensänderung: Aus dem Haus Hannover wurde das Haus Windsor.
Womöglich ist auch das schlechte Image, dass die Georges lange in der öffentlichen Meinung Großbritanniens genossen, dieser Konstellation geschuldet. In der beliebten TV-Reihe „Horrible History“ feierte das London Quartet sie als „the Sad, the Bad, the Mad and the Fat“ – als den Traurigen, den Schlechten, den Irren und den Fetten. Und ein Filmkomödien-Titel wie „King George – Ein Königreich für mehr Verstand“ (Originaltitel: „The Madness of King George) spricht für sich. Zu dieser Einschätzung trugen die Amtsträger zweifellos von sich aus einiges bei: George II. – derjenige übrigens, zu dessen Krönungsfeierlichkeiten der Wahlbrite Händel seine berühmten Coronation Anthems schrieb – war für seinen einschläfernden Konversationsstil berüchtigt (hatte freilich mit Caroline eine charismatisch-intelligente Frau an seiner Seite). George III., der 60 Jahre lang regierte, wurde nicht nur von der erwähnten jahrelangen Geisteskrankheit heimgesucht, sondern lud auch den Makel auf sich, den Abfall der amerikanischen Kolonien nicht verhindert zu haben – wo er sich doch schon in die Politik seines Landes in einem Maße einmischte wie keiner seiner Nachfolger mehr. Von der Reputation Georges IV. war bereits die Rede.
Indes: Mehrere aktuelle, aus gegebenem Anlass erarbeitete Ausstellungen zu den Georgian Kings in London und Hannover (siehe Kasten) zeichnen ein differenzierteres Bild der deutschen Herrscher in England, bemühen sogar die Formel „Glorious Georges“. Deren Verzicht auf kontinentale Prunksucht (ein Grund dafür, dass es in der britischen Architektur keinen höfischen Barock gibt) wird ebenso hervorgehoben wie die Neigung zumal der ersten Georges, die Politik ihren Ministern und dem Parlament zu überlassen. Die enorme politische, wirtschaftliche, militärische, wissenschaftliche und kulturelle Entwicklung Großbritanniens im 18. Jahrhundert – sie fiel in die Regierungszeit der Hannoveraner, die sie nicht verursacht hatten, aber eben auch nicht behinderten.
Die Thronbesteigung vor 300 Jahren wird in Hannover wie in London zum Anlass für opulente Ausstellungen genommen:
Das Niedersächsische Landesmuseum und das Museum Schloss Herrenhausen in Hannover zeigen bis zum 5. Oktober „Hannovers Herrscher auf Englands Thron 1714-1837“. Die Schau widmet sich den politischen und kulturellen Interdependenzen zwischen London und Hannover, aber auch z.B. der Frage, wie die Hannoveraner in England aufgenommen wurden. Drei weitere Schauen in Hannover und Celle widmen sich u.a. Karikaturen britischer Herrscher und dem machtpolitischen Aufstieg der Welfen.
Die Queen’s Gallery im Londoner Buckingham Palast präsentiert bis zum 12. Oktober „The first Georgians. Art and Monarchy 1714-1760“. Unter ihren 300 Objekten finden sich selten gesehene Stücke aus ihrem Fundus, darunter Roubiliacs Porträtbüste von George II.
Die Royal Palaces in London (Hampton Court, Kensington) und Surrey (Kew Palaces) stellen bis zum 30. November die Lebenswelt sowie charakteristische Ereignisse aus der Regierungszeit der ersten drei Georges in historischer Animation nach.
Das Handel House Museum in London wartet bis zum 21. August mit Konzerten auf, die die enge Verbundenheit des Komponisten und seiner Musik mit den aus Deutschland stammenden Königen dokumentieren. (MaS)