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Kommentar

Grammy Awards
Wie kann man nur Harry Styles statt Beyoncé auszeichnen?

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Lesezeit 4 Minuten
Lizzo hüpft im kurzen silbernen Kleid auf der Bühne der Grammy Awards in Los Angeles. In ihren Händen hält sie den Preis für die beste Aufnahme des Jahres.

Lizzo freut sich über ihren Grammy für die beste Aufnahme des Jahres.

Beyoncé mag Rekordhalterin bei den Grammys sein, die wichtigsten Preise gehen aber weiterhin an nette, statt an gute Musik. Wir sind nicht einverstanden.

Willkommen zu den 65. Grammy Awards, der wichtigsten Musik-Gala der Welt, aus der Beyoncé als Rekordgewinnerin hervorgegangen ist. Nicht nur des Abends, sondern in der gesamten Geschichte der Preise.

Vier Trophäen konnte Queen Bey am Sonntagabend aus der Crypto.com-Arena in der Innenstadt von Los Angeles nach Hause tragen, Nummer 29 bis 32. Damit hat sie Sir Georg Solti überholt, der 25 Jahre lang die Liste der Grammy-Gewinner anführte. Seine letzte Auszeichnung erhielt der britisch-ungarische Meisterdirigent 1998 posthum.

Beinahe allerdings hätte die Sängerin aus Texas ihren Triumph verpasst, beim Schaulaufen der Stars auf dem roten Teppich fehlte sie jedenfalls. Und selbst noch, als sie zur Gewinnerin in der Kategorie Bester R&B Song ausgerufen wurde, schwenkte die Kamera vergeblich über die prominent besetzten Tische.

Beyoncés Songschreiber Terius „The Dream“ Gesteelde-Diamant und Disco-Legende Nile Rodgers mussten an ihrer Stelle das goldene Grammofon für „Cuff It“ entgegennehmen, während Moderator Trevor Noah die Zuschauer beruhigte: Die Diva stecke im Verkehr fest.

Ob die Verspätung nicht eine kleine Spitze gegen die ausführende Recording Academy sein sollte? Denn trotz ihrer Rekordgewinne: In den wichtigsten Kategorien – Album, Song, Aufnahme des Jahres – ging Beyoncé stets leer aus. Und so blieb es denn auch am Sonntag: „Song des Jahres“ ging völlig überraschend an die 73-jährige Country- und Blues-Sängerin Bonnie Raitt für ihre Ballade „Just Like That“, in der sie eine Begegnung zwischen einer Mutter und dem Mann, der das Spenderherz ihres toten Sohnes trägt, schildert.

„Best New Artist“ wurde die 23-jährige Jazzsängerin Samara Joy, ebenfalls eher unerwartet. Über den Grammy für die Aufnahme des Jahres konnte sich Lizzo freuen: „About Damn Time“ hatte sie schon bei der Grammy-Gala in Las Vegas im vergangenen Jahr zum Besten gegeben, doch allen Anschein nach konnte die Jury von der nicht genug bekommen, von der fröhlichen Retro-Soul-Nummer (hatte sie 2022 nicht mit Silk Sonics „Leave the Door Open“ einen ähnlich rückwärtsgewandten Soulsong prämiert?).

Immerhin saß Beyoncé inzwischen an ihrem Tisch, und konnte so Lizzos Dankesrede entgegenzunehmen. Als „Künstlerin unseres Lebens“ lobte Lizzo darin die ältere Kollegin und erzählte, wie sie einst die Schule schwänzte, um einen Beyoncé-Auftritt in der gemeinsamen Heimatstadt Houston zu erleben. Tränenreiche, an eine unterlegene Beyoncé gerichteten Dankesworte von Grammy-Gewinnern sind ein eigenes Subgenre bei der Preisverleihung.

Als anschließend jedoch Harry Styles’ „Harry’s House“ zum Album des Jahres ausgerufen wurde, drohte die versöhnliche Stimmung zu kippen, in der TV-Übertragung von schmissigen Bläser überdeckt, konnte man in der Arena deutliche Buh- und Beyoncé-Rufe vernehmen, auch wenn selbstredend niemand dem liebenswerten Engländer böse sein konnte, trotz der seltsam lethargischen Performance seines Hits „As It Was“.

Festzuhalten bleibt: Die Welt jenseits der Recording Academy ist sich weitgehend einig, was die überragende Bedeutung von „Renaissance“, Beyoncés Hommage an die schwarze LGBTQ-Dancekultur, angeht. Für die Grammys bleibt indes selbst der größte Star der Welt Nischenkultur, solange man statt ihrer auch ein nettes, farbloses Mainstream-Pop-Album herausheben kann.

Nicht viel anders erging es Bad Bunny: Der puerto-ricanische Superstar eröffnete die Gala mit einer furiosen Performance, zu der sogar Taylor Swift die Hüften schwang. Für sein Album „Un Verano Sin Ti“ musste er sich dann freilich mit dem Spezial-Preis „Best Música Urbana Album“ begnügen. Dass der Titel „Meistgestreamter Künstler der Welt“ bei den Grammys nichts bedeutet, diese schmerzhafte Erfahrung musste vor ihm bereits Drake machen.

Der alternde Rap-Gott bleibt der Gala seit Jahren fern, fehlte deshalb leider im von The-Roots-Drummer Questlove produzierten Mega-Medley, mit dem 50 Jahre Hip-Hop gefeiert wurden, unter anderem von Grandmaster Flash, De La Soul, Public Enemy, Queen Latifah, Busta Rhymes und Missy Elliott bis hin zu Lil Uzi Vert.

Jahrzehntelang ignorierten die Grammys geflissentlich das Genre, ob elf mitreißende Minuten als Wiedergutmachung ausreichen? Zusätzlich gab es dieses Jahr einen neuen Preis, den „Dr. Dre Global Impact Award“, nicht in Gold, sondern glänzend schwarz. Erster Preisträger: Dr. Dre, auch er ganz in Schwarz. Das gibt es nur bei den Grammys.