Die Nominierungen für den wichtigsten US-Musikpreis zeigen: Pop ist zurzeit weiblich. Und dann wäre da noch eine kleine Band aus Liverpool.
Grammy-AwardsWarum die Beatles mit Sabrina Carpenter und Chappell Roan konkurrieren
Die Grammy Awards haben ihre diesjährigen Nominierungen bekannt gegeben. Eine der großen Überraschungen: „Now and Then“ konkurriert mit Sabrina Carpenters „Espresso“, Chappell Roans „Good Luck, Babe!“, Charli XCXs „360“ und Kendrick Lamars „Not Like Us“ um die Auszeichnung als „Record of the Year“. Daran, dass die erwähnten Künstlerinnen und Künstler das Popgeschehen anno 2024 angemessen repräsentieren, besteht kein Zweifel. Selten schwangen die sonst oft etwas biederen Grammys derart im Einklang mit dem Zeitgeist wie zu ihrer 67. Ausgabe.
„Now and Then“ aber fällt aus dieser Reihe raus, die Single stammt von einer Band, die aktuellen Musiktrends denkbar fern steht, was vor allem daran liegt, dass sich die Beatles bereits vor 54 Jahren getrennt haben. Die offensichtliche Antwort, glaubt John Pareles, erster Popmusikkritiker der „New York Times“, laute „Boomer-Nostalgie“. Das klingt einerseits arg vereinfacht, andererseits sollte man sie auch nicht unterschätzen, Bob Dylan hat ihr den Literaturnobelpreis zu verdanken.
KI-Technik verhalf den Beatles zu ihrer wohl letzten Single „Now and Then“
Oder ist „Now and Then“ gar die am weitesten vorausschauende Aufnahme des Jahres? Die KI-Technik, mit deren Hilfe John Lennons Stimme von einer dumpfen Demo-Aufnahme von ihrer Klavierbegleitung isoliert wurde, stand im vorangehenden Jahrzehnt noch nicht zur Verfügung. Bei den Grammys zeichnen Musiker, Produzenten und andere Mitglieder der Musikindustrie ihresgleichen aus, da kann ein technischer Durchbruch ebenso preiswürdig sein wie das kulturelle Kapital, das etwa Charli XCX mit ihrem „Brat“-Album angehäuft hat.
Kommt noch dazu, dass die größte aller Bands von den Grammys zeit ihres Lebens eher stiefmütterlich behandelt wurde: „Sgt. Pepper's“ gewann seinerzeit den Grammy als „Album des Jahres“, aber „Revolver“, das weiße Album und „Abbey Road“ verloren gegen Einspielungen von Frank Sinatra, Glen Campbell und Blood, Sweat & Tears.
Beyoncé hingegen kann sich kaum beklagen: Mit nun 99 Nominierungen zieht sie an ihrem Mann Jay-Z (der zuvor noch gleichauf lag) vorbei und auch an allen anderen Recording Artists der Grammy-Geschichte. Die meisten Gewinne hatte sie schon – nur die krönende Auszeichnung zum „Album des Jahres“ blieb ihr bislang versagt. Mit „Cowboy Carter“, ihrem Ausflug ins Country-Genre, könnte es jetzt endlich so weit sein. Vor allem, nachdem sie bei den Country Music Awards erneut mit null Nominierungen brüskiert wurde.
Oder es siegt die Macht der Gewohnheit und mit ihr Taylor Swift. Selten jedenfalls fielen die Grammy-Nominierungen derart weiblich aus, eine wichtige Kurskorrektur nach den Skandalen der vergangenen Jahre und auch ein Spiegel des Ist-Zustands, nur der schwarze Country-Newcomer Shaboozey konnte es mit seinem Langzeithit „A Bar Song (Tipsy)“ in den Charts mit Swift, Billie Eilish und dem aktuellen Pop-Triumvirat aus Charli XCX, Chappell Roan und Sabrina Carpenter aufnehmen.
Bleibt die herzigste Nominierung: Auch André 3000 tritt mit seiner experimentellen Flötenplatte „New Blue Sun“ als „Album des Jahres“- an, genau 20 Jahre, nachdem er mit seinem Duo Outkast in dieser Kategorie als bislang letzter Hip-Hop-Act gewonnen hatte.