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Grammy-BilanzBeyoncés später Triumph, Kendricks profitabler Hass

Lesezeit 4 Minuten
LOS ANGELES, KALIFORNIEN - 02. FEBRUAR: Chappell Roan performt auf der Bühne während der 67. GRAMMY Awards in der Crypto.com Arena am 02. Februar 2025 in Los Angeles, Kalifornien.

Chappell Roan performt auf der Grammy-Bühne ihren Hit „Pink Pony Club“

Nach 99 Nominierungen gewinnt Beyoncé endlich den Preis für das Album des Jahres. Auch sonst erfüllten die Grammys fast alle Wünsche.

Zu den Verhaltensauffälligkeiten der Grammy Awards gehört die Neigung der Recording Academy, Beyoncé Carter-Knowles mit Nominierungen zu überhäufen, 99 sind es inzwischen. Und auch die, der Sängerin den wichtigsten Musikpreis, den für das Album des Jahres, konsequent zu verweigern.

Am Sonntagabend in der Crypto.com-Arena, in einer Gala, die von den verheerenden Waldbränden in Los Angeles geprägt war, war es endlich so weit: Nachdem Beyoncé sich bislang viermal in der Hauptkategorie geschlagen geben musste, gewann sie für ihre Country-Erkundung „Cowboy Carter“, Feuerwehrleute überreichten die Trophäe.

„Es sind viele, viele Jahre vergangen“, setzte die 43-Jährige zur Dankesrede an, dann musste sie lachen und die Regie der Fernsehübertragung schnitt auf Lady Gaga, der im Saal eine Träne über die Wange lief. Beyoncé hatte für bessere Projekte verloren, für ihr Beinahe-Scheidungsalbum „Lemonade“, für ihre Club-Hommage „Renaissance“, aber ein würdiger Gewinner ist „Cowboy Carter“ allemal. Und eben ein überfälliger.

Taylor Swift ging an diesem Abend ausnahmsweise leer aus

War den Academy-Mitgliedern Charli XCXs „Brat“, das prägendste Album des vergangenen Jahres, zu hedonistisch und elektronisch (die Britin holte drei Grammys in Nebenkategorien)? Lag es an den mauen kritischen Reaktionen auf Taylor Swifts „The Tortured Poets Department“? Oder doch eher daran, dass Beyoncé auf „Cowboy Carter“ uramerikanische Befindlichkeiten und Verwerfungen erkundete? Genre sei nur ein Codewort, um Künstler in Schranken zu weisen, bemerkte die Gewinnerin und widmete ihr goldenes Grammophon der schwarzen Country-Pionierin Linda Martell. Ernsthaft überrascht hatte sie sich über ihren anderen Grammy gezeigt: Für das beste Country-Album musste sie sich gegen Nashville-Größen wie Chris Stapleton und Lainey Wilson durchsetzen, verkündet wurde ihr Sieg vom Ex-Country-Star Taylor Swift.

Der andere große Gewinner der 67. Grammys ist Kendrick Lamar, dessen Song „Not Like Us“ gleich fünfmal ausgezeichnet wurde, auch in den Top-Kategorien „Record of the Year“ und „Song of the Year“. Ungewöhnlich für einen Rap-Track, noch ungewöhnlicher für einen Diss-Track, das heißt für ein Stück, dessen Text sich ausschließlich aus möglichst kreativen Beleidigungen eines anderen Rappers zusammensetzt. „Not Like Us“ bildete den End- und Höhepunkt der letztjährigen Fehde zwischen Lamar und Drake, zwischen dem Pulitzerpreisträger aus Compton und dem Chartskönig aus Toronto.

LOS ANGELES, CALIFORNIA - FEBRUARY 02: (FOR EDITORIAL USE ONLY) Kendrick Lamar, winner of Record Of The Year, Best Rap Performance, Best Rap Song, Best Music Video and Song Of The Year for “Not Like Us”, poses in the press room during the 67th GRAMMY Awards at Crypto.com Arena on February 02, 2025 in Los Angeles, California.   Frazer Harrison/Getty Images/AFP (Photo by Frazer Harrison / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP)

Kendrick Lamar kann seine Grammy-Trophäen kaum halten.

Was läppisch begann, wurde zusehends unversöhnlicher, in „Not Like Us“ schließlich bezeichnete Lamar seinen Intimfeind als Pädophilen, worauf dieser rechtliche Schritte einleitete. Künstlerisch hatte Drake dem so gifttriefenden wie tanzbaren Song nichts entgegenzusetzen, kommerziell wurde er zu Lamars bislang größtem Erfolg. Am Sonntagabend grölten die in der Arena versammelten Stars die skandalösen Diss-Zeilen mit, als hätten sie kollektiv das Karriereende des einst weltweit meistgestreamten Musikers beschlossen.

Drakes kanadischer Kollege The Weeknd hatte ein ähnlich gespaltenes Verhältnis zur Recording Academy. Deren CEO Harvey Mason Jr. ließ es sich nicht nehmen, persönlich den Überraschungsauftritt anzukündigen, mit dem der Sänger seinen langjährigen Boykott beendete. Überhaupt gab man sich versöhnlich, vielleicht auch angesichts der Brandkatastrophe vor Ort: Will Smith übernahm die Ansage für die lange Ehrerbietung an den im November verstorbenen Meisterproduzenten Quincy Jones, gipfelnd in einer mitreißenden Michael-Jackson-Heraufbeschwörung von Janelle Monáe. Es war der erste Gala-Auftritt von Smith seit seinem Ausraster bei den Oscars vor drei Jahren.

Der übliche Grammy-Frust blieb aus. Selten war das Feld der Bet-New-Artist-Nominierungen so dicht besetzt wie in diesem Jahr: Shaboozey, der mit „A Bar Song (Tipsy)“ Country und Hip-Hop zum größten US-Hit des Jahres vereinte, Sabrina Carpenter, ohne deren „Espresso“ der Sommer glatt eingeschlafen wäre oder die junge Rapperin Doechii, die auf eigene Faust ein Back-to-the-Basics-Mixtape namens „Alligator Bites Never Heal“ aufnahm und damit ihren Durchbruch in den Mainstream erlebte.

Am Ende war aber die queere Popsängerin Chappell Roan die einzig richtige Gewinnerin – was sie nicht zuletzt mit einer forschen Dankesrede bewies, in der sie von den großen Plattenfirmen bessere Krankenversorgung gerade für junge Kunstschaffende verlangte. Carpenter gewann dafür unter anderem für das „Best Pop Vocal Album“, Doechii schlug den favorisierten Altstar Eminem beim Kampf ums beste Rap-Album. „Alles ist möglich“, rief die Rapperin jungen schwarzen Mädchen von der Bühne aus zu.

Alles schien möglich an diesem Abend, selbst die Boomer-Generation durfte feiern: Die angeblich letzte nachgereichte Beatles-Single „Now and Then“ wurde zur besten Rock-Performance, das Rolling-Stones-Spätwerk „Hackney Diamonds“ zum Rock-Album des Jahres erklärt. Aber was sagt das über Rock aus?