Gratulation an Herbert GrönemeyerDas Nuscheltier der Nation wird 65

Bratwurst statt Currywurst: Herbert Grönemeyer.
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Auch ein Opfer der Pandemie: Vor einem Jahr hätte am Bochumer Schauspielhaus „Herbert“ Premiere feiern sollen. Ein gemeinsamer Abend von Herbert Fritsch und Herbert Grönemeyer. Ach, das wäre ein Fest gewesen! Der quirlige Regie-Dadaist feiert Bochums größten Sohn, ebendort, wo der als Theatermusiker seine Karriere begonnen hat. Und Herbert, also Grönemeyer, hatte seinen Namensvetter ausdrücklich dazu aufgefordert, ihn ohne Ehrfurcht zu zerlegen und zerfleddern.
Warum sollte er auch Berührungsängste haben? Er hat den Prinzen Orlofsky in Strauss’ „Die Fledermaus“ auf der Bochumer Bühne gesungen, Jahre bevor die Menschen in Mehrzweckhallen strömten, um seine eigenen Lieder zu hören.
Selbst die hat er sich am Anfang texten lassen, weshalb er auf seinen ersten Platten – das Debüt gewann legendärer- und berechtigterweise die „Goldene Zitrone“ für das hässlichste Albumcover – nur ein klein wenig nach Grönemeyer klingt und sehr viel mehr nach einem Liedermacher aus dem zweiten Rang.
Anfang der 1980er Jahre kannten die Deutschen dann wenigstens sein Gesicht, zum Beispiel aus Peter Schamonis Robert-Schumann-Film „Frühlingssinfonie“, an der Seite von Nastassja Kinski und vor allem natürlich als Kriegsberichterstatter Leutnant Werner aus Wolfgang Petersens „Das Boot“.
Das seltsame Gebaren der Deutschen
Dabei hatte Herbert Grönemeyer selbst einiges zu berichten, nicht von Krieg, sondern vom seltsamen Gebaren der Deutschen in Friedenszeiten. Und als er nach seinen Lehr- und Wanderjahren zur EMI wechselte, um am Kölner Maarweg die klingende Postleitzahl „4630 Bochum“ aufzunehmen, da hörten seine Mitbürger endlich hin und fühlten sich verstanden: Der Rest der Welt feierte Michael Jackson, nur in der BRD war am Ende nicht „Thriller“, sondern „4630 Bochum“ das erfolgreichste Album des Jahres.

Herbert Grönemeyer singt vor dem Spiel der 2. Bundesliga VfL Bochum gegen Greuther Fürth im Vonovia Ruhrstadion den Song "Bochum".
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Der Horror findet hier nicht auf der Kinoleinwand statt, sondern in den Körpern der gestressten Malocher. Männer baggern wie blöde und kriegen zur Belohnung ’nen Herzinfarkt, Alkohol ist ihr Fallschirm und ihr Rettungsboot.
Wenn sie verliebt sind, dann spüren sie nicht Schmetterlinge, sondern Flugzeuge im Bauch – deutsche Ingenieurskunst eben – und wenn sie tanzen, dann nicht leichtfüßig und überschäumend wie Jacko bei „Wanna Be Startin’ Somethin’“, sondern ungelenk und mit nervös zuckenden Augenlidern wie im „Mambo“, in dem Grönemeyer die Frust der Parkplatzsuche vorm Date (na ja, es ist nur „Kaffee und Kuchen“) zum Tanzen bringt.
Immer unter Hochdruck
Er ist ja selbst so ein Mann. Einer, der live immer unter Hochdruck steht, der mit angeschwollenen Adern und Gesten, als würde er einen Flugzeugträger einweisen, seine Botschaften herauspresst. Die dann prompt von allen verstanden werden, auch wenn Uneingeweihte wenig mehr hören als den Grönemeyer exklusiv vorbehaltenen Kammerton Ö. „Kampfsänger“ nennt ihn seine Band.
Auf den auf „Bochum“ folgenden Alben hätte er ob des scheinbar unwiederholbaren Erfolgs eigentlich verkrampfen müssen, stattdessen verließ sich Grönemeyer zunehmend auf seinen Instinkt, vermischt Persönliches mit Politischem, hält mit seiner Meinung nie hinterm Berg, auch wenn die eher so eine Art Gefühl ist und zu gedanklichen Kurzschlüssen wie „Kinder an die Macht“ (Gott bewahre!) führt.
Musik für Schicksalsschläge
Die meisten Künstler gehen so vor, doch den wenigsten gelingt es, zugleich Millionen Menschen anzusprechen, die letztlich doch ganz anders sind.Trauert Grönemeyer um seine Frau und seinen Bruder, wie auf „Mensch“, dann lädt er weniger zum Mittrauern ein, als dass er seinen Landsleuten ein Verarbeitungswerkzeug für Schicksalsschläge schenkt, ein tönendes Nuscheltier für die Tage, die man nur im Bett übersteht.
Das ist unfassbar großzügig – und darin liegt wohl auch das Geheimnis seines Erfolges: Er hat uns Deutsche mit all unseren Fehlern und all unserer Hässlichkeit angenommen. Er ist der Mann, der uns versteht, aber trotzdem liebt. Danke, Herbert! Und alles Gute zum 65.!