Gürzenich-Konzert mit UraufführungStarcellist Queyras übertrifft sich selbst
Köln – Die Partitur sieht schön aus – die Stimmen der vielfach geteilten Streicher formieren sich an mehreren Stellen grafisch zu Christbaum-ähnlichen Gebilden. Und komplex mit ihren rhythmischen Verschränkungen sind diese auch – sehr komplex. An die Spieler stellen sie jedenfalls höchste Anforderungen. An die Hörer auch – wobei die Frage bleibt, ob die Komplexität als solche überhaupt zu nachvollziehbarem Klang werden kann.
Ein valides Urteil über Vito Zurajs 2021 uraufgeführtes Cellokonzert „Unveiled“ (Offenbart), dessen revidierte Fassung vom französischen Starcellisten Jean-Guihen Queyras und dem Gürzenich-Orchester unter François-Xavier Roth am Sonntagmorgen in der Philharmonie uraufgeführt wurde, ist nach einmaligem Hören kaum möglich. Es bleibt der starke Eindruck einer in ihrer Klanggestalt exzessiven und zugleich hochemotionalen Musik (laut Programmheft hat der slowenische Komponist hier das Erlebnis einer unglücklichen Liebe verarbeitet), die zwischen Kirchenglocken und den Geräuschen eines Entenweihers (im Blech) eine so zerrissene wie ereignishaft vielfältige Welt hinstellt.
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Der mit allen erdenklichen Schwierigkeiten gespickte und von Queyras mit souveräner Leidenschaft gestaltete Solopart tendiert mitunter zum Geräuschhaft-„Transmusikalischen“, dann wieder wird eine klagende Kantilene laut, die intensiv an die traditionelle Idiomatik des Instruments gemahnt. Dies gilt auch für das Orchester, das sich – in stets wechselnden Texturen – zum Solisten in ein teils partnerschaftliches, teils „feindliches“ Verhältnis setzt.
Es war reizvoll, Queyras im Anschluss auf ganz anderem Terrain zu erleben: als traurigen Ritter in Strauss’ „Don Quixote“-Variationen. In erfreulich deutlichem gestischem Kontrast zur Gürzenich-Solobratschistin Öykü Canpolat, die ihren Sancho Pansa „straight“ anging, gab der Cellist den sehnsüchtigen Träumer. Klar, für Roth wie für das Orchester, das es einst aus der Taufe hob, ist das Werk ein Heimspiel. Besonders schön zu hören, wie aus dem luzide ausgeleuchteten Kontrapunkt immer wieder plastische szenische Bilder sprangen. Das fesselte von der ersten bis zur letzten Sekunde.
Als Eröffnungsstück hatte Roth, der Mann für ausgefeilte Programme, eine von ihm zusammengestellte Suite aus der Oper „Les Indes galantes“ des französischen Barockmeisters Jean-Philippe Rameau platziert. Die Brücke zu Zuraj und Strauss? Die exquisite Klanglichkeit (bei Rameau zum Beispiel das auch von Roth selbst bediente Schlagwerk), die diese Musik in ihrer Zeit einzig dastehen lässt. Keine Spur von Bach und Händel! Sie ist wild, exotisch, manisch – und wurde auch so gespielt. Wie auch immer: Unter Roth werden die Gürzenicher noch zum veritablen Barockorchester. Chapeau!