Das Gürzenich-Orchester und der Bürgerchor eröffneten die Spielzeit mit Festkonzert.
Rund 140 Laien singen mitGürzenich-Orchester eröffnet neue Spielzeit mit Bürgerchor
In Igor Strawinskys „Psalmensinfonie“ ist die übliche vox humana der hohen Streicher wegamputiert. Zu Celli und Bässen kommen umso stärker besetzte Bläser, Schlagzeug, zwei Klaviere und ein Chor. Die Singstimmen werden jedoch nicht kantabel behandelt, sondern mit harten Repetitionen und starren Ostinati, als sollten die lateinischen Psalmverse in Stein gemeißelt werden.
Die Härten von bitonaler Harmonik, extremen Lagen und Farben zielen auf den betont nicht-subjektiven Ausdruck von monumentaler Größe und Kraft. Die Anrufung des Herrn „Dominum“ mit blockartigem C-Dur-Dreiklang dient als überwältigendes Offenbarungssymbol des dreieinigen Gottes.
Das Gürzenich Orchester unter François-Xavier Roth eröffnete seine neue Spielzeit zusammen mit dem 140 Stimmen starken Bürgerchor. Bereits zum zweiten Mal wurde dieser Laienchor vom Kölner Universitätsmusikdirektor Michael Ostrzyga zusammengestellt und bestens einstudiert sowie von der Concert-Gesellschaft gefördert. Durch einige Profis unterstützt entfalteten die Sängerinnen und Sänger ebenso überwältigende Strahlkraft wie schmeichelnd weiches Piano.
Mit Mahlers vierter Symphonie zeigte sich das Orchester von seiner kammermusikalisch besten Seite
Zwischen den forcierten Passagen gelang die dreimalige tonale Kadenz „Alleluja“ als demutvolle Beschwörungsformel. Und zum weichen „Laudate“ begann sich der Chor auf der Empore sanft hin und her zu wiegen. Von einem Moment zum anderen übertrug sich so extreme Anspannung und ruhige Gelassenheit.
Mit Mahlers vierter Symphonie zeigte sich das Orchester anschließend von seiner kammermusikalisch besten Seite. Die vielen abrupten Tempo- und Stimmungswechsel gelangen ebenso ausgezeichnet wie die zahlreichen Soli. Der Kopfsatz des äußerlich klassisch viersätzigen Werks basiert entgegen der Gattungstradition nicht auf dem Dualismus zweier kontrastierender Themen.
Stattdessen gibt es eine potpourriartige Fülle verschiedenster Charaktere, die sich zu einem bunt wirbelnden Reigen verketten und kontrapunktisch verschlingen. Eine Melodie jagt die andere. Und gekrönt wird die Narretei an formal markanten Stellen – wie im Finale – durch einen klirrenden Schellenkranz.
Sopranistin Siobhan Stagg sang engelsgleich vom Balkon über dem Orchester
Stellenweise gleitet das muntere Treiben ins Tragische und klingt die Trompetenfanfare von Mahlers späterer fünfter Symphonie an. Doch wie nach einem leichten Fehltritt schwenkt das Orchester gleich wieder zurück ins heitere Tanzen, Spielen, Singen. Ein Perpetuum Mobile ist auch der zweite Satz. Das unablässig rotierende Figuren- und Floskelwerk dieses Scherzos ist ein Sinnbild des betriebsamen Weltlaufs.
Umso tiefere Ruhe verbreitet dann das von den Streichern wunderbar zart ausgesungene Adagio. Hier reißt kurz vor Schluss der Himmel auf und lässt einen Vorschein des Paradieses ahnen, flankiert vom Selbstzitat aus Mahlers Rückert-Lied „Ich bin der Welt abhandengekommen“.
Das finale „Himmlische Leben“ sang Sopranistin Siobhan Stagg engelsgleich vom Balkon über dem Orchester, erdete das Transzendenzverlangen aber zugleich mit den besungenen handfesten Gaumenfreuden samt bacchantisch wiederkehrendem Schellenkranz. Am Ende versickern alle Melodien. Zurück bleibt nur noch ein einziger letzter Ton und dann lange gespannte Stille. Gefolgt von begeistertem Applaus.