Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Hans RosenthalTV-Legende entkam der Shoah – und bespaßte das Land der Täter

Lesezeit 10 Minuten
Der beliebte Quizmaster Hans Rosenthal in einer Fernsehsendung im Jahr 1985. Seine größte Popularität erreichte der Unterhaltungskünstler mit der vom ZDF ausgestrahlten Quizsendung „Dalli Dalli". Hans Rosenthal starb am 10.2.1987 im Alter von 61 Jahren an den Folgen seines Krebsleidens. KPA

Der beliebte Quizmaster Hans Rosenthal in einer Fernsehsendung im Jahr 1985. Seine größte Popularität erreichte der Unterhaltungskünstler mit der vom ZDF ausgestrahlten Quizsendung „Dalli Dalli“. Hans Rosenthal starb am 10.2.1987 im Alter von 61 Jahren an den Folgen seines Krebsleidens. KPA

Hans Rosenthal, der „Erfinder“ der ZDF-Unterhaltungsshow „Dalli Dalli“ war einer der kreativsten Entertainer der noch jungen Bundesrepublik.

Was ist Mut? Sich nur mit einem Gunmmiseil am Fuß von einer Hochbrücke in die Tiefe zu stürzen, würde man heute sagen. Vor 80 Jahren war es mutig, geradezu todesmutig, einem jungen Menschen seine Gartenlaube als Obdach zur Verfügung zu stellen. Damals, im Berlin der 40er Jahre, als Mut ein extrem rares Gut war.

Dem Mut der drei Berlinerinnen Ida Jauch, Maria Schönebeck und Emma Harndt verdankte Hans Rosenthal sein Leben. Und Nachkriegsdeutschland verdankte den drei Hausfrauen einen der freundlichsten, quirligsten, kreativsten Entertainer, den Erfinder von „Dalli dalli“. Vor 100 Jahren, am 2. April 1925, wurde er in Berlin geboren.

Mit „Dalli Dalli“ wurde Hans Rosenthal zum gern gesehenen Gast an den Abendbrottischen der TV-Republik

Mit „Dalli Dalli“, das ZDF zeigte die 153 Sendungen zwischen 1971 und 1986 immer donnerstagabends, wurde Hans Rosenthal zum gern gesehenen Gast an den Abendbrottischen der TV-Republik. Weil er servierte, was dieses Land so bitter nötig hatte: kurzweilige, spaßige Unterhaltung bar jeder Belehrung, ohne komplizierte Regeln, selbst kreiert und zudem prominent besetzt.

Wie kein anderer Entertainer holte er das Who is who der Republik in seine Sendung, ließ Bundespräsidenten Stimmen raten, Fußballweltmeister im Akkord Schirme aufspannen, gefeierte Opernstars mit Wasser gefüllte Ballons fangen - er selbst dabei stets wie in Ekstase, während die Uhr tickte und die Hintergrundmusik an Tempo gewann. Ob Jung und Alt, es war schier unmöglich, sich der guten Laune zu entziehen, die Hans Rosenthal allmonatlich versprühte.

Erst 1980, er war bereits 55 Jahre alt und längst der gefeierte Entertainer mit gigantischen Einschaltquoten von bis zu 20 Millionen Zuschauern, überraschte Rosenthal mit einer Autobiografie, in der er sein bis dato nur ansatzweise bekanntes „erstes Leben“ preisgab. „Zwei Leben in Deutschland“ nannte er das Buch. Schon der Titel war eine glatte Untertreibung, eben typisch für Rosenthal, den großen Versöhner.

Versteck in der Laubenkolonie

Weil im Deutschland der Nazidiktatur für zwei jüdische Waisen kein Platz zum Leben vorgesehen war – die Eltern von Hans und seinem 1932 geborenen Bruder Gert waren 1937 beziehungsweise 1941 an Nierenversagen sowie Krebs gestorben. Rosenthals „erstes Leben“ - es geriet zum verzweifelten Wettlauf mit dem Tod. Nachdem sein zehnjähriger Bruder im Oktober 1942 mit dem gesamten jüdischen Waisenhaus in ein Vernichtungslager abtransportiert wurde, überlebte der 17-jährige Hans wie durch ein Wunder zunächst in verschiedenen Fabriken und Arbeitslagern, ab März 1943 dann zwei Jahre lang in den Gartenhäuschen der oben erwähnten Frauen. Dort, in der Laubenkolonie „Dreieinigkeit“ im Berliner Bezirk Lichtenberg, hielt sich der Junge verborgen. Endlose 762 Tage und Nächte lang. Immer mit der Angst, entdeckt, verraten, krank oder schutzlos von Bomben getroffen zu werden. Wie soll man da leben?

Im Buch beantwortet Hans Rosenthal diese Frage nur im Ansatz. Er schreibt davon, wie er im Versteck lernen musste, sein Gehör zu schärfen, weil er auf jedes Geräusch achtete. Wie er, als einer von ganz wenigen Berlinern, die Bombennächte herbeisehnte, weil sie ihm Stunden des Freigangs schenkten. Denn nur dann, wenn die Briten (nur sie flogen nachts) ihre tödliche Last über der Reichshauptstadt abwarfen, waren die Straßen menschenleer, konnte er sich auf eine Wiese legen, in den nachtschwarzen Himmel schauen, von wo eine tödliche Gefahr drohte, die ihm doch weniger Angst machte als jene, die von der Mehrheit seiner damaligen Mitmenschen ausging.

Aber am Ende hat er sich wohl entschieden, lieber beim ZDF zu bleiben, als die Zusammenarbeit mit einem großen Krach zu beenden.
Sohn Gert Rosenthal

Er beschreibt, wie Ida Jauch mit ihm die kargen Rationen ihrer Lebensmittelkarte teilte, bis sein Schutzengel eines Tages im Juli 1944 nach einem inneren Bruch überraschend im Krankenhaus verstarb. Rosenthal fand über die Mitwisserin Emma Harndt bei Maria Schönebeck in der Nachbarschaft ein neues Versteck, das er endlich am 25. April 1945 verlassen konnte. Als der nunmehr 20-Jährige den Russen entgegeneilte, wäre er um Haaresbreite von den Befreiern als vermeintlicher NS-Spion exekutiert worden.

Film würdigt Rosenthal

Das ZDF, sein einstiger Sender, strahlt im Vorfeld des 100. Geburtstags den Fernsehfilm „Rosenthal“ (ab 22. März in der Mediathek, am 7. April 20.15 Uhr) aus, der sich dieser geradezu unerträglichen Ambivalenz widmet, der dieser Entertainer im Nachkriegsdeutschland ausgesetzt war: Einerseits monatlich zur besten Sendezeit die TV-Nation zu bespaßen bei gleichzeitigem Unvermögen oder besser Unwillen der Gesellschaft, sich den Monstern der Vergangenheit zu stellen.

Im Film läuft daher die Handlung etwas dramaturgisch zugespitzt auf den 9. November 1978 zu, dem 40. Gedenktag der Pogromnacht. An jenem Tag begann die offizielle Bundesrepublik erstmals, die Erinnerung an das Geschehene in Form von zahllosen Veranstaltungen dem drohenden Vergessen zu entreißen.

«Man muss Menschen mögen» - Showlegende Hans Rosenthal.

Hans Rosenthal hat „sein Jüdischsein nie an die große Glocke gehängt, auch deshalb nicht, weil er sein wollte wie alle anderen“.

Gleichzeitig plante sein Sender just an jenem 9. November 1978, einem Donnerstag, eine große „Dalli Dalli“-Jubiläumssendung. Wie gewohnt erwartete man von Rosenthal, dass er auch an diesem besonderen Tag Luftsprünge machte und ins Publikum fragte „Wir sind alle der Meinung, das war..?“, woraufhin ihn ein vielstimmiges „Spitze!“ entgegnen würde. Was viel über den Stand der gepriesenen „Aufarbeitung“ in jenen Jahren verrät.

Die von Rosenthal im Vorfeld des Gedenktags geradezu demütig vorgetragene Bitte, den Sendetermin doch zu verschieben, wird im Film vom ignoranten ZDF-Unterhaltungschef „Dr. Hummel“ zunächst überhört, dann schlicht übergangen. Rosenthal fügt sich, setzt aber durch, einmalig im schwarzen Anzug zu moderieren und weitgehend auf Bühnenklamauk zu verzichten. In seiner zwei Jahre später erscheinenden Biografie wird dieser Vorfall mit keiner Zeile erwähnt. Und auch die Öffentlichkeit schien damals kaum Notiz davon genommen zu haben.

„Ich habe mitbekommen, dass er versucht hat, diesen Termin zu verschieben, an mehr erinnere ich mich nicht. Aber ich habe nach seinem Tod von einem sehr engen Mitarbeiter meines Vaters gehört, wie wütend ihn das gemacht hat und wie traurig er war“, bestätigt Gert Rosenthal, der heute 66-jährige Sohn des Entertainers im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Aber am Ende hat er sich wohl entschieden, lieber beim ZDF zu bleiben, als die Zusammenarbeit mit einem großen Krach zu beenden, weil er meinte, mehr zu bewirken, wenn er dabei ist“, so der Berliner Rechtsanwalt.

Was heute beim Lesen der Rosenthal-Biografie und auch beim Hören von Interviews auffällt, ist die Nachsicht, die Milde, die der TV-Mann dieser Bundesrepublik, in der er sein „zweites“, sein eigentliches Leben führte, in der er es über den Berliner Rundfunksender RIAS ins Fernsehen und zu großer Beliebtheit schaffte, entgegenbrachte.

Saßen nicht gerade in jenen Jahren die Organisatoren der Shoah, die Schreibtischmörder seines kleinen Bruders Gert auch weiterhin in Behörden, Amtsstuben, im Umfeld des Kanzleramts, in den Rundfunkräten - und ganz sicher auch in seinem Publikum? „Ich finde nicht, dass er nachsichtig war - aber er war versöhnlich, das war er ganz bestimmt“, sagt Gert Rosenthal. „Er hat immer gesagt, er kann in Deutschland leben, weil es diese Frauen gab, die ihm trotz Risikos für das eigene Leben geholfen haben, und er damit auch die guten Deutschen kennengelernt hat“, so der Sohn. „Aber ich glaube auch, dass er die Gefahr von rechts etwas unterschätzt hat“, ist Gert Rosenthal überzeugt.

Die guten Deutschen dominieren sein Menschenbild

Diese guten Deutschen dominierten fortan Hans Rosenthals Menschenbild, die weniger guten ignorierte er, zumindest nach außen. Zu Hause habe er einen Aktenordner mit der Aufschrift „antisemitische Schreiben“ gehabt, welchen er aber offensichtlich noch vor seinem Tod 1987 vernichtete, erinnert sich sein Sohn. „Im Großen und Ganzen merke ich diesen Antisemitismus nicht“, äußerte Hans Rosenthal in einer Radiosendung „Saarländischen Rundfunks“ aus dem Jahr 1981 auf eine entsprechende Hörerfrage. Vielleicht wollte er ihn auch nicht wahrnehmen, denn schon die an ihn gerichteten Fragen der Anrufer hören sich heute wenig empathisch an: „Die Deutschen hatten sich daran gewöhnt, mit Menschen aller Nationalitäten zu leben. War es nötig, dass der Film ‚Holocaust‘ alles durcheinander gebracht hat?“, fragt da eine Hörerin.

Die 1978 in der ARD ausgestrahlte amerikanische Serie „Holocaust“ bildete den Auftakt zu einer ersten, öffentlichen Diskussion über den millionenfachen Mord an den europäischen Juden in der bundesdeutschen Gesellschaft - über 30 Jahre nach Kriegsende. Diese Debatte nach Jahrzehnten als störend zu empfinden, setzte ein großes Maß an Ignoranz voraus. Andere Hörer interessierten sich für Rosenthals Haltung zu Israel und fragten, ob der überzeugte Berliner je darüber nachgedacht habe, in Israel zu leben.

Sein „Jüdischsein nie an die große Glocke gehängt“

Dabei hatte Rosenthal „sein Jüdischsein nie an die große Glocke gehängt, auch deshalb nicht, weil er sein wollte wie alle anderen“, so Rosenthals Tochter Birgit Hofmann über ihren Vater. Er fürchtete, ein selbstbewusster Auftritt als Jude könne „Ressentiments von früher“ hervorrufen. Freude schenken ohne moralischen Zeigefinger, das war Hans Rosenthals Weg. Tatsächlich gelang es ihm so, die Herzen seiner Landsleute zu gewinnen. Das war die „Methode Roberto Blanco“, der als singende Stimmungskanone sein Schwarzsein auch nie thematisiert hat, die vielen existierenden Vorurteile ignorierend.

Doch anders als Roberto Blanco musste Hans Rosenthal als jüdischer Entertainer in Deutschland zwangsläufig an einen Punkt kommen, an dem sich die Gespenster der Vergangenheit nicht mehr weglächeln ließen. Die späten 70er Jahre hatten etwas verändert, auch wegen der bereits erwähnten TV-Produktionen über die Shoah. Eine deutlich nach links gerückte Öffentlichkeit war der jahrzehntelangen Sprachlosigkeit der Tätergeneration überdrüssig geworden.

HANDOUT - 20.03.2025, ---, --: In einer Filmszene aus "Rosenthal" steht Moderator Hans Rosenthal (Florian Lukas, 2.v.l.) im schwarzen Anzug vor einer Wabenwand im Studio (undatiertes Handout). Hinter ihm sitzt seine Ratejury mit Mady Riehl (Theresia Wald, r), "Ekki" Fritsch (Timo Dierkes) und Brigitte Xander (Katharina Völkl). Er war einer der größten Entertainer der Nachkriegszeit: Quizmaster Hans Rosenthal (1925-1987) wäre am in 2025 am 2. April 100 Jahre alt geworden. Das ZDF würdigt seinen Superstar von einst mit dem Fernsehfilm «Rosenthal», der ab 22. März zu streamen ist und am 7. April im Zweiten läuft. Foto: Ella Knorz/ZDF/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Sendung. Das Foto darf nicht verändert und nur im vollen Ausschnitt verwendet werden. Keine Archivierung. Nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++

Das ZDF, sein einstiger Sender, strahlt im Vorfeld des 100. Geburtstags den Fernsehfilm „Rosenthal“ aus. Gespielt wird Hans Rosenthal von Florian Lukas.

Was letztendlich den Ausschlag gab, dass Hans Rosenthal seine Lebens- und Leidensgeschichte in Buchform der Öffentlichkeit offenbarte - das können auch seine Kinder nicht wirklich sagen. „Im Vorfeld waren zwei größere Zeitungsartikel erschienen, in denen stand, ‚Hans Rosenthal sei jemand, den man gern als Nachbar hat‘. Ich habe den Eindruck gehabt, er nahm sich daraufhin vor, den Menschen mal zu erzählen, was das für ein Nachbar war und was für eine Geschichte der hat“, beschreibt Gert Rosenthal ein mögliches Motiv.

Wenig vom „ersten Leben“ erfahren

Auch wenn die Kinder das „erste Leben“ des Vaters kannten, so habe Birgit Hofmann erst im Buch „einiges erfahren, was ich selbst gar nicht wusste, worüber er mit uns nicht so ausführlich gesprochen hat. Wir wussten natürlich, dass mein Vater versteckt gelebt hatte, aber das war nicht das Thema, über das er uns lange Geschichten erzählt hätte“, sagt die 74-Jährige. Als Kind habe sie gespürt, „wenn der Vater über etwas nicht reden wollte, also beließ man es dabei und bohrte auch nicht nach“. Heute, mit dem zeitlichen Abstand, „bedaure ich es natürlich, da nicht mehr nachgefragt zu haben, vor allem, nachdem er gestorben war“.

Die Welt, die Hans Rosenthal vor 38 Jahren nach schwerer Krankheit viel zu früh verlassen musste, hat sich seitdem sehr verändert. Der Untergang der DDR und die anschließende Wiedervereinigung hätte Hans Rosenthal gefeiert. Seine eigenen Erfahrungen mit Tyrannei, mit (wenn auch unsichtbaren) Mauern, mit Indoktrination und Ausgrenzung ließen ihn zu einem kompromisslosen Diktaturverächter werden - was ihn bei West-Linken den Ruf eines „Kalten Kriegers“ einbrachte.

„Ich habe ein Fingerspitzengefühl dafür, wo Freiheit aufhört und wo die Diktatur beginnt“, sagte Rosenthal einmal. „Er hatte stets den gesamtdeutschen Blick“, ergänzt seine Tochter. Seine Erfahrungen als Mitarbeiter im (ostdeutschen) „Berliner Rundfunk“, seine anschließende Arbeit beim alliierten Sender RIAS hatten ihn zu einem unerschrockenen Kritiker der DDR gemacht, was ihn zum Ziel von Hetzartikeln und Diffamierungen machte. „Er hat stets vom anderen Teil Deutschlands gesprochen, selten von der DDR. Für ihn war es immer sehr, sehr wichtig, dass die Menschen in der DDR seine Sendung sehen konnten“, sagt Birgit Hofmann.

Das Erstarken von Rechtspopulismus, von Demokratieverdruss und Antisemitismus - Hans Rosenthal hätte das vermutlich in seiner Bundesrepublik niemals erwartet. Er würde die Möglichkeiten, die ihm durch seine Popularität zur Verfügung stehen, nutzen, um die Menschen davon zu überzeugen, was er für den richtigen Weg hält. Ich weiß, er würde sich sehr stark und sehr deutlich für seine demokratischen Überzeugungen einsetzen“, so Birgit Hofmann.

Besonders würde ihn vermutlich freuen, dass die Namen seiner drei Schutzengel, der mutigen Berlinerinnen, die sein Leben retteten, dem Vergessen entrissen wurden: In der Lichtenberger Bernhard-Bästlein-Straße, an jener Stelle, wo in die 60er Jahre die Kleingartenanlage „Dreieinigkeit“ einer Plattenbausiedlung weichen musste, erinnert heute eine Gedenktafel an Ida Jauch, Emma Harndt und Maria Schönebeck. Zudem wurde Ida Jauch, von der es nicht einmal mehr ein Bild gibt, in der israelischen Gedenkstätte Jad Vaschem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt – als eine von nur 651 Deutschen unter weltweit 28.217 Mutigen.