„Happy Fat“Ein Kampf gegen die Diskriminierung dicker Menschen
- Sofie Hagen wurde 1988 in Dänemark geboren und lebt heute in London. Sie ist Autorin und Stand-up-Comedian.
- „Happy Fat – Nimm dir deinen Platz!“ (DuMont, 352 Seiten, 18 Euro) ist ihr erstes Buch.
- Warum das Werk ein Augenöffner ist, der auf sehr humorvolle Weise unseren Blick auf Körperformen unter die Lupe nimmt.
Köln – Im Sommer sorgte eine Hotel-Direktorin in Sahlenburg für Aufsehen. Sie äußerte in einem Interview mit Radio Bremen ganz freimütig, dass dicke Menschen bei ihr nicht willkommen seien. Sie habe Angst um ihre Designer-Möbel. Diskriminierung sei das nicht. „Also ich finde es persönlich diskriminierend, dass ich so einen Anblick ertragen muss“, zitierte sie der Sender.
Eine Geschichte wie diese ist sicherlich ein Extremfall, aber für Sofie Hagen sind solche und ähnliche Sprüche und Situationen Alltag. Denn Sofie Hagen ist fett. Und das ist jetzt keine Beleidigung, denn die Dänin kämpft dafür, „fett“ zu einem neutralen Wort zu machen. Und hat deshalb auch gleich ihr Buch zum Thema „Happy Fat – Nimm dir deinen Platz!“ genannt.
Alltag und Ängste beschrieben
Es ist ein Augenöffner, der auf sehr humorvolle Weise unseren Blick auf Körperformen unter die Lupe nimmt. Sie beschreibt ihren Alltag, ihre Angst, nicht in Flugzeugsitze und auf Stühle zu passen. Die Blicke, die sie erntet, wenn sie in einem Restaurant beherzt in einen Burger beißt oder in einem Laden Kleidung in ihrer Größe sucht. Die Beleidigungen, die zum Alltag gehören. Denn während wir etwa die Diskriminierung von Homosexuellen zurecht verurteilen, wird die Diskriminierung von Dicken selten sanktioniert.
Dazu passt auch ein Blick auf das Antidiskriminierungsgesetz in Deutschland, von Übergewicht ist darin keine Rede. Und das, obwohl Gewichtsdiskriminierung weit verbreitet ist: 15 Prozent der Deutschen geben laut einer Studie der Krankenkasse DAK offen zu, dass sie den Kontakt mit dicken Menschen meiden. „Dicke Menschen werden schlechter bezahlt und finden schwerer Arbeit“, heißt es in „Happy Fat“.
Kritik an Filmen und Serien
Hagen, die in London lebt, zeigt auf, dass in Filmen und Serien, Dicke entweder nicht vorkommen oder verhöhnt werden. Sie sind dumm, laut und ungeschickt. Sie treten höchstens als beste Freundin oder Loser in Erscheinung. Niemals aber sind sie die Hauptfiguren einer Geschichte – es sei denn, es dreht sich eben alles um ihr Dicksein. Als Hagen vor ein paar Jahre „Wir brauchen eine dicke Disney-Prinzessin“ twitterte, wurde sie in Tausenden Kommentaren zum Teil wüst beschimpft. „Eine fette Prinzessin muss abnehmen, damit ein echter Prinz sie schön findet und küsste, ohne Fleiß kein Preis“, hieß es da etwa.
Die 31-Jährige, die schon als Kind dick war, zeigt, wie der jahrelange Kampf mit Diäten und die ständigen Beleidigungen bei ihr zu Depressionen führten. Und dass diese permanenten Herabwürdigungen viele Dicke krank machen. Wie groß der Druck ist, zeigt eine in „Happy Fat“ zitierte Studie aus dem Jahr 1991. Darin wählten 89 Prozent von den befragten Menschen, die stark abgenommen hatten, auf die Frage, ob sie lieber wieder dick oder blind wären, die Blindheit.
Dick ist nicht gleich krank
Hagen betont, dass Dicksein nicht gleichzeitig heißen muss, krank zu sein, sondern dass viele andere Faktoren wie mangelnde Bewegung einen häufig unterschätzten Einfluss haben. Hinzu kommt, dass auch unter Ärzten Fat-Shaming weit verbreitet ist – mit teils fatalen Folgen, weil Symptome allein auf das Gewicht zurückgeführt und die wahren Gründe für eine Erkrankung gar nicht erkannt werden.
„Anscheinend ist der Wunsch abzunehmen eher ein Indikator für einen schlechten Gesundheitszustand als ein erhöhter BMI oder wie dick du bist. Außerdem ist erwiesen, dass Scham und Diskriminierung zu denselben Krankheiten führen, die mit hohem Gewicht assoziiert werden“, schreibt Hagen.
Dekonstruktion des Patriarcharts
Hagen sieht sich in der Tradition der „Fat Liberation“-Bewegung, die sich zuerst in den 1960er-Jahren formierte und in der vor allem Frauen gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung kämpften. Den Aktivistinnen war und ist es wichtig, das patriarchalische und kapitalistische System zu dekonstruieren, dass hinter dem Fat Shaming steht.
„Das herrschende Narrativ sagt, Frauen müssen dünn sein, um ernst genommen zu werden“, scheibt Hagen. Und Frauen, die mit sich und ihrem Äußeren nicht zufrieden sind, sind bereit, viel Geld auszugeben, um sich besser zu fühlen. Vielleicht sei der ganze Schönheitswahn auch einfach nur die perfekte Ablenkung, „damit wir zu sehr mit unserem Lippenstift beschäftigt sind, um uns auf Politik, unternehmerische Entscheidungen und Aktivismus einzulassen.“
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Sofie Hagen tut sich daher schwer mit dem heutzutage gerade auch in den sozialen Netzwerken so weit verbreiteten Begriff der Body Positivity. Dabei gehe es vor allem darum, Frauen zu zeigen, die etwas kräftiger sind als das durchschnittliche Model, mehr aber auch nicht: „Du darfst zwar ein bisschen dicker als Größe 40 sein, aber lieber mit Sanduhrfigur. Speck ist ok, so lange er an den richtigen Stellen ist und nicht zu viel.“ Solche Kampagnen seien dann vor allem dazu da, der werbenden Firma ein diverses Image zu verpassen. Wirklich dicke Menschen seien aber weiterhin unsichtbar.
So ist Sofie Hagens sehr unterhaltsam geschriebenes Buch viel mehr als nur eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie unsere Gesellschaft mit Dicksein umgeht. Es ist ein sehr politisches Buch, das aufzeigt, wie tief die Wurzeln des Dickenhasses reichen. „Du musst nicht dünn sein, um glücklich zu sein“ ist Sofie Hagens einfache Botschaft. Und so kämpft sie für mehr Akzeptanz, Selbstvertrauen – und gegen Dehnungsstreifen-Scham.