AboAbonnieren

„Harry Potter“ in HamburgWas uns das Stück über J.K. Rowlings Streit mit ihren Fans erzählt

Lesezeit 4 Minuten
Scorpius Malfoy strömt im Stück „Harry Potter und das verwunschene Kind“ Dampf aus den Ohren, rechts von ihm reagiert sein bester Freund Albus Potter.

Szene aus „Harry Potter und das verwunschene Kind“

Am Hamburger Mehr! Theater am Großmarkt feierte die Neufassung von „Harry Potter und das verwunschene Kind“ Premiere. Kann man das Stück trotz J.K. Rowlings fragwürdiger Ansichten besuchen?

Wir sitzen in einem kleinen Restaurant zwischen Elbbrücken und Hamburger Hauptbahnhof. Neben uns eine Mutter mit ihrem Sohn. Er dürfte um die 18 sein. Sie bestellen einen Kaffee, eine Cola, zahlen gleich und sind wieder fort. Dabei bleiben gut zwei Stunden Zeit bis zur Premiere der neuen, auf dreieinhalb Stunden komprimierten Version von „Harry Potter und das verwunschene Kind“ in der zum Theater umgebauten Großmarkthalle.

Tritt man aus der Parkplatzöde in deren liebevoll gestaltete Foyers, fühlt man sich ein wenig wie ein Zauberschüler in spe, der zum ersten Mal durch die Winkelgasse geführt wird. Und da steht auch wieder das Paar vom Nebentisch. Die Mutter begutachtet ihren erwachsenen Sohn. Der trägt jetzt einen Zaubermantel, wie die Schüler von Hogwarts. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

Ist es ja auch. In seiner Welt hat es Harry Potter immer gegeben. Bestimmt hat ihm seine Mutter die Bände vorgelesen, so wie ich das mit meinen Kindern getan habe. Millennials und Generation Z verbindet J.K. Rowlings Zauberwelt – ihre Geschichten, Rituale und ethische Grundsätze. Sie sind alle die verwunschenen Kinder der britischen Autorin. „Harry Potter“ hat ihnen die Welt erklärt, Orientierung geboten.

In jeder Szene von „Harry Potter und das verwunschene Kind“ wird gezaubert

Fliegende Besen, verwandelte Gestalten, grünes Feuer, das aus Zauberstäben sprüht, das alles kann man am Hamburger Großmarkt bestaunen. Kaum eine Szene vergeht ohne magische Illusion. Das könnte ermüden. Stattdessen verdichteten die Effekte das Stück zum prachtvollen Mysterienspiel.

Man schaut Wunder als Zeichen einer höheren Ordnung. Die in den vergangenen Jahren allerdings gehörig ins Wanken geraten ist: Die Glaubensgemeinschaft rebelliert gegen ihren Schöpfer, das gehört zur Religion dazu. Seit sich J.K. Rowling im Dezember 2019 in einem Tweet solidarisch mit einer Frau erklärte, die nach abfälligen Bemerkungen über trans Frauen ihren Job verloren hatte, hat sich ein tiefer Riss zwischen Autorin und Lesenden aufgetan. Eine trans Frau sei keine echte Frau, hatte Rowling geschrieben, es sei unmöglich, sein Geschlecht zu wechseln.

Was fatal an die Aussage der Anhänger des Potter-Antagonisten Lord Voldemort erinnert, nach der Muggelstämmige – Hexen und Zauberer, deren Eltern keine magischen Fähigkeiten besitzen – niemals echte Zauberer sein können. Das Werk versteht also mehr von Bigotterie als dessen Autorin.

J.K. Rowling hat sich in der Transgender-Thematik verrannt

Die hat sich seitdem hoffnungslos in die Transgender-Thematik verrannt, mit Tweets und Retweets, Essays und Kommentaren. Rowling verglich Transgender-Sein mit einer Geisteskrankheit. In Schottland eröffnete sie Ende 2022 ein Krisenzentrum für Opfer sexueller Übergriffe – allerdings nur für solche, denen von Geburt an das weibliche Geschlecht zugeordnet worden war. Diesen Riss wird man nicht mehr kitten können.

Im Sommer 2022 benannten zwei Quidditch-Ligen ihren von den Potter-Romanen inspirierten Sport in „Quadball“ um, im Bemühen, alle Verbindungen zu Rowling zu kappen. Zwei Jahre zuvor hatten bereits die beiden größten Fan-Domänen jede Erwähnung der Autorin von ihren Seiten verbannt.

Als vor wenigen Tagen das Action-Rollenspiel „Hogwarts Legacy“ veröffentlicht wurde, entbrannte unter Fans ein hitziger Streit darüber, ob man das Spiel in Solidarität mit trans Personen boykottieren sollte. Avalanche Software und Warner Bros. Games verkündeten daraufhin, dass J.K. Rowling nicht an der Entwicklung des Spiels beteiligt gewesen sei – und rückten mit Sirona Ryandie die erste trans Figur der „Wizarding World“ in den Vordergrund. Was von den Kritisierenden wiederum als bloße Marketingmasche abgetan wurde.

„Hogwarts Legacy“ distanziert sich von der Autorin

So leicht lässt sich die Autorin aus „Harry Potter und das verwunschene Kind“ nicht heraus dividieren. Im Mittelpunkt des Stücks steht jedoch ein ebensolcher Generationskonflikt, wie er der Entfremdung zwischen Rowling – wie Alice Schwarzer eine Feministin der Zweiten Welle – und ihren Fans – den geistigen Kindern der Geschlechter-Dekonstrukteurin Judith Butler – zugrunde liegt: Für Albus Potter, Harrys jüngsten Sohn, bedeutet Hogwarts nicht Befreiung, sondern ein Leben im Schatten des Übervaters. Seine Rebellion besteht aus einer homoerotischen Freundschaft zu Scorpius Malfoy, dem Sohn von Harrys Intimfeind Draco, und dem Versuch, die Sünden des Vaters mittels eines Zeitumkehrers ungeschehen zu machen.

Wie sich Albus und Scorpius im Folgenden als Randgestalten durch berühmte Szenen der Romane bewegen, das erinnert an Tom Stoppards Stück „Rosencrantz and Guildenstern Are Dead“, in dem dieser „Hamlet“ aus der verzerrten Perspektive zweier schrulliger Nebenfiguren zeigt und das Shakespeare-Drama so ad absurdum führt.

Nichts anders bei Rowling: Was in der „Harry Potter“-Reihe gerecht und mutig schien, halten die Söhne für unfair und feige. Dass sie damit nicht nur ein furchtbares Chaos anrichten, sondern dem Bösen, das sie bekämpfen wollen, Vorschub leisten, beschreibt ziemlich genau die Ansichten der Autorin in der Transgender-Debatte.

Wenn aber J.K. Rowling ihre eigenen Romane von den Rändern her umtanzen muss, wie Stoppard seinen Shakespeare, zeigt das auch, wie wenig vom Werk noch ihr selbst und zu wie großen Teilen es bereits ihrer Leserschaft gehört: Harry Potter, das kann heute jede und jeder sein, der oder die sich einen Zaubermantel umwirft.