Hassliebe zwischen Günter Grass und Marcel Reich-RanickiPaarlauf der Eitelkeit

Marcel Reich-Ranicki (l.) und Günter Grass auf einer Lesung im Jahr 1985
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Köln – Es ist nicht gerade eine neue Erkenntnis, dass es kaum eine Spezies gibt, deren Protagonisten untereinander so verfeindet sind wie Dichter und ihre Kritiker. „Wenn Literaten Literaten Literaten nennen …“ heißt es drohend bei Kurt Tucholsky. Und dass Thomas Mann und Alfred Kerr in inniger Abneigung miteinander verbunden waren, hatte nicht nur damit zu tun, dass der bedeutendste Kritiker der Weimarer Republik vergeblich ein Auge auf die junge Katia Pringsheim geworfen hatte, die später so genannte „Frau Thomas Mann“.
Ohne Degen und Pistole
In unseren Tagen duelliert man sich zwar auch nicht mehr mit Degen oder Pistole. Aber an Heftigkeit fehlt es nach wie vor nicht. Günter Grass hat seinen Weltruhm durch sein literarisches Werk erlangt. Marcel Reich-Ranicki wurde durch sein kritisches „Sprechamt“ (Heine) populär und mächtig. Seine regelmäßige Präsenz im Fernsehen war auch für das nichtlesende Publikum oft Grund genug, vorübergehend mit dem Zappen zu pausieren. Einer seiner jüngeren Epigonen – der „Spiegel“-Redakteur Volker Weidermann – hat sich jetzt an einer Doppelbiografie der Dioskuren Grass und Reich-Ranicki versucht, in dem Bemühen auffällige Ähnlichkeiten in Charakter, Auftreten und Wirkung zwar nicht zu entdecken, aber notfalls herzustellen.
Das Ergebnis dieses kühnen Vorhabens wird uns schon auf der ersten Seite unter dem Kürzel mitgeteilt: „Der SS-Mann und der Jude“. Beide haben also schlechte Karten: Grass, weil er als 16-, 17-Jähriger für ein paar Monate bei der Waffen-SS war, Reich-Ranicki, der als gebürtiger Pole aus Deutschland ins Warschauer Ghetto deportiert wurde und nur mit sehr viel Glück mit dem Leben davonkam. Beide hatten sich nach dem Krieg kennengelernt, und es hat Jahre gedauert, bis der eine wie der andere die Straße des Ruhmes betreten konnte.
Am Ende die Freundschaft ruiniert
All dies ist bekannt. Der Welterfolg der „Blechtrommel“ ebnete Grass den Weg zum Nobelpreis. Kein Schriftsteller in Deutschland seit Thomas Mann wurde so berühmt wie Grass. Und kein Kritiker wurde nach dem Krieg so mächtig und populär wie Reich-Ranicki. Ob es nun Hassliebe war, die beide füreinander empfanden, oder ob es die Leidenschaft für die Literatur war, die miteinander verband – jedenfalls gibt es wohl nur wenige wie diese Antipoden, die sich so tief in die Gegenwelt der Literatur versenkt hatten, dass sie darüber am Ende ihre Freundschaft ruinierten.
Denn es war eben auch diese Gemeinsamkeit von Ehrgeiz, von unbedingtem Anspruch auf Dominanz. Zwei Platzhirsche, die sich oft einander annähern, bei der nächstschlechten Gelegenheit aber in erbitterten Streit geraten. Reich-Ranickis Urteil ist oft vernichtend und zugespitzt, oft auch ungerecht und anmaßend – häufig aber auch begründet. Und Grass? Sein politisches Engagement steht ihm nicht selten im Weg, besonders früh in den 60er und 70er Jahren – und später nach dem Mauerfall mit seiner Positionierung im Einigungsprozess. Dabei handelt er sich viel Kritik, auch Hass ein.
Späte Bekenntnis zur SS-Mitgliedschaft
Sein spätes Bekenntnis zur Mitgliedschaft in der Waffen-SS lässt vorübergehend den Künstler, Dichter und Zeitgenossen undeutlich werden – und macht ihn zugleich doch kenntlich als Repräsentant seiner Generation. Und Reich-Ranicki? Manche haben ihm vorgeworfen, er habe nach 1945 als Agent des polnischen Geheimdienstes Menschen denunziert oder sonst wie ans Messer geliefert. Er wiederum hat ausführlich dargelegt, welche Arbeiten er in London und in Berlin für den Geheimdienst erledigen musste. Wenn das alles stimmt, dann hatte er sich nichts vorzuwerfen.
Vorzuwerfen war ihm allerdings, wie er sich 1995 über Grass’ Roman „Ein weites Feld“ hergemacht hat, auf dem Cover des „Spiegel“ das Buch in einer Fotomontage zerreißt und im Text den Verriss auch verbal bekräftigt. Und das begleitend in der Form eines offenen Briefes an den Autor – „grüßend in alter Herzlichkeit …“
Sind sich beide trotz alledem doch noch einmal näher gekommen? „Noch haben wir Zeit für weitere Missverständnisse und Liebesbeteuerungen.“ So zitiert Weidermann aus einem Brief des 85-jährigen Kritikers, in dem er auch den völlig enthemmten Verriss und die Fotomontage bedauert. Zehn Jahre sind darüber ins Land gegangen. Inzwischen hat man sich noch einmal wiedergesehen, bei einem Treffen in Lübeck. „Der SS-Mann und der Jude“: Volker Weidermann hätte besser auf diese doppelte Stigmatisierung verzichtet – und sich an Theo Wuttke alias Fonty aus „Ein weites Feld“ orientiert: „Was wirklich ist, klebt nicht an der Oberfläche.“
Das Buch
Volker Weidermann: „Das Duell. Die Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki“, Kiepenheuer & Witsch, 256 S., 22 Euro.