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Hatsune MikuErster virtueller Popstar der Welt in der Lanxess-Arena

Lesezeit 5 Minuten
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Hatsune Miku erscheint als Hologramm auf der Leinwand.

Köln – Der Transit ist heikel. „Was ist das?“, belfert der Wächter der Arena. „Ein Buch“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Was wollen sie damit?“ „Lesen.“ Der Security-Mann stutzt. So was hätte er nun wirklich noch nie gehört. „Für die Heimfahrt“, versuche ich zu helfen. Dann muss ich den verdächtigen Gegenstand öffnen, man könnte ja, erklärt sich nun seinerseits der Wächter, die Seiten ausschneiden und eine Waffe zwischen den Buchdeckeln verbergen. Ich nicke. Besser, jetzt ernst zu bleiben.

Ein Star ohne Geschichte

Dann endlich darf ich sie passieren, die Grenze zwischen der analogen Außen- und der digitalen Innenwelt. Draußen ist das 2000 Jahre alte Köln, schmuddelig aber greifbar, wie eh und je. Drinnen, in der Lanxess-Arena, aber kündet eine Stimme von der Zukunft. Sie gehört Hatsune Miku, einer 16-jährigen japanischen Sängerin mit fußknöchellangen, türkisen Zöpfen. Es ist ihre erste Europatournee, in der Heimat gibt sie bereits seit 2009 Stadionkonzerte, vor Zehntausenden von Fans.

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Hatsune Miku ist 16 Jahre alt – so alt war sie auch 2009 schon.

Was nicht bedeutet, dass sie bereits mit sieben Jahren auf der Bühne stand. Nein, dieses Mädchen war auch 2009 schon 16 Jahre alt und sie wird es auch 2029 noch sein, denn Hatsune Miku ist der erste rein virtuelle Popstar der Welt. Ein Mädchen ohne Geschichte, eine Projektionsfläche für alle. Eine technisch virtuose, fünfköpfige Band alten (will sagen: fleischbasierten) Models begleitet die Sängerin bei ihren Auftritten.

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Sie selbst erscheint als Hologramm auf einer transparenten Leinwand in der Mitte der Bühne. Ihr Name setzt sich aus den japanischen Wörtern für „erster“ (hatsu), „Klang“ (ne) und Zukunft (miku) zusammen.

Im Rundgang der Arena haben sich lange Schlangen gebildet. Viele der geduldig wartenden Fans sind Cosplayer, haben sich, Jungs wie Mädchen, so exakt wie möglich ihrem gepixelten Idol oder deren ebenfalls singenden Freunden angeglichen. Wofür sie hier stundenlang anstehen? Um Fanartikel zu erwerben. Doch die T-Shirts, Kimonos und weißen Vinyl-Figuren zum Selbstbemalen sind ausverkauft, die haben sich Fans mit VIP-Ticket gesichert, die bereits um 17 Uhr zum Shoppen vorgelassen wurden.

Avatare ohne Eigenschaften

Am Merch-Stand sehen sich die Zuspätgekommenen den unverhüllten, kopflosen Torsi von Schaufensterpuppen gegenüber, Avatare ohne Eigenschaften. Immerhin Glowsticks können sie noch erwerben, zu 35 Euro das Stück. Und die sind hier essenziell, fast jeder der rund 5000 Otakus – so nennt man besonders hingebungsvolle Fans im Japanischen – schwenkt während des Konzerts einen solchen mal grün, mal gelb, mal zartrosa leuchtenden Stab, und zwar fortwährend, in einer Massenchoreographie, wie man sie sonst nur bei nordkoranischen Sportveranstaltungen sieht. Ich jedenfalls komme mir leuchtstablos etwas nackt vor.

Hologramm auf Tour

Pepper’s ghost nennt man einen von John Henry Pepper Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten Spiegeltrick. Der englische Chemiker ließ mit Hilfe einer von vorne und hinten speziell beleuchteten Glasscheibe Objekte erscheinen und verschwinden. Auf ähnliche Weise werden mit Beamern holographische Bilder so auf eine Scheibe projiziert, dass der Zuschauer glaubt, eine plastische Figur zu sehen.

Ein Hologramm des 1996 erschossenen Rappers Tupac Shakur überraschte 2012 die Besucher des Coachella Festivals, inzwischen touren etliche tote (oder unwillige) Stars als Hologramm: Auf Elvis und Roy Orbison sollen 2019 Abba und Amy Winehouse folgen.

Vor kurzem hat ein 35-jähriger Japaner vor 40 geladenen Gästen Hatsune Miku geheiratet, in Form einer Stoffpuppe und eines Glaskapsel-Hologramms der Sängerin. (cbo)

Zurecht. Denn der flüchtige Eindruck, dass hier eine Menge doch sehr leicht beeindruckbarer Menschen um Geld und Verstand gebracht wird, täuscht. Hatsune Miku ist das Produkt ihrer Fans. Am Anfang existierte sie nur als Stimme, beziehungsweise als zweite Version der Stimmsynthesizer-Software „Vocaloid“, erschaffen vom in Sapporo ansässigen Medienunternehmen Crypton Future Media. Ihr Äußeres war ein Nachgedanke, ein Manga-Maskottchen, dass dem Sprachsynthese-Programm ein Werbegesicht verleihen sollte.

Ihr Erfolg überraschte auch Crypton, eigentlich hatte man sich vor allem an Profimusiker wenden wollen. Stattdessen nutzen alle möglichen Enthusiasten die Software, bei der man nur die Noten der Melodie und den Text eingeben musste, um sich seinen eigenen Song von Hatsune Miku vorsingen zu lassen, inzwischen soll ihr Repertoire mehr als eine halbe Million umfassen. Hatsunes Setlist stellt aus diesem Riesenfundus die Greatest Hits zusammen: Niedlichkeits-Prog-Rock, auf 45 Umdrehungen in der Minute abgespielte Musicalnummern, Cyberpunk-Jazz. Findige Programmierer unter den Fans brachten dem Avatar das Tanzen bei, und bald konnte jeder sein eigenes Hatsune-Miku-Video ins Netz hochladen: Ein Star war geboren, der erste seiner Art. Auf Hatsunes Oberarm ist in roter Farbe die Nummer 01 eintätowiert.

Mit dabei: Kaito, Luka Megurine, Rin und Len

In der Arena wird sie von anderen Vocaloids höherer Seriennummer begleitet, vom singenden Märchenprinz Kaito, von der sanften Luka Megurine mit ihrer wallenden Mähne in Zuckerwattenrosa, und vom knallblonden Zwillingspaar Rin und Len Kagamine, das offensichtlich besonders hoch in der Gunst der Otakus steht, und die eigentlich gar kein Geschwister, sondern ihre jeweiligen Doppelgänger sind, „rin“ und „len“ bedeutet Links und Rechts, „kagami“ ist der Spiegel.

Ein reizvolles Konzept, schließlich treten alle diese Figuren in einer Art Wunderspiegel auf, und lösen sich jeweils nach dem letzten Ton in Pixeldampf auf. Und auch die Frage, ob nun das Publikum Cosplay betreibt, oder nicht vielmehr die Sängerin die Wünsche und Sehnsüchte ihrer Fans spiegelt, ist so unentscheidbar, wie die nach der kausalen Reihenfolge von Huhn und Ei.

Als Hatsune Miku eine Ballade mit Autotune-Effekt singt, wird es besonders kompliziert: Da bedient sich eine künstlich generierte Stimme einer Stimmverfremdungssoftware, um letztlich umso menschlicher zu klingen.