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Heinrich-Böll-PreisWarum die Autorin Juli Zeh die Kölner Auszeichnung erhält

Lesezeit 3 Minuten

Die Schriftstellerin Juli Zeh wurde in Bonn geboren.

Köln – Dass sich im Œuvre einer Schriftstellerin auch rechtswissenschaftliche Monografien finden, ist durchaus ungewöhnlich, bei einer so vielfältig talentierten Autorin wie Juli Zeh allerdings fast erwartbar. „Das Übergangsrecht“, so heißt beispielsweise ihre Studie, mit der sie im Jahr 2010 an der Universität Saarbrücken promovierte. Sie errang mit dieser Untersuchung von Übergangsverwaltungen am Beispiel von Kosovo und Bosnien-Herzegowina den Studienpreis der Hamburger Körber-Stiftung.

Eine gründlich anders gelagerte Würdigung wird ihr nun zuteil, und diese betrifft sozusagen das andere Leben der Juli Zeh. Die Stadt Köln ehrt sie für ihr literarisches Werk mit dem Heinrich-Böll-Preis, jener alle zwei Jahre verliehenen Auszeichnung, die zuletzt an Ilija Trojanow ging. Prämiert wird damit eine Schriftstellerin, „die einen der ersten Plätze in der deutschen Gegenwartsliteratur für sich in Anspruch nehmen“ dürfe, wie es in der Begründung der Jury heißt. Das gilt nicht allein für das Werk von Juli Zeh, sondern zweifellos auch für ihre öffentliche Wirkung: Kaum eine Autorin ist so umtriebig in verschiedenen Medien präsent wie die im Jahre 1974 geborene Bonnerin.

Regelmäßige Fernsehauftritte

Juli Zeh schreibt Essays für „Die Zeit“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Im „Spiegel“ verfasste sie im Wechsel mit Jakob Augstein und Jan Fleischhauer die Kolumne „Die Klassensprecherin“, regelmäßige Fernsehauftritte komplettieren ihr Bild einer Frau, die sich einmischt, auch politisch: Als Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten nominiert wurde, trat sie in die SPD ein, im Bundestagswahlkampf 2005 unterschrieb sie den Aufruf von Günter Grass zur Unterstützung der rot-grünen Koalition.

Auch ihre Bücher sind Gesellschaftsromane, die politische Fragen aufwerfen und die juristische Vergangenheit der Autorin als Fundus nutzen: Schon das in 35 Sprachen übersetzte Debüt „Adler und Engel“ spielt in der Szene international vernetzter Kanzleien, die sie im Stil eines Polit-Thrillers mit organisiertem Verbrechen, mit den Auswüchsen des Kapitalismus und allerhand Intrigen konfrontiert. „Ich verstehe mich als Unterhaltungsschriftstellerin, das wollte ich schon immer sein“, sagte sie später im Interview zu ihrem Roman „Unterleuten“. Es galt auch schon für ihr erstes Buch und ist dennoch Understatement.

Eines ihrer bemerkenswertesten Bücher, „Die Stille ist ein Geräusch“, zeigt nämlich noch eine andere Seite dieser Autorin, die einer genauen Beobachterin, die sich in der Manier einer Reisereporterin auf den Weg durch das ehemalige Jugoslawien macht und auch sprachlich überaus prägnant die Wunden des vergangenen Krieges beschreibt. Hier, jenseits der Fiktion, kommt ihr Sinn für gesellschaftliche Verwerfungen vielleicht am konzentriertesten zum Vorschein.

Seit Dezember 2018 amtiert Juli Zeh auf Vorschlag der SPD-Fraktion im Potsdamer Landtag als ehrenamtliche Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Sie könnte glatt selbst eine Figur aus einem ihrer Bücher sein – immer unterwegs zwischen Literatur und Wirklichkeit, und immer neugierig darauf, wie beide einander befruchten können.

Aus der Begründung der Jury

„Wohl keine deutschsprachige Autorin hat in der vergangenen Zeit so viel von sich reden gemacht wie Juli Zeh. Sie bewegt sich in ihren Schriften im Grenzbereich von Literatur und Politik, im Grenzbereich von Dichtung und Wahrheit, Dichtung und Realität. Die nie dominierende Politik durchdringt die Prosa selbst dort, wo kein politisches Wort fällt. Keines ihrer Bücher kennt den pädagogisierenden Zeigefinger. Ihre Veröffentlichungen sind voller Botschaften wie dem Antagonismus von Chaos und Ordnung, der Frage nach einer neuen Moral angesichts bedeutungslos gewordener Werte und einer starken Tendenz einer überzogenen Individualisierung in der säkularisierten Gesellschaft – zulasten des Gemeinwohls.“ Die Jury des Heinrich-Böll-Preises tagte unter dem Vorsitz von Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Ihr gehörten Vertreter aus Rat und Verwaltung an und als Fachjuroren Christof Hamann, Guy Helminger, Eva Menasse, Andreas Platthaus und Ilija Trojanow.