„House of Gucci“So gut spielt Lady Gaga als Patrizia Reggiani
Los Angeles – Dies sei einer der größten Momente ihres Lebens, haucht eine sichtlich bewegte Lady Gaga. Soeben hat sie ihren ersten Schauspiel-Preis gewonnen, einen Golden Globe für ihre Rolle als unglücklich verliebte Vampirin in der TV-Serie „American Horror Story“. Sie trägt ihr Haar Marilyn-Blond. „Ich wollte Schauspielerin werden, bevor ich Sängerin werden wollte“, bekennt Gaga. Nun fühle sie sich wie Cher im Film „Mondsüchtig“. Ihre Rolle als attraktive italienische Witwe hatte Cher 1988 den Oscar als „Beste Hauptdarstellerin“ eingebracht.
Als Lady Gaga 2008 ihren Durchbruch erlebte, hagelte es Madonna-Vergleiche. Nicht zu Unrecht: Die Kostüme, die Provokationen, die musikalischen Anleihen in der Subkultur der Schwulenclubs und der unbedingte Wille, der größte Popstar ihrer Zeit zu werden. Es gab jede Menge Gemeinsamkeiten. Auch Madonnas Ehrgeiz hatte sich, nachdem sie weltweit die Hitparaden erobert hatte, schnell auf die Filmbranche gerichtet. Mit den bekannt desaströsen Ergebnissen.
Die erste Oscar-Nominierung
Also doch lieber Cher. Die war vor ihrem Oscar-Gewinn schon einmal für einen Academy Award nominiert worden (für das Anti-Atomkraft-Drama „Silkwood“), als noch kaum jemand, außer ihrem Förderer Robert Altman, daran glaubte, dass dem glamourösen Showgirl der Wechsel ins Charakterfach gelingen könnte. Ein Kunststück, das Lady Gaga bereits mit ihrer ersten Kinorolle in Bradley Coopers „A Star Is Born“ gelungen ist. Allerdings musste sie da auch nur eine dramatisierte Version ihrer eigenen Karriere spielen: Von der einzigen Frau auf der Bühne einer kleinen Drag-Queen-Bar zum globalen Popstar. Die goldene Statuette bekam sie dann stattdessen für „Shallow“ als „Best Original Song“.
Was uns endlich zu „House of Gucci“ bringt, Lady Gagas zweiter großen Hollywood-Hauptrolle. In dem Drama nach einer wahren Geschichte spielt sie Patrizia Reggiani, Ehefrau des Modeimperiums-Erben Maurizio Gucci, die ihren Mann, nachdem sich dieser von ihr getrennt hat, durch Auftragskiller töten lässt. Eine Rolle, für die unter anderem Angelina Jolie, Penélope Cruz und Margot Robbie im Gespräch waren.
Regie geführt hat der 83-jährige Ridley Scott, einer der letzten Altmeister, der noch in schöner Regelmäßigkeit aufwändige Erwachsenenfilme ins Kino bringt, in denen niemand fliegen oder Strahlen aus seinen Fingern schießen lassen kann. In einem Ensemble aus gleichermaßen illustren und verlässlichen Stars wie Al Pacino, Adam Driver, Jared Leto und Jeremy Irons bildet Gaga definitiv den unbekannten Faktor.
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Das hätte schief gehen können. Ist es gewissermaßen auch, nur anders als befürchtet. „House of Gucci“ will drei, oder vier Filme auf einmal sein. Die Drehbuchautoren Becky Johnston und Roberto Bentivegna haben sich offensichtlich „Der Pate“ zum Vorbild genommen, Ridley Scott dagegen eher einen kühlen Wirtschaftskrimi à la Aaron Sorkins „The Social Network“ verfilmt. Die Darsteller wiederum – mit Ausnahme des zurückhaltenden Adam Driver – wähnen sich in einer plüschigen Operette und lassen dementsprechend die Zügel schießen.
Wobei jeder kopflos in eine andere Richtung trabt, so wie hier auch jeder seine ganz eigene Vorstellung eines italienischen Akzents verwirklicht. Jared Leto etwa, kaum zu erkennen unter etlichen Latex-Schichten, scheint sich als modisch und wirtschaftlich inkompetenter Gucci-Sprössling Paolo hauptsächlich an Chico Marx‘ Tirolerhut tragender Italo-Stereotype aus den Marx-Brothers-Filmen zu orientieren. Die Karikatur ist so grobschlächtig, dass sie jede Szene, in der Paolo im zu eng geschnittenen rosa Cord-Anzug auftaucht, ins bestenfalls Volkstheaterhafte stürzt.
Ein geiler Schlamassel
Wunderbarerweise unterhält „House of Gucci“ über seine gesamte Länge von immerhin 157 Minuten jedoch ganz vorzüglich. In den USA nennt man so etwas einen „hot mess“, einen geilen Schlamassel. Und dass das so ist, liegt wiederum allein an Lady Gaga. Nicht, dass ihr Akzent in irgendeiner Weise plausibler wäre. Aber sie ist die Einzige, der es gelingt, in ihrer Rolle all die miteinander inkompatiblen Ziele des Filmes zu vereinen. Gagas Patrizia Reggiani vereint Lady Macbeth, Carmen und Nomi Malone (aus Paul Verhoevens Schlock-Klassiker „Showgirls“) in einer überlebensgroßen Person, sie ist die Disco-Version von Anna Magnani und Silvana Mangano, der großen Kämpferinnen des italienischen Neorealismus.
Man sieht ihr zu, wie sie den etwas lebensuntüchtigen Maurizio zuerst in eine Beziehung und dann an die Spitze des Modehauses presst, wie sie manipuliert, umgarnt und bloßstellt, und kann dieser kleinen Goldgräberin doch in keinem Moment böse sein: Sie nimmt das Heilsversprechen des Kapitalismus eben in die eigene Hand, ohne jeden Zynismus. Sie glaubt, als einzige innerhalb der Mailänder Familie, an den Nimbus des Hauses Gucci.
Streitereien um die Thronfolge
„Camp“, schreibt Susan Sontag, „ist die Psychopathologie des Überflusses.“ Der Satz lässt sich leicht bewahrheiten, man verfolge nur die Thronfolgestreitigkeiten unter superreichen Dynastien wie den Windsors, den Murdochs oder den Trumps. Da sieht man nicht King Lear, sondern grelle Schmierenkomödien, voller Affektiertheiten und Theater-Klischees. Eine Fernsehserie wie „Succession“ hat das verstanden. Lady Gaga setzt es in völliger Hingabe und maßloser Überspitzung um, jede zweite ihrer Szenen taugt zum Internet-Meme. Ihre „Father, Son and House of Gucci“-Bekreuzigungsformel ist gleich nach dem ersten Trailer zum Film viral gegangen. Sie hat es, konnte man nun erfahren, am Set improvisiert. Was nur beweist, dass sie den Stoff besser verstanden hat als das Drehbuch.
Der „Vogue“ hat Lady Gaga erzählt, dass sie 18 Monate lang in der Rolle der Patrizia Reggiani geblieben ist. Wenn das Method Acting ist, dann mit einem gehörigen Schuss Wahnsinn. Denn sie verschwindet ja weniger hinter der Rolle, wie das zum Beispiel Daniel Day-Lewis macht, sie gagafiziert sie.
Hat Lady Gaga also einen Academy Award für ihre Leistung verdient? Es ist ja nicht wenig, mit einer Darstellung einen ganzen Film nicht nur zu retten, sondern ihm noch dazu Kultstatus über Jahre hinweg (wollen wir wetten?) zu verleihen. Ja, sicher. Her mit dem Oscar. Allerdings müsste man für sie eine ganz neue Kategorie erfinden.