AboAbonnieren

Interview mit Claudia Michelsen„Da hinkt Deutschland hinterher“

Lesezeit 5 Minuten
73541-0-11

Caterina Schöllack (Claudia Michelsen) mit ihren Töchtern Helga (Maria Ehrich, v.l.), Monika (Sonja Gerhardt) und Eva (Emilia Schüle)

  1. Die erfolgreiche Schauspielerin Claudia Michelsen spielt eine der Hauptrollen in der Serie "Ku'damm 63", die ab Sonntag im ZDF zu sehen ist.

Frau Michelsen, Caterina Schöllack, die Sie in der „Ku’damm“-Reihe spielen, ist oft hart und unzugänglich. Sie macht es dem Publikum nicht leicht, sie zu mögen. Ist sie eine typische Frau der Nachkriegszeit?Claudia Michelsen: Es gab bei den ersten Staffeln sehr viele Reaktionen von Zuschauern, die genau diese Art der Großmutter oder Tante hatten. Alle kannten diese Caterinas. Viele Frauen waren während des Krieges alleinerziehend und mussten Mutter, Vater, und alles in einem sein. Das ging oft nur mit einer unglaublichen, fast preußischen Disziplin und Strenge, einfach um zu überleben. Eine Frau, die allein drei Kinder großzieht, hat es heute noch schwer, aber wie schwer war das dann erst in der Nachkriegszeit? Es ist doch spannender, diese Figur komplexer zu sehen, anstatt einfach nur in Gut und Böse aufzuteilen. Schwarz-weiß zu erzählen hätte mich auch nicht so gereizt.

Sie hat auch etwas sehr Tragisches, weil sie sich nicht erlaubt, ihre eigenen Wünsche und Sehnsüchte ernst zu nehmen.

Es ging tagtäglich um die Versorgung der Töchter, später dann darum, sie unter die Haube zu kriegen, und parallel darum, die Tanzschule am Laufen zu halten. Dieser alltägliche, jahrelange Existenzkampf hat sie auch zu dem gemacht, was sie ist. Jetzt sind die Töchter aus dem Haus, und die Dinge des Lebens ändern sich.

Das könnte Sie auch interessieren:

Es hat sich viel getan seit jener Zeit, wenn es um die Rolle der Frau geht. Aber sind wir schon weit genug?

Wir sind sehr viel weiter als damals. Ich bin froh, dass ich heute lebe und nicht in dieser Zeit. Im Vergleich zu den 50ern und 60ern ist es enorm, wie viel erreicht wurde. Und trotzdem ist immer noch Luft nach oben, wie wir wissen. Frauen und Männer hängen in Rollenbildern fest, die wir erfüllen oder die wir glauben, erfüllen zu müssen. Es ist ein Weg, emanzipiert und glücklich zu sein. Gleichberechtigung auf allen Ebenen ist leider immer noch ein großes Thema. Wahre Equality ist noch nicht erreicht, das wissen wir.

Ist es für Sie wichtig, dass eine Reihe, in der die Frauen im Mittelpunkt stehen, auch hinter der Kamera hauptsächlich von Frauen gemacht wird?

Für mich ist das nicht wichtig. Das ist keine Grundbedingung. Ich würde nie sagen, Frauen sehen Frauen anders. Es gibt Männer, die sehen Frauen genauer und umgekehrt das Gleiche. Das hängt ja auch immer mit den eigenen Geschichten zusammen. Frauen erzählen nicht per se Frauen besser. Und trotzdem freue mich über jede Frau, mit der ich arbeiten darf, da wir leider dieses Ungleichgewicht immer noch haben. Aber viel mehr noch freue ich mich auf die Zeit, in der wir das nicht mehr thematisieren müssen.

Die MeToo-Debatte hat die Schauspielerei in den vergangenen Jahren sehr beschäftigt. Hat sie auch nachhaltig etwas verändert?

Ja, ich finde schon, es ist ein Weg, und es geht nicht von heute auf morgen. Diese Form von Eskalation war überfällig. Vielen war das ja gar nicht klar, weil man so daran gewöhnt war, auch ich. Frauen lernen nun zu sagen: Das geht so nicht, das ist eine Grenzüberschreitung; und nicht nur Frauen. Und das passiert mehr und mehr, was großartig ist.

Lange Zeit hieß es, für Frauen werden ab einem bestimmten Alter die guten Rollenangebote seltener. Ist das noch so?

Ja, das ist leider immer noch so, obwohl sich schon vieles verbessert hat. Die große Gerechtigkeit ist doch aber, dass alle älter werden. Jeder kommt, wenn er Glück hat und gesund bleibt, dahin. Und Leute, die das Altern in der öffentlichen Wahrnehmung abschaffen wollen, schaffen sich doch zu allererst einmal selbst ab. Es gibt Chefredakteurinnen großer Frauenzeitschriften, die um die 50 sind und lieber ausschließlich junge Mädchen auf dem Cover haben möchten. Auch das wäre Diversity im besten Sinne, hier den Horizont aufzumachen. Da hinkt Deutschland hinterher. England ist weiter, Amerika auch und Frankreich.

Wie äußert sich das?

Da finden Frauen jeden Alters statt, da gibt es eine andere Art der Wertschätzung: Judy Dench auf der „Vogue“. Es heißt ja dadurch auch, wir blenden ganze Generationen aus, deren Biografien nicht mehr erzählt werden. Menschen die sich in den Geschichten, die erzählt werden, nicht wiederfinden dürfen, die einfach nicht mehr stattfinden.

Sie haben die neue Staffel unter Corona-Bedingungen gedreht. Wie sehr hat das Ihre Arbeit beeinflusst?

Es hat uns alle natürlich sehr beeinflusst, im Februar anzufangen und im März zu unterbrechen, um dann im August weiterzumachen. Eine Zwangspause in einem kreativen Prozess, ich denke das macht auf jeden Fall etwas mit der einen oder anderen Figur, mit dem Momentum. Aber wie auch immer, wir waren froh, dass wir unter strengsten Hygienemaßnahmen „Ku’damm 63“ zu Ende drehen durften. Aber an die Abstandsregeln werde ich mich wohl nie gewöhnen. Das fällt mir sehr schwer, weil der tägliche Kontakt zu allen für mich essenziell ist.

Zur Person

Claudia Michelsen (52) wurde in Dresden geboren. Sie studierte an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin. Seit mehr als 30 Jahren ist sie im Kino und Fernsehen zu sehen. 2008 spielte sie die Stasi-Gefangene Bettina in dem Drama „12 heißt: Ich liebe Dich“ . Für ihre Darstellung in der Tellkamp-Verfilmung „Der Turm“ (2012) gewann sie einen Grimme-Preis.

Seit 2013 ermittelt Michelsen als Kriminalhauptkommissarin Doreen Brasch in der ARD-Krimireihe „Polizeiruf 110“ in Magdeburg. Sie hat zwei Töchter und lebt in Berlin.

Das ZDF zeigt die drei Filme von „Ku’damm 63“ am 21., 22. und 24. jeweils um 20.15 Uhr und im Anschluss an den ersten Teil um 21.45 Uhr„Ku’damm 59 – Die Dokumentation“. Ab Samstag, 20. März , 10 Uhr, sind die neuen Folgen von „Ku’damm 63“ in der ZDF-Mediathek zu sehen.