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Interview

Jan Josef Liefers
Sind Sie ein alter weißer Mann?

Lesezeit 10 Minuten
Jan Josef Liefers hält nicht viel von Cancel Culture. (Bild: 2024 Getty Images/Joshua Sammer)

Jan Josef Liefers

Jan Josef Liefers hat viel zu erzählen über fiese Algorithmen, seinen 60. Geburtstag und über Thomas Gottschalk.

Viele kennen Jan Josef Liefers aus dem Münster-„Tatort“ als schnöseligen Rechtsmediziner Professor Karl-Friedrich Boerne. Liefers, 1964 in Dresden geboren, verweigerte den Kriegsdienst in der Nationalen Volksarmee und studierte an der Ernst-Busch-Schauspielschule. Einen besonderen Auftritt hatte er am 4. November 1989: Auf dem Alexanderplatz gehörte er zu den Rednern, die sich Gedanken über die Zukunft der untergehenden DDR machten. Mit anderen Schauspielerinnen und Schauspielern kritisierte er 2021 mit satirischen Mitteln die Corona-Politik. Nun personifiziert er gewissermaßen einen gesellschaftlichen Kampfbegriff: Im Kinofilm „Alter weißer Mann“ spielt er die Titelfigur.

Herr Liefers, wie lange haben Sie überlegt, bevor Sie bei einem Film mit dem Titel „Alter weißer Mann“ für ebenjene Titelrolle zugesagt haben?

Jan Josef Liefers: Erst habe ich das Drehbuch gelesen. Das hilft schon mal ungemein bei einer Entscheidung für oder gegen einen Film. Dazu kam, dass ich den Autor und Regisseur Simon Verhoeven kannte und es deshalb für unwahrscheinlich hielt, dass da etwas Geistloses drinsteht. Es stellte sich bald heraus, dass dieser Heinz Hellmich – meine Filmfigur – eine großartige Rolle ist. Heinz, tapferer Vertriebler in einer mittelgroßen Telekommunikationsfirma, will auf keinen Fall ein alter weißer Mann sein.

Was tut Ihr Heinz dagegen?

Heinz will sich weiterentwickeln. Er will alles richtig machen. Er steht aber auch im Zentrum eines extremen Meinungsgewitters. Seine klimabewegte Tochter sagt: „Die Erde brennt!“ Seinen Sohn hat er an irgendwelche Chatrooms verloren. Seine Frau will sich selbstständig machen. Sein Vater haut alle möglichen Dinge raus, die Heinz in die Bredouille bringen. Er hat Geldsorgen. Er fürchtet sich vor Krankheit. Heinz muss 20 Bälle in der Luft halten. Daran scheitert er – fast!

Wie kommt der arme Kerl da raus?

Heinz stellt fest, dass man sich treu bleiben kann, indem man sich verändert. Er muss sich ja nicht aufgeben. „Ich bin Heinz!“, macht er seinem Chef am Schluss selbstbewusst klar. In den Figuren unseres Films und dieser ganzen humorvoll erzählten Geschichte spiegelt sich schon ganz gut ein Teil unseres gegenwärtigen Deutschlands.

Haben Sie nach der so sehr missverstandenen ironischen Corona-Aktion #allesdichtmachen vor drei Jahren immer noch nicht genug von Gesellschaftssatire?

Meinen Sie im Sinn von: Hält der Liefers endlich mal die Klappe?

Genau.

Ach, wissen Sie, es gibt da ein tolles Lied von Wolf Biermann, in dem heißt es: „Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt darin um.“ Das hat mich seinerzeit beeindruckt. Öffentliche Einschüchterungsversuche waren ja in der DDR schon der Standard, vielleicht bin ich von daher etwas abgehärteter. Ansonsten bin ich ein Mensch wie alle und mache hier und da Fehler, und davor habe ich keine Angst. Auch für mich, die Privatperson Jan Josef, würde ich in Anspruch nehmen, dass ich viel zu gerne dazulerne, als dass mich ein Shitstorm davon abhalten könnte.

Sie sind dieses Jahr 60 geworden: Was steht auf Ihrer Lernliste?

Ich möchte schon noch ein paar Filme drehen, vor oder hinter der Kamera. Aber vor allem möchte ich mich als Mensch noch mal eine Runde weiterentwickeln. Ich bin Opa geworden, auch das will gelernt sein. Bald sind unsere Mädels beide aus dem Haus, was machen wir dann, Anna und ich? Das wird spannend und interessiert mich mindestens so viel wie die Arbeit.

Okay, Heinz ist kein alter weißer Mann. Was ist mit Ihrem Rechtsmediziner ­Boerne aus dem „Tatort“?

Wahrscheinlich ist der schon näher an dieser Kategorie. Vor allem aber ist er ein Snob, wie es ihn kaum noch im deutschen Fernsehen gibt. Den Boerne kann man aus vielen Gründen ablehnen. Er ist – Pardon! – mitunter ein kleines Arschloch. Aber er ist auch brillant. Und rührend. Man kann ihn also genauso gut mögen. Es gibt immer den großzügigen, verzeihenden Blick und den kleinkarierten, übelnehmerischen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir das Verständnis für Ambiguität – so heißt dieses tolle Fremdwort – verloren haben. Wir müssen damit leben, dass Leute sowohl kluge Sachen sagen als auch blöde. Mir scheint, das konnten wir schon mal besser.

Was ist denn nun das Kennzeichen eines alten weißen Mannes?

Die Sophie Passmann weiß das. Ich erinnere mich ungefähr so: Hinter diesem Kampfbegriff verbirgt sich ein Mann, der im Gestern hängen geblieben ist und da auch gar nicht raus möchte. Alles soll bleiben, wie es zu seiner Zeit war. Insofern gibt es auch junge alte weiße Männer. Es gibt sogar unter Frauen alte weiße Männer. Der typische AWM fühlt sich Frauen, Minderheiten und anderen Mitmenschen immer überlegen. Auch das ist nicht nur typisch männlich, vielleicht also ein Konstruktionsfehler des Homo sapiens?

Lässt sich das reparieren?

Ein Teil meiner Lebenserfahrung ist, dass es einen keinen Millimeter weiterbringt zu glauben, man sei besser als andere. Diese Überlegenheitsfiktion hat schon viel Unheil gebracht. Wann ist das eigentlich ein bestimmender Teil unserer Kultur geworden? Wir müssen es irgendwann früher doch besser gewusst haben, sonst hätten wir es doch in der Evolution gar nicht so weit gebracht. Ich blicke hoffnungsvoll auf die jungen Menschen, in unserem Film und auch im wirklichen Leben. Die Welt steht nie still, und unser Nachwuchs kriegt es jetzt richtig mit KI zu tun, dagegen war die Dampfmaschine ein Kinderspielzeug.

Gerade hat Thomas Gottschalk seine Autobiografie vorgestellt: Gehört es zur Grundausstattung eines alten weißen Mannes, sich beleidigt zu fühlen, weil ihm heute gesagt wird, was er früher falsch gemacht hat?

Ich kenne das Buch nicht. Falls Thomas sich wirklich ungerecht behandelt fühlt, dann würde ich vermuten, es sitzt irgendeine Verletzung oder irgendeine Kränkung in ihm, mit der er nicht klarkommt und die er einmal loswerden muss. Man darf auch mal seine Wunden lecken. Er war Jahrzehnte der Liebling der deutschen Fernsehwelt, die Nummer eins, gerade weil er frecher war und unkonventioneller als andere. Man muss schon mitbedenken, wie diese deutsche TV-Vergangenheit aussah. Barbara Schöneberger hat mir eben erst eine Geschichte erzählt, die das aufs Schönste illustriert. Führt aber ein bisschen weg ...

... nein, nein, erzählen Sie!

Barbara ist auf eine alte Fernsehshow gestoßen, in der sich zwei Männer im Anzug wichtig unterhalten. Daneben steht eine Frau im Bikini. Warum sie nichts weiter anhat, ist unklar. Dann sagt einer der Männer so was wie: „Sie haben aber wenig an.“ Und sie sagt: „Ja, deswegen hüpfe ich jetzt lieber in den Pool.“ Das Letzte, was man von ihr sieht, ist der String-Tanga. So etwas wäre Gott sei Dank unvorstellbar heute.

22.10.2024, Bayern, München: Jan Josef Liefers und Nadja Uhl auf dem roten Teppich bei der Weltpremiere des Films ·Alter weißer Mann· Foto: Peter Kneffel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Jan Josef Liefers und Nadja Uhl auf dem roten Teppich bei der Weltpremiere des Films„ Alter weißer Mann“.

Jetzt mal Hand aufs Herz: Können Sie diese ganzen woken Begriffe wie Klassismus, Tokenismus, Ableismus oder Ageismus definieren?

Wow, okay. Nein, nein. Neue Worte … Übrigens habe ich neulich von einem Medizinhistoriker gehört, dass die behandlungspflichtigen Krankheitsbilder sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt haben. Also wer vorher etwas schüchtern war, leidet heute unter Social Anxiety. Wer zappelig ist, weil körperliche Bewegung fehlt, hat ADHS und bekommt Tabletten. Kann ja sein. Aber Moment, sagen Sie die Begriffe noch mal …

Der Begriff Tokenismus wird sogar in Ihrem Film genannt.

Wirklich? Was ist das?

Das bezeichnet einen unehrlichen Versuch, eine gesellschaftlich am Rand stehende Gruppe einzubeziehen. So wie in Ihrem Film die dringend benötigten Menschen mit Migrationshintergrund, die am Abendessen mit dem Chef teilnehmen sollen.

Ah, danke. Ich wusste nicht, dass es bereits ein Wort dafür gibt. Die ganzen „Ismen“ sind auch nie weniger geworden. Mir fallen John Lennon und Yoko Ono mit ihrer Satire gegen Vorurteile ein, die „Bagism“ genannt wurde, auf Deutsch in etwa „Sackismus“. Alle ziehen sich einen Sack über den Kopf und können so nicht mehr nach ihren Äußerlichkeiten beurteilt werden. Bei uns ist dieses vom Chef anberaumte Dinner das Filmzentrum. Der Chef will eine Theatervorstellung in politisch korrektem Benehmen, dann kommt etwas ganz anderes dabei heraus.

Was genau?

Dieses Fake-Dinner – so würde ich es jetzt mal nennen – fliegt ihm um die Ohren. Dafür wird es ein Abend, an dem gewissermaßen ganz Deutschland am Tisch sitzt und miteinander redet. Fast jede gesellschaftlich heiße Kartoffel – Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Hintergrund – wird angefasst und umgedreht, und am Ende sehen wir da Menschen, die sich gegenseitig brauchen. Es ist einfach nicht in ihrem Interesse, sich mit verbalen Keulen auf den Kopf zu hauen.

Allenthalben wird beklagt, dass die Menschen nicht mehr miteinander reden wollen. Klappt das nur im Film?

Na klar klappt das auch woanders! Ich erlebe das jeden Tag. Vielleicht sollte man TV und Social Media einfach mal vergessen. Ich empfehle dazu ein Buch von Rutger Bregman mit dem Titel „Im Grunde gut“. Da steht gleich am Anfang sinngemäß: Wenn du wissen willst, was in deinem Leben wirklich los ist, schmeiß den Fernseher aus dem Fenster und geh vor die Tür. Und mein zweiter Tipp ist: Lerne, die Algorithmen so zu verwirren, dass dir deine Timeline nicht dauernd erzählt, du wärst der einzige Normale auf der Welt.

Wieso nicht?

Meine Tochter studiert IT. Sie hat mir so einen Algorithmus erklärt: Du denkst, du hast das Ding im Griff und benutzt es. Dabei ist es genau andersrum. Das Ding benutzt dich. Die blauäugigen User, die keine Digital Natives sind, haben gar nicht ganz geschnallt, was da technisch abgeht. Die Dinger sind wirklich ein Gruß aus der Hölle.

Sie bewegen sich vorzugsweise in Theater und Film, wo seit #MeToo viel auf Diversität, Geschlecht und Sprache geachtet wird. Begegnen Sie auch überzeugten Currywurst-Essern und AfD-Wählern?

Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall wählt nicht jeder Currywurst-Esser die AfD. Auch der eine oder andere aufrechte Sozialdemokrat liebt seine Wurst. Und so klein, wie Sie da andeuten, ist meine persönliche Bubble gar nicht. Vor Kurzem habe ich meinen 60. Geburtstag gefeiert und alle eingeladen, die in meinem Leben eine Rolle gespielt haben.

Wer ist da zusammengekommen?

Die Gäste kannten sich zum Teil gar nicht. Die standen oder saßen erst mal alle so wild durcheinander und kamen bald ins Gespräch. Und ich dachte: Ist ja irre, wen du da alles so einsammeln durftest in 60 Jahren: Kinderfreunde, Filmproduzenten, Radrennfahrer, Schauspieler, Anwälte, erstaunlich viele Mediziner, Regisseure, Kraftfahrer, Gerichtsvollzieher, Musiker, Maler, Unternehmer, Gemüsegärtner, Politiker … Ich muss gestehen, dass ich ziemlich blau an diesem Abend war. Ich habe es so genossen, mich an den Rand gesetzt und mir gedacht: Guck mal, dein ganzes Leben hat sich hier versammelt. Manche haben sich so gut verstanden, dass sie sich gleich am nächsten Tag wieder verabredet haben. Das war schon eine sehr bunte Schar.

Der typische alte weiße Mann, wie er in Ihrem Film vorkommt, trägt weiße Turnschuhe, zu enge Trikots auf dem Rennrad und neigt zur Selbstoptimierung. Wo ordnen Sie sich da ein?

Okay, mein Filmchef mit den weißen Turnschuhen passt in das Schema. Er will bestimmte Themen unbedingt vermeiden. Das Selbstoptimieren würde ich den alten weißen Männern nicht in die Schuhe schieben. Von dieser Vorstellung vom ewigen Leben, erreichbar durch permanente Selbstvermessung, sind auch junge Menschen befallen.

Und die zu engen Rennradtrikots?

Ha, was für eine scheinheilige Frage! Sie wissen doch genau, dass ich es liebe, Rennrad zu fahren. Es gibt nichts Tolleres, als in den Morgenstunden aufs Rad zu steigen und raus aus Berlin zu fahren. Früher bin ich auch gejoggt, aber das geht nicht mehr so richtig mit meinem lädierten Knie. Ich liebe das Radfahren: Irgendwann fliegt ein Vogel im selben Tempo neben dir durch die Felder. Für mich hat das etwas Meditatives – und ist der beste Ausgleich zu meinem sonstigen Leben mit viel zu vielen Reizen. Und Sie sollten mich mal sehen in meinen gepolsterten Hosen und den hautengen Trikots! Würde Ihnen auch stehen!