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Interview mit Rike Schmid„Die Freiheit der Wahl ist das höhere Gut“

Lesezeit 4 Minuten

Rike Schmid wuchs in Köln auf und lebt heute in Berlin

Frau Schmid, Sie spielen in der Komödie „Bloß keinen Stress“ die scheinbar perfekte Mutter und Hausfrau Peggy, die ihren neuen Nachbarn, bei denen nicht alles glatt läuft, das Leben schwer macht. Warum hat Peggy so viel Angst davor, dass andere Menschen andere Lebensmodelle haben?

Genau das fand ich spannend an der Figur. Sie lässt keine innere Reflexion zu, wenn sie das machen würde, würde sie ihr streng aufgebautes Lebenskonzept vielleicht durcheinanderbringen. So hält sie sich zusammen und deshalb ist das Chaos der Nachbarn eine Bedrohung. Sie will Chaos vermeiden – und versucht deshalb, ihnen ihre Ordnung aufzuzwingen.

Kann das funktionieren?

Ich glaube nicht. Aber ihr Anpassungsbedürfnis kann ich verstehen. Ich habe allerdings beim Spielen gespürt wie unglaublich anstrengend das ist. Da ist kein Platz für einen Moment der Ruhe oder des Loslassens. Ich denke nicht, dass ein solches Leben zufrieden macht. Das ist eine permanente Show.

Peggy definiert sich nur über ihre Mutterrolle. Haben Sie das Gefühl, dass das für Frauen heute immer noch ein so großes Thema ist?

Die Frage ist natürlich als kulturhistorisches Gut noch in uns drin: Bin ich als Frau vollständig, wenn ich keine Kinder kriege? Aber ich möchte mich diesem Druck nicht aussetzen. Ich wehre mich gegen eine solche Kategorisierung. Und wir erleben ja das Gegenteil: Patchwork-Identitäten und ganz unterschiedliche Lebensmodelle. Frauen können sich entscheiden, ein klassisches Rollenmodell zu leben, aber es gibt eben auch hundertfach andere Ausprägungen von Frausein. Ich will immer wieder gucken, was meine Themen sind und wo ich die verwirklich kann. Das sind Zuschreibungen von außen und ich muss mir mein Leben so zusammenstricken, wie ich es für richtig halte.

Sie sind nicht nur Schauspielerin, sondern auch Soziologin und haben sich wissenschaftlich mit Rollenbildern auseinander gesetzt. Warum?

Es war keine bewusste Entscheidung, das Studium zu machen. Da bin ich einem Gefühl gefolgt als junger Mensch. Ich brauchte letztlich einen Rückzugsraum, einen anderen Ort, wo ich nicht selbst das Produkt bin. Ich war früher unsicherer und eher zurückhaltend und im Schauspielberuf prasselt viel auf einen. Weil ich schon immer nicht nur kreativ interessiert war, sondern auch analytisch, habe ich das ausprobiert. Dass sich das als Konstante entwickelt, damit hab ich erst gar nicht gerechnet. Aber ich habe da einen Ort gefunden, den ich intuitiv gesucht habe.

Der Titel Ihrer Diplomarbeit lautet „Schauspielerinnen. Die Suche nach weiblicher Identität“. Was hat Sie aus wissenschaftlicher Sicht an dem Beruf der Schauspielerin gereizt?

Die Selbstreflexion ist professionell vorgegeben, das sich ausprobieren in anderen Rollen und Lebensmodellen. Deswegen werden Schauspielerinnen aber nicht schizophren, auch wenn sie häufig eher zweifelnde und selbstzweifelnde Wesen sind. Ich fand interessant, dass in diesen Zweifeln viel mehr Kraft steckt, als Schauspielerinnen sich häufig klar machen. Und wie sie das dann kreativ nutzbar machen, das fand ich Mut machend in Hinsicht auf mein eigenes Leben. Es ist etwas sehr Wertvolles, wenn man sich so begegnen kann.

Rike Schmid (35) wuchs in Köln auf und lebt heute in Berlin. Bekanntheit erlangte sie in der Serie „Der Fürst und das Mädchen“ (2003 bis 2007) an der Seite von Maximilian Schell.

Neben der Schauspielerei studierte sie Soziologie Psychologie und Erziehungswissenschaften in Köln und Berlin. Mit ihrer Kollegin Renate Delfs hat sie das Buch „Nimm mich mit nach Gestern“ geschrieben.

Das ZDF zeigt am Donnerstag, 20.15 Uhr, die Kömödie „Bloß kein Stress.“ (amb)

Die Rollenerwartungen an Frauen sind nicht mehr so klar wie früher. Erleben Sie das eher als Glück oder setzt Sie das auch unter Druck?

Ich selbst bin ja durch das Spielen und das Schreiben mehrfach aufgestellt. Für mich gibt es keine feste Struktur. Es ist zwar eine erholsame Vorstellung, einen festen Rahmen oder nur einen Beruf zu haben, aber die Freiheit, die wir gewonnen haben, dürfen wir nicht aufgeben aufgrund einer manchmal nicht ganz gradlinigen Suche. Da ist für mich die Freiheit der Wahl das höhere Gut.

Sie haben mit Ihrer Kollegen Renate Delfs ein Buch geschrieben, in dem sie sich ausführlich über Delfs Jugend im Dritten Reich austauschen. Was haben Sie dabei über die Rolle der Frau erfahren?

Ich wurde immer wieder daran erinnert, was für ein Wert Selbstbestimmung ist. Renate habe ich auch die Frage gestellt, ob sie auch deshalb nicht so viel mitbekommen hat, weil sie als junges Mädchen aus dem aktiven Kriegsgeschehen herausgehalten wurde. Wie weit hat da die klassische Rollenverteilung und Geschlechtertrennung ihre Wahrnehmung als Jugendliche beeinflusst? In den vergangenen 70 Jahren hat sich viel getan. Wie wir heute Dank Demokratisierung und Emanzipation leben – da würde ich mir in der immer noch wichtigen Diskussion um Gleichberechtigung manchmal weniger Hysterie wünschen. Dass Männer wie Frauen auch schätzen, wie wesentlich die Veränderungen seit damals für uns sind.

Das Gespräch führte Anne Burgmer