Der Kölner, der als Viva-Moderator bekannt wurde, schulte zum Notfallsanitäter um. In seinem neuen Roman geht es um einen Pfleger – ein Exemplar ging auch an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
Interview mit Moderator und SanitäterWarum der Gesundheitsminister Tobias Schlegels Roman lesen sollte
Herr Schlegl, Sie haben dem Gesundheitsminister ein Exemplar Ihres neuen Romans „Strom“ geschickt mit dem Appell: „Kümmern Sie sich endlich um die Pflege.“ Was würde Herr Lauterbach denn im besten Fall machen, nachdem er Ihr Buch gelesen hat?
Wenn es um die Arbeitsbedingungen in der Pflege geht, kann man sich ja leider nur wiederholen: Dass es viel zu wenig Personal in den Schichten gibt und man ganz andere Personaluntergrenzen braucht. Ein Punkt, der mir ganz wichtig ist und der auch mit dem Buch zu tun hat: Man muss sich auch um die Psyche der Pflegenden kümmern.
Warum ist das so wichtig?
Sie sind dauerhaft konfrontiert mit Krankheit, Leid und auch Tod. Und in der Struktur des Krankenhauses ist es gar nicht vorgesehen, dass man sich da zum Beispiel einmal im Monat mit einem Psychotherapeuten in einer kleinen Runde zusammensetzt in der Arbeitszeit. Ich selbst arbeite in einem Kriseninterventionsteam, das Erste Hilfe für die Psyche leistet – wenn plötzlich ein Angehöriger verstorben ist, zum Beispiel. Da haben wir eine solche Supervision und ich merke, wie gut mir das tut und wie wichtig das für einen solchen Job ist, damit man weitermachen kann. Aber die Pflegekräfte kommen ja noch nicht mal hinterher, sich um die Patienten zu kümmern - dann können sie sich erst recht nicht um sich selbst kümmern.
Was passiert, wenn die Pflegenden damit alleine gelassen werden?
Man erlebt so viel und ist mit so vielen Schicksalen konfrontiert. Mit Menschen, die sterben, die einem auch ans Herz gewachsen sind. Das muss man einfach verarbeiten. Denn sonst verdrängt man, stumpft ab. Und auch deswegen wechseln so viele Menschen nach nur wenigen Jahren wieder ihren Job.
In Ihrem Buch wird ein Pflegender zum Mörder. Ein spezieller Fall oder ein Ergebnis von strukturellen Mängeln?
Wenn diese Strukturen nicht verändert werden, kann das auch Patienten gefährden. Es ist natürlich zu einfach, zu sagen, die schlechten Arbeitsbedingungen bringen jemanden dazu, so weit zu geben, wie die Figur Frank in meinem Roman. Aber wenn da ein Pfleger ist, der psychisch schon vorbelastet ist und dann auf diese Strukturen stößt - dann ist das ein äußerst ungesunder Nährboden.
In Franks Fall werden Hinweise von der Pflegedienstleitung ignoriert beziehungsweise vertuscht. So war es auch im realen Fall des Krankenpflegers und Serienmörders Niels Högel. Gibt es hier auch strukturelle Probleme in den Krankenhäusern und Pflegeheimen?
Tatsächlich werden Fehler gerne vertuscht und kommen nicht an die Öffentlichkeit. Da wünsche ich mir auch eine bessere Fehlerkultur im Krankenhaus. Eine bessere Kommunikation, dass man gegenseitig auf sich aufpasst zwischen Pflege und Ärzten, Pflege und Pflegedienstleitung. Das ist total wichtig, damit die Menschen in der Pflege bleiben und ihre Empathie behalten.
Dass sich in der Pflege dringend etwas verändern muss, ist nicht erst seit Corona gesellschaftlicher und politischer Konsens. Warum, glauben Sie, passiert trotzdem so wenig?
Das ist ja so ein politisches Grundprinzip – jeder findet es ja auch generell wichtig, sich für die Umwelt einzusetzen. Aber sobald es konkret wird, das merken wir auch bei Stichwort Klima, sind die Leute dagegen und wollen keine Veränderung. Und wenn Pflege teurer wird – dann ist das eine Botschaft, die kein Politiker umsetzen will, weil er dann nicht wiedergewählt wird.
Tod und Sterben sind immer noch Tabu-Themen – wie erleben Sie das bei Lesungen?
Das ist das Verrückte - seit ich dieses Buch über die Arbeit auf einer Demenzstation und die Missstände in der Pflege geschrieben habe, werde ich dauernd darauf angesprochen und kriege ganz viele Nachrichten über die Sozialen Medien. Und bei den Lesungen kommen die Menschen zu mir und erzählen mir ihre Geschichten zum Thema Demenz. Ich bin da gerade so ein bisschen der Schwamm, der das alles aufsaugt. Und weiß noch gar nicht so genau, wie ich damit umgehen soll. Aber ich finde es natürlich gut, dass das Ganze so viel auslöst.
Was motiviert Sie und andere denn trotz der schwierigen Rahmenbedingungen für den Job als Rettungssanitäter?
Die Arbeit an sich ist halt großartig. Also die Arbeit mit den Menschen und die kleinen Momente, die man da erlebt. Natürlich ist nichts relevanter als bei einer Lebensrettung dabei zu sein. Ich habe auch schon jemanden retten dürfen mit einer Reanimation und auf der Intensivstation hat er sich dann bei mir bedankt. Und das war für mich tatsächlich der berührendste Moment in meinem Leben. Und dafür macht das alles Sinn.
Die Pflege auf einer Demenzstation, über die sie im Buch schreiben, ist wahrscheinlich etwas weniger spektakulär.
Die Patienten, gerade die, die ich in meiner Ausbildung auf der Demenzstation im Krankenhaus erlebt habe - die wachsen einem ans Herz und man wird Teil ihrer Geschichte. Man singt mit ihnen zusammen, verbringt auch gute Zeiten, lacht mit ihnen. Und das sind echt schöne, besondere Momente. Und man weiß auch immer, am Ende des Tages, dass man etwas verändern konnte. Das tut einfach gut.
Kann das über die frustrierenden Strukturen hinwegtrösten?
Nein, das ist leider auch erschreckend. Dass die Menschen, die da arbeiten, mit der Zeit auch ein bisschen an Empathie verlieren und sich verändern können. Die Belastung ist spürbar. Ich kenne das auch - man kommt aus den Schichten und man fühlt sich komplett betäubt. Kann gar nichts mehr. Auch keinen privaten Termin mehr wahrnehmen oder sich um sich selbst kümmern.
Hilft Ihnen das Schreiben bei der Bewältigung Ihrer schwierigen Erlebnisse im Job?
Das Schreiben habe ich für mich in der Ausbildung entdeckt, um die Dinge auch aus dem Kopf zu kriegen. Da hatte ich viele, heftige Einsätze ganz eng hintereinander. Unter anderem ist ein Kleinkind verstorben und das hat mich so sehr mitgenommen, dass mir das Kriseninterventionsteam geholfen hat. In dieser Akutsituation habe ich deren Arbeit kennengelernt und gemerkt, wie wichtig das ist. Und deshalb habe ich da auch eine Weiterqualifizierung gemacht.
Wie viel von Ihren eigenen Erfahrungen steckt denn in ihren Texten?
In meinem ersten Roman „Schockraum“ arbeitet der Erzähler im Rettungsdienst und ist tatsächlich sehr nah an mir dran. Und auch jetzt in „Strom“ ist die Hauptfigur zwar eine junge, schwangere Auszubildende. Aber das, was sie auf der Demenzstation erlebt, und wie sie die Patienten sieht, ist auch ganz nah an mir dran. Aber so jemanden wie den Pfleger Frank, der zum Mörder wird, habe ich natürlich nicht getroffen. Aber das hat mir eine unglaubliche Freude bereitet und mich auch ein bisschen befreit, das mal durchzuspielen. Diese Frage: Was wäre eigentlich, wenn ich auf der Demenzstation jemanden getroffen hätte wie Frank?
Für die Figur Frank gibt es mit Frank Högel ein reales Vorbild – vielleicht auch mehrere. Solche Menschen bringen einen Job in Verruf, den Sie ja eigentlich aufwerten wollen.
Die Pflegerinnen und Pfleger, die ich auf der Demenzstation getroffen habe – die waren für mich richtige Vorbilder. Und dass es auch solche Menschen im Krankenhaus gibt, war mir auch im Roman wichtig. Das ist eigentlich bei aller Düsternis das Lebensbejahende und Schöne. Dass man den Wert des Lebens auch trotz aller Gebrechen noch spüren kann. Auch wenn man als Pfleger mit schlimmen Dingen und immer wieder mit der Endlichkeit konfrontiert wird – man weiß das eigene Leben mehr zu schätzen, so war es jedenfalls bei mir. Ich schiebe nichts mehr in die Zukunft und dadurch wird das Leben intensiver. Und deshalb gebe ich auch beim Kämpfen gegen Strukturen nicht die Hoffnung auf.
In Ihrem letzten Buch „See. Not. Rettung.“ haben Sie über Ihre Erfahrungen bei der Rettung Geflüchteter geschrieben. Wie erleben Sie die aufgeheizte Debatte zurzeit?
Als Notfallsanitäter gucke ich nicht, wo jemand herkommt. Sondern ich versuche, Menschen zu helfen und im besten Fall das Leben zu retten. Das sollte so der kleinste gemeinsame menschliche Nenner sein: Dass man Menschen, die vom Tod bedroht sind, rettet. Unabhängig von jeglicher politischen Diskussion und Migrationsdebatte. Menschen ertrinken gerade im Mittelmeer, und deswegen müssen da Schiffe sein, die diesen Menschen helfen. Das ist auch kein „Pull-Faktor“, die Menschen kommen so oder so. Dass Europa in der Flüchtlingsfrage endlich eine Lösung finden muss, ist eine ganz andere Baustelle.
Tobias Schlegl, geboren 1977 in Köln, moderierte lange beim Musiksender Viva, später die Satiresendung Extra 3 und das Kulturmagazin „aspekte“. Im Sommer 2016 gab er den Großteil seiner Fernsehjobs auf und absolvierte eine dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter. Mittlerweile lebt er in Hamburg und arbeitet als Sanitäter, Moderator und Autor.
"Strom", Piper, 240 Seiten, 24 Euro.