Der hemmungslose Demagoge pfeift auf die Ideale und Praktiken der Demokratie. Rechtfertigt das die aktuelle Debatte um Donald Trump?
Ist Trump ein Faschist?Wem das Spiel mit Schimpfvokabeln nützt
Ist Donald Trump ein Faschist? Als solcher wird er in der Schlussphase des US-Präsidentschaftswahlkampfes von seinen Gegnern unumwunden bezeichnet. Den Anfang machte aktuell ausgerechnet John Kelly, General und Trumps Stabschef aus dessen erster Amtszeit im Weißen Haus. Ja, sein Ex-Chef sei ein Politiker, welcher „der allgemeinen Definition von Faschisten“ entspreche, ließ er im Interview mit der „New York Times“ verlauten. Er sei im Rechtsaußen-Lager angesiedelt, „er ist ein autoritärer Mensch und bewundert Diktatoren – das hat er gesagt.“ Kelly bestätigte auch frühere Berichte, dass sich Trump mehrfach positiv über Adolf Hitler geäußert habe.
Was soll's, könnte man fragen, Kelly ist jemand, der seine Karriere hinter sich hat. Indes griff Kamala Harris die Causa dankbar auf und antwortete auf eine CNN-Frage, ob auch sie ihren Mitbewerber für einen Faschisten halte, glasklar und zweimal nacheinander: „Ja, das tue ich.“ Damit bekam die Attacke erkennbar eine neue Qualität, Harris ist schließlich Trumps demokratische Gegenkandidatin. Keine Frage, da holte jemand kurz vor Torschluss noch einmal den ganz dicken Knüppel heraus. Kann man etwa in der Demokratie noch Schlimmeres über einen politischen Konkurrenten sagen, als dass dieser ein „Faschist“ sei?
Trump hat über Jahre hinweg die Tonlage vorgegeben, in der ihm jetzt geantwortet wird
Sicher: Der Vorwurf ist ganz wesentlich dem extrem aufgeheizten Klima in einem gespaltenen Land kurz vor einer Wahl geschuldet, in der es erkennbar um vieles geht – und sich die gegnerischen Parteien zudem ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Dass darob die Beschimpfungsrhetorik ins Kraut schießt – Präsident Biden hatte es noch dabei belassen, seinen Vorgänger einen „Halb-Faschisten“ zu nennen –, ist nachvollziehbar und der republikanische Kandidat der letzte, der sich darüber beklagen darf. Er hat über Jahre hinweg die Tonlage vorgegeben, in der ihm jetzt geantwortet wird.
Dass der Faschismus-Vorwurf verfangen und die Wahlchancen der Demokraten erhöhen wird, ist unwahrscheinlich. Genauer: Den Trump-Gegnern wird er nicht viel Neues sagen, und die beinharten Trump-Fans wird er nicht beeindrucken. Trotzdem verdient er in der Sache eine genauere Bewertung und Würdigung – ob ein Faschist oder ein Nicht-Faschist im Weißen Haus sitzt, ist schließlich und gerade auch für Europäer alles andere als belanglos.
Allerdings hat der Begriff Faschismus womöglich ausgerechnet in Deutschland mit seiner entsprechenden historischen Vergangenheit noch einen anderen „Sound“ als in den USA. Hier war es die politische Linke zumal der 68er und Nach-68er Zeit, die die Todesstoß-Qualität des einschlägigen Vorwurfs erkannte und ausgiebig zu nutzen verstand. Seinerzeit verkam der „Faschismus“ zum mehr oder weniger kommunistischen Kampfbegriff, mit dem diejenigen, die ihn im Munde führten, alles diffamieren konnten, was ihnen nicht in den Kram passte. Seine Fähigkeit, historisch-politische Sachverhalte zu beschreiben und zu analysieren, büßte er damals weitgehend ein. Wovon er sich bis heute nicht erholt hat.
Er sei kein Nazi, seine Gegner seien vielmehr Nazis, ließ Trump selbst erwartbar verlauten
Wie auch immer: Dass auch Trump und sein Lager die Vokabel nicht als Schmeichelei empfinden und die Attacke weder ignorieren noch hinnehmen wollen, wurde schnell deutlich. Er sei kein Nazi, seine Gegner seien vielmehr Nazis, ließ Trump selbst erwartbar verlauten. In der Sache interessanter und zugleich moralisch anspruchsvoller war da schon die Unterstützung, die man sich von jemandem holte, der es aus eigener Erfahrung wissen muss: Der 94 Jahre alte jüdische Auschwitz-Überlebende und bekennende Trump-Wähler Jerry Wartski gab zu Protokoll, er wisse im Unterschied zu Harris, was Faschismus sei. Was diese mit ihrer Trump-Attacke betreibe, sei eine unerträgliche Verharmlosung von Auschwitz, für die sie sich bei den von Hitler Ermordeten entschuldigen müsse.
Angesichts von Wartskis Biografie ist man schnell geneigt, zu verstummen. Trotzdem wird man ihm den Vorwurf einer absichtsvollen Verwechslung nicht ersparen können. Keine Frage: Trump wird, sollte er US-Präsident werden, keinen zweiten Holocaust in die Wege leiten und wohl auch keinen neuen Weltkrieg vom Zaun brechen. Indes hat ihn Harris auch nicht als „neuen Hitler“, sondern eben als „Faschisten“ bezeichnet. Und beides ist, mit Verlaub, nicht identisch.
Zum Beispiel Mussolini: Dieser originäre Faschist – von dessen „Fasci di combattimento“ sich bekanntlich der Name der einschlägigen Bewegung ableitete – etablierte in Italien ohne Zweifel eine üble Diktatur. Trotzdem war die – abgesehen von ihrem untergangsgeweihten Rumpf-Relikt, der bezeichnenderweise von Nazi-Gnaden errichteten Republik von Salò – nicht dasselbe wie Hitlers Herrschaft, inklusive die Maßlosigkeit ihres totalitären Durchsetzungs- und Vernichtungswillens. Nicht zu Unrecht steht in der Typologie der Faschismen, wie sie der Historiker Ernst Nolte vor Jahrzehnten entwarf, Mussolini für „Normalfaschismus“ und Hitler für „Radikalfaschismus“.
Über dieser Wahl solcher Schimpfvokabeln geht der Rest jenes intellektuellen Niveaus verloren
Und was ist mit einem weiteren Verdächtigen wie dem spanischen Caudillo Franco (der Hitler übrigens verabscheute): War der ein Faschist oder nicht vielmehr ein Militärdiktator? Auch diesbezüglich gilt: Beides ist nicht dasselbe. Das verdient gerade hierzulande hervorgehoben zu werden, neigte man doch in Deutschland – siehe oben – lange Zeit dazu, alles Mögliche in dem großen Kessel mit der Aufschrift „Faschismus“ zu versenken und darüber eine Nacht hereinbrechen zu lassen, in der alle angeblich braunen Katzen grau wurden. Hitler mag ein Faschist gewesen sein (oder auch nicht), aber nicht jeder Faschist war ein Hitler. Und Harris hat Trump eben „nur“ einen „Faschisten“ genannt.
Besonders klug und erkenntnisfördernd war und ist das – so oder so – zweifellos nicht. Über dieser Wahl solcher emotional stark besetzten Schimpfvokabeln geht dem Wahlkampf in der westlichen Führungsmacht noch der Rest jenes intellektuellen Niveaus verloren, das er seit Anbeginn nicht hatte. Was Trump anbelangt, könnte man einige kaum zu bestreitende Tatsachen auflisten – und dann schauen, ob man sie unter einen gemeinsamen Oberbegriff packen kann: Trump ist – ein praktischer Carl Schmitt – Freund innerstaatlicher Feinderklärungen und will gegen seine Gegner daheim zur Not sogar das Militär einsetzen. Trump bezeichnet Migranten aus Lateinamerika als Ungeziefer, das das „Blut der Amerikaner“ vergiftet.
Trump erkennt die Regeln und die Verfahren des demokratischen Rechtsstaates nicht an. Andernfalls würde er nicht erklären, nur solche Wahlen und ihre Ergebnisse akzeptieren zu wollen, aus denen er als Sieger hervorgeht. Trump unterstützt seine rechtsextremen Unterstützer-Milieus in den Staaten, wie etwa die Proud Boys – zumindest distanziert er sich nicht von ihnen. Trump hat erwiesenermaßen ein Faible nicht für demokratische Politiker, sondern für ganze oder Dreiviertel-Diktatoren – vom Schlage Putin, Xi Jinping, Kim Jong-un, Bolsonaro, Orban.
Rassismus, Nationalismus, Autoritarismus, Ablehnung der Demokratie – da kommt schon einiges zusammen, das auch seine Kennzeichnung als „Faschisten“ zu begründen vermag. Oder kommt irgendjemand auf die Idee, ihn vielleicht als „lupenreinen Demokraten“ oder gar als „Kommunisten“ bezeichnen zu wollen? Aus den oben genannten Gründen empfiehlt sich aber „Faschist“ als wohlfeile Denunziationsvokabel nicht unbedingt zum Alltagsgebrauch im Parteienkampf. Wie wäre es, wenn man es dabei beließe, Trump einen machthungrigen und menschenverachtenden Narzissten und hemmungslosen Demagogen zu heißen, der ideologisch im rechtsradikalen „Ideen“-Sumpf fischt und auf die Ideale und die Praxis der Demokratie pfeift? Das reicht doch eigentlich – und kommt ohne Hitler und Faschismus aus.