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Italien auf der BuchmesseDas Sehnsuchtsland versinkt in Düsternis

Lesezeit 5 Minuten
Eine überdimensionale goldene Hand wird im italienischen Pavillon angeleuchtet.

Besucher gehen durch den Pavillon des Gastlandes Italien.

Der Auftritt des Ehrengastes Italien spaltet die Literaturszene des Landes, während die deutsche Branche ganz auf junge Leserinnen setzt.

Das Italienbild der Deutschen ist geprägt von Klischees. Wir denken an Strand, Sonne, Pizza, Meer, sanfte Hügel der Toskana, an Venedigs Kanäle und die Monumentalbauten Roms. Mit diesem einseitigen Bild zu brechen, ist sicherlich ein guter Ansatz, wenn es darum geht, Italien als Gastland der Frankfurter Buchmesse zu präsentieren. Aber wer den Pavillon in diesen Tagen besucht, kommt gar nicht dazu, seine eigenen Vorurteile auf den Prüfstand zu stellen. Man ist vielmehr mit der Frage beschäftigt, in welche Richtung der Sehnsuchtsort so vieler Menschen steuert.

Düster präsentiert sich Italien auf der Messe, die Fenster der Halle sind abgedunkelt, kein Tageslicht fällt herein. Spärlich beleuchtet ist der Saal, an der Decke glimmen ein paar Lämpchen, die an einen Sternenhimmel erinnern. Im Zentrum wird eine große goldene Hand angestrahlt, ansonsten ist es so dunkel, dass man aufpassen muss, nicht über die zahllosen Stufen zu stolpern.

Der Architekt Stefano Boeri habe sich für den Auftritt von einer typischen italienischen Piazza inspirieren lassen, heißt es von den Verantwortlichen. Aber die Bogengänge, Säulen und Stufen vermitteln mitnichten den Eindruck eines offenen Orts, an dem Austausch möglich ist. Alles an dieser Präsentation ist rückwärtsgewandt.

Die Zukunft findet wenig Raum

Hier demonstriert ein nicht besonders sympathisches Italien die großen Errungenschaften seiner Geschichte. Weiter weg vom Motto des Ehrengastauftritts „Verwurzelt in der Zukunft“ könnte der Pavillon nicht sein. Die Zukunft und alle Fragen, die wir an sie stellen, finden wenig Raum. Der ist dem Vergangenen vorbehalten. Warum braucht es einen ganzen Raum zu Machiavellis „Der Fürst“, in dem unterschiedliche Ausgaben des Werks präsentiert werden, aus dem 16. Jahrhundert, aber auch aus den 1970er Jahren und dem Jahr 1930, als die faschistische Diktatur Mussolinis das Land beherrschte?

Exponate und Gemälde aus Pompeji sind in einem anderen Raum ausgestellt. Schön anzuschauen, aber welchen Beitrag leisten diese Stücke zur Auseinandersetzung mit den Herausforderungen unserer Zeit, für die eine Buchmesse doch eigentlich den perfekten Rahmen liefert? Einzig in einem in Grüntönen gestalteten und freundlicher wirkenden Saal sind Neuerscheinungen ausgestellt, da stehen Kochbücher neben Reiseführern und einigen Romanen.

Seit 1988 hat die Buchmesse ein Gastland, damals war es ebenfalls Italien. Als sie vor einigen Jahren eine erneute Einladung aussprach, hatten die Verantwortlichen sicherlich die Hoffnung auf einen anderen Auftritt. Aber in Italien ist nun die rechtsextreme Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an der Macht und die macht während der Messe Schlagzeilen damit, Italienern die Leihmutterschaft auch im Ausland zu verbieten und Geflüchtete in ein Lager nach Albanien zu deportieren.

Der Kulturkampf in Italien schwappt nach Frankfurt über. Da wundert es nicht, dass neben der offiziellen Delegation auch viele Autorinnen und Autoren zur Buchmesse gekommen sind, die mit dem Gastland-Auftritt nicht in Verbindung gebracht werden wollen. „Die politische Macht unterdrückt die Stimmen, die sie nicht hören wollen“, sagte etwa Francesa Melandri („Kalte Füße“) auf Einladung von PEN Berlin bei einer Diskussion auf der Buchmesse, die sich bewusst als Gegenveranstaltung zum offiziellen Auftritt des Ehrengastauftritts verstand. „Die freie Meinungsäußerung wird bestraft in unserem Land“, sagte Paolo Giordano („Die Einsamkeit der Primzahlen“).

Und das Motto „Verwurzelt in der Zukunft“ sei die Neufassung eines von Neofaschisten verwendeten Slogans, sagte der Kunsthistoriker Luciano Cheles bei einem Panel zur Sprache der italienischen Rechten. Der Begriff der Wurzeln sei als ein Verweis auf den Faschismus zu verstehen. Roberto Saviano, einer der prominentesten Kritiker Melonis, kommt auf Einladung seines Verlags Hanser am Samstag nach Frankfurt. Von offizieller Seite hatte man ihn nicht dabei haben wollen, wogegen viele Kollegen Savianos protestierten.

1000 Autoren und Sprecher bei 650 Veranstaltungen

Wenn auch das Gastland Italien sich den gesellschaftspolitischen Debatten nicht stellen will, wird andernorts auf der Buchmesse über die großen Krisen und Fragen unserer Zeit debattiert. Es geht um die Kriege in der Ukraine und in Nahost, um KI und Klimawandel. Mehr als 1000 Autoren und Sprecher bei 650 Veranstaltungen auf 15 Bühnen stehen auf der Agenda. Dabei ist interessant, dass sich auf den großen Bühnen eine Entwicklung widerspiegelt, die Verlagsvertreter auch auf dem Buchmarkt beobachten. Große Namen bekommen viel Aufmerksamkeit und verkaufen sehr gut, für Newcomer wird es noch schwieriger, sich zu etablieren.

Natürlich debattiert die Branche auch über die Herausforderungen, vor denen sie selbst steht. Denn volle Gänge auf der Buchmesse können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zahl derer, die in Deutschland liest, seit Jahren zurückgeht. Rund 25 Millionen Menschen erwarben 2023 Bücher, das sind 2,8 Prozent weniger als im Vorjahr (2022: -5,2 Prozent, 2021: -3,9 Prozent), wie der Börsenverband des Deutschen Buchhandels im Juli bekanntgab.

Der Gesamtumsatz der Branche ist 2023 im Vergleich zum Vorjahr dennoch um 2,8 Prozent gestiegen. Wem das zu verdanken ist, mag manche überraschen: Es sind junge Leser und vor allem Leserinnen, die einen Roman nach dem anderen verschlingen. „New Adult“ und „Young Adult“ heißt das Genre. Liebesromane, die bestimmten Mustern folgen und vor allem eines nicht tun: überraschen.

Speziell auf eine junge Zielgruppe abgestimmte Titel sind in der Young Adult-Area der Buchmesse zu sehen.

Speziell auf eine junge Zielgruppe abgestimmte Titel sind in der Young Adult-Area der Buchmesse zu sehen.

Die Stars kennt außerhalb dieser Szene kaum jemand, aber Autorinnen wie Mona Kasten begeistern Hunderttausende. So groß ist die Bedeutung, dass die Messe eine eigene Ebene für sie einrichtete. Während der Fachbesuchertage waren die Stände auf dem 8000 Quadratmeter großen Arael noch nahezu verwaist, klassische Medien fremdeln mit diesen Geschichten, aber es ist ohnehin das Social-Media-Phänomen BookTok, das für hohe Verkaufszahlen sorgt.

Am Wochenende werden Scharen von jungen Fans zu den Signierstunden erwartet. Um zu verhindern, dass es zu Massenaufläufen wie im vergangenen Jahr kommt, hat die Buchmesse die Tickets für die besucherstärksten Tage eingeschränkt. Die Kontingente für Samstag und die Wochenend-Tickets sind schon vergriffen, für Sonntag gibt es noch Tagestickets. Wenn die jungen Fans dann die Bücher ihrer Lieblinge stapelweise aus den Hallen tragen, sind für einen Moment vermutlich alle Krisen, vor denen der Buchmarkt steht, vergessen. (mit dpa)