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Jackie Thomaes neuer RomanIst eine Frau nur als Mutter vollständig?

Lesezeit 3 Minuten
Jackie Thomae

Jackie Thomae

Die Schriftstellerin erzählt von zwei Frauen Ende 30, die sich fragen, ob sie ein Kind brauchen, um glücklich zu sein.

Und dann passiert es doch. Marie-Clarie Sturm, als Radiomoderatorin besser bekannt als MC, rutscht in der Podcast-Aufzeichnung mit der Berliner Bildungssenatorin Anahita Martini der Satz heraus: „Du selbst hast ja keine Kinder -“ Die Worte bleiben in der Luft hängen, das Gespräch ist beendet. Und MC ist wütend, auf sich und auf die Kollegin, die das Interview vorbereitet hatte.

Es ist, bis auf eine kurze weitere Szene, das einzige Mal, dass sich die beiden Hauptfiguren in Jackie Thomaes neuem Roman „Glück“ begegnen. „Schmach“ hat sie das Kapitel überschrieben. MC reagiert gerade deshalb so angefasst, weil sie in derselben Situation ist wie Anahita. Beide sind 39, beruflich erfolgreich und kinderlos.

Die Fragen, die sie sich jahrelang nicht stellten, während sie sich ein Leben und eine Karriere aufbauten, drängen nun mit Macht an die Oberfläche: Bin ich als Frau nur vollständig, wenn ich Mutter bin? Fehlt mir ein Kind zu meinem Glück? Oder suggeriert mir all das nur die Gesellschaft, die ein überhöhtes Mutterbild propagiert und Frauen keine Wahl lässt?

Es ist ein sensibles Thema, dem sich Jackie Thomae, deren Roman „Brüder“ vor drei Jahren das „Buch für die Stadt“ war, annimmt. Denn es ist ein Thema, bei dem trotz aller Bemühungen um Gleichberechtigung und Gendergerechtigkeit eine Lücke klafft. Während Männer auch noch in späteren Jahren ein Kind zeugen können, wird Frauen ab Mitte 30 von vielen Seiten signalisiert: Jetzt wird es aber langsam Zeit, Mutter zu werden.

Bewundernswerte Leichtigkeit

Was tun? Vielleicht das exklusive Retreat „Unerfüllter Kinderwunsch – muss auch ich Mutter werden?“ am Meer buchen, dessen Übungen etwa zum Thema „Atmen“ Thomae mit spürbarer Freude seziert? Doch dann tut sich plötzlich eine andere Möglichkeit auf - eine Pille, die die Menopause hinauszögert und Frauen, die sich das leisten können, ermöglicht, auch noch im höheren Alter Kinder zu bekommen. Aber ist dieser medizinische Fortschritt wirklich die Lösung? Oder verlängert er vielleicht in Wahrheit nur das Fegefeuer des „Noch ist alles möglich, aber du musst dich bald entscheiden?“

Jackie Thomae hat ein großes Talent, auch die vielen Nebenfiguren schon auf wenigen Seiten so lebensnah zu skizzieren, dass sie lange in Erinnerung bleiben. Sie hält die Fäden ihrer Erzählung immer souverän in den Händen und verwebt die einzelnen Handlungsstränge gekonnt. Dabei gelingt ihr etwas Erstaunliches. Sie nimmt das Thema mit all seinen großen Fragen und auch seelischen Nöten ernst, ohne in Schwere abzudriften. Ihrem Roman ist ein feiner Humor und eine bewundernswerte Leichtigkeit inne, die es ermöglichen, unbefangen über ein Thema nachzudenken, das uns alle angeht.


Jackie Thomae stellt ihren Roman „Glück“ am Dienstag, 22. Oktober, 19.30 Uhr, im Kölner Literaturhaus vor. Tickets kosten zwölf, ermäßigt zehn Euro, Mitglieder zahlen acht Euro.